AboAbonnieren

Projekt in Rhein-BergTodkranke Eltern nehmen Hörbücher für ihre Kinder auf

Lesezeit 4 Minuten
Mit einer Charity-Aktion engagierten sich Polizei und Feuerwehr in Rhein-Berg zugunsten der Familienhörbuch gGmbH. Bei einer Spendenübergabe trafen sich (v.l.) Polizeisprecher Christian Tholl, Carina Höfelmanns (Pressestelle Kreispolizei), Judith Grümmer (Familienhörbuch gGmbH), Polizeisprecherin Tanja Höller und Felix Müller von der Feuerwehr Bergisch Gladbach.

Mit einer Charity-Aktion engagierten sich Polizei und Feuerwehr in Rhein-Berg zugunsten der Familienhörbuch gGmbH. Bei einer Spendenübergabe trafen sich (v.l.) Polizeisprecher Christian Tholl, Carina Höfelmanns (Pressestelle Kreispolizei), Judith Grümmer (Familienhörbuch gGmbH), Polizeisprecherin Tanja Höller und Felix Müller von der Feuerwehr Bergisch Gladbach.

Polizei und Feuerwehr in Rhein-Berg unterstützen eine Initiative um die Schildgenerin Judith Grümmer, die mit todkranken Eltern Hörbücher für ihre Kinder aufnimmt.

Seitdem sie die Diagnose Krebs bekommen hat, beschäftigt Angelina W. vor allem eine Frage: „Werden meine Kinder überhaupt eine Erinnerung an mich haben?“ Inzwischen weiß die 35-Jährige: Sie wird sich mit dem Gedanken auseinandersetzen müssen, dass ihre zweieinhalbjährigen Zwillinge ohne sie groß werden. Sie weiß aber auch: Sie wird ihren Kinder all das erzählen können, was sie ihnen mitgeben möchte, auch wenn sie es wohl erst hören werden, wenn sie selbst schon nicht mehr lebt.

Denn Angelina W. hat mit dem Team von Judith Grümmer aus Bergisch Gladbach-Schildgen ein professionelles Hörbuch für ihre Kinder aufgenommen – mit der letzten Kraft, die ihr die Krankheit noch ließ. 588 solche im Durchschnitt sechs bis sieben Stunden langen, professionell mit Musik und teilweise originalen Ton-Zeitdokumenten versehenen Hörbücher haben die langjährige Hörfunkjournalistin und verwitwete Mutter von drei mittlerweile erwachsenen Kindern und ihr Team bereits produziert: mit Müttern und Vätern mit der Diagnose Krebs oder anderen schweren lebensverkürzenden Erkrankungen. Das in einer gemeinnützigen GmbH organisierte und wissenschaftlich begleitete Projekt finanziert sich dabei ausschließlich aus Spenden.

Polizei und Feuerwehr sammelten Spenden

Solche haben nun auch die Kreispolizei und die Feuerwehr Bergisch Gladbach gesammelt. „Von uns selbst ist eine Kollegin schwer erkrankt und wollte so ein Hörbuch für ihren Nachwuchs aufnehmen“, berichtet Polizeisprecher Christian Tholl, warum der Erlös der diesjährigen Charity-Aktion, die die Polizei Rhein-Berg bereits zum vierten Mal durchführt, an das Projekt Familienhörbuch gGmbH ging. „Leider war der Krankheitsverlauf unserer Kollegin dann so schnell, dass sie es nicht mehr geschafft hat, das Hörbuch aufzunehmen, aber das Projekt finden wir einfach toll“, so der Polizeisprecher.

Deshalb haben er und seine Kollegen Tanja Höller und Carina Höfelmanns von der Pressestelle der Kreispolizei nicht nur Spendenboxen in der zentralen Behörde in Bergisch Gladbach sowie mit Unterstützung ihrer Kollegen auf den übrigen Dienststellen aufgestellt, sondern auch zweimal ein Weihnachtscafé angeboten und Pfandflaschen gesammelt. „Wir haben jeden Tag säckeweise Pfandgut zu Supermärkten gebracht“, sagt Christian Tholl und freut sich. Zudem habe ein Kollege mit angemeldetem Nebengewerbe zwei Boxautomaten, wie man sie auf der Kirmes findet, für den guten Zweck zur Verfügung gestellt und den Erlös, den diese im Sportraum der Polizeiwache in Burscheid und im Sozialraum der Kreispolizeibehörde einbrachten, für die Benefizaktion zur Verfügung gestellt. „Auch Landrat Stephan Santelmann hat eine Spendenbox mit ins Kreishaus genommen und Werbung für die Aktion gemacht“, sagt Christian Tholl.

Projekt wird bekannter

Auch die Blaulichtkollegen der Feuerwehr Bergisch Gladbach legten sich für die gute Sache ins Zeug, sammelten Spenden und Pfandflaschen, wie Felix Müller vom Einsatzführungsdienst bei der Spendenübergabe berichtet. 2175 Euro konnten Polizei und Feuerwehr schließlich an eine überglückliche Judith Grümmer vom Projekt Familienhörbuch überreichen. Dass die Polizeibeschäftigten und Feuerwehrleute zudem über die Familienhörbuch-Idee gesprochen und das Projekt wieder ein Stück bekannter gemacht haben, freute die 66-Jährige obendrein.

„Oft kommen die Menschen erst spät zu uns. Nicht immer reicht die Kraft dann noch, das Hörbuch aufzunehmen“, sagt sie, „obwohl wir wirklich alles versuchen.“ Erst im vergangenen Jahr sei ein Projektmitarbeiter kurzfristig sogar am Zweiten Weihnachtstag zu einer todkranken Patientin nach Berlin gefahren und habe eine Aufnahme mit ihr gemacht, erzählt Judith Grümmer. „Einen Tag später ist die Frau gestorben, aber sie hat es noch vor ihrem Tod geschafft, das festzuhalten, was sie ihren Kindern für das Leben mitgeben wollte.“


Schwer Erkrankte erzählen für ihre Kinder

35 Jahre hat Judith Grümmer aus Bergisch Gladbach-Schildgen als Journalistin gearbeitet, 2019 verwirklichte sie mit der gemeinnützigen Familienhörbuch gGmbH ein Herzensprojekt.

Wissenschaftlich begleitet unter anderem von der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des Universitätsklinikums Bonn produziert sie mit 90 speziell ausgebildeten Audiobiographen, zwei Sounddesignern und 20 Ehrenamtlern, unter anderem Ärzten und Psychologen, mit tödlich erkrankten Vätern und Müttern Hörbücher für deren minderjährige Kinder. „Ich bin selbst als Jugendliche mit dem Tod konfrontiert worden“, sagt Judith Grümmer, „als meine erste Liebe mit 18 gestorben ist.“ Deshalb möchte sie Todgeweihten eine Stimme für ihre minderjährigen Nachkommen geben. Die Audiobiographen begleiten dabei die Schwererkrankten bei der Hörbuchaufnahme. „Sie wissen, wie sie jemanden zum Erzählen bringen, wie sich Türen zur Erinnerung öffnen lassen“, sagt Judith Grümmer. „Und anschließend wird das Hörbuch mit professionellen Sounddesignern produziert.“ Ereignisse, die die Sterbenden ansprechen, wie die Maueröffnung, werden mit Originaltondokumenten unterlegt, das Hörbuch auch musikalisch gefasst.

Rund 6000 Euro koste eine rund 100 Arbeitsstunden benötigende professionelle Hörbuchproduktion, erzählt Judith Grümmer, „und wir finanzieren uns komplett aus Spenden, oft aus der Hand in den Mund. Im September hatten wir eine zweimonatige Sperre und konnten keine neuen Anfragen annehmen, weil das Geld fehlte.“

Das Projekt Familienhörbuch ist bereits mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht und Judith Grümmer für die Initiative mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Voriges Jahr erhielt das Projekt den Zugabe-Preis der Körber-Stiftung, „Aber wir sind nach wie vor dringend auf Spenden angewiesen, um unsere Arbeit fortsetzen zu können“, so Grümmer. (wg)

Infos zu Spendenmöglichkeiten und zur Kontaktaufnahme gibt es auf der Internetseite des Projekts.