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Zwischen Sorglosigkeit und AngstWie Obdachlose in Bergisch Gladbach die Krise erleben

Lesezeit 4 Minuten

Patrick Graf und Fatma Siep vom Verein Die Platte reichen Lebensmittel für Obdachlose durchs Fenster.

  1. Wegen der Corona-Krise sind die Hilfsangebote in Bergisch Gladbach drastisch zurückgefahren.
  2. Deswegen steht nun jeden Samstag der Kältebus Frosti auf dem Charly-Vollmann-Platz.
  3. Wie die hilfbedürftigen Menschen die Krise erleben und wie ihr Corona-Alltag aussieht.

Bergisch Gladbach – Schon von weitem sieht man sie: Alte und Junge, Männer und Frauen, warten neben dem Rathaus in einer Schlange. Die Leute hier stehen für eine Mahlzeit an, weil sie sonst nicht wüssten, wie und wo sie etwas zu essen bekommen. Für Menschen, die keine Wohnung haben und arm sind, ist das Leben in Zeiten von Corona besonders hart.

Viele Hilfsangebote in der Stadt sind drastisch zurückgefahren. Die Tafel hat ihren Betrieb eingestellt. Auch die Sozialstation als feste Anlaufstelle für Wohnungslose ist aus Sicherheitsgründen geschlossen. Bislang teilte der Verein „Die Platte“ dort jeden Samstag warmes Essen aus. Das ist nun vorbei. „Wir mussten eine Lösung finden“, sagt Patrick Graf vom Vereinsvorstand. „Es kann ja nicht sein, dass Bedürftige in so einer Situation einfach vergessen werden.“ Deshalb macht sich jetzt jeden Samstag Kältebus Frosti auf zum Charly-Vollmann-Platz – im Gepäck Notfallpakete mit Lebensmitteln.

Schwierigkeiten bei Distanz

Viele in der Schlange sind gesprächig. Manchen fällt es sichtbar schwer, Distanz zu halten. Sonst haben sie ja nichts mehr außer der Gemeinschaft. „Abstände einhalten!“, ruft Vereinsvorsitzender Ali Misini mit freundlicher aber bestimmter Stimme. Die Einsicht in die Notwendigkeit ist nicht immer gegeben. „Scheiß auf Corona“, sagt ein Mann, klatscht einen Kumpel ab und umarmt ihn.

Eugen (36), der wie die meisten seinen vollen Namen nicht sagen will, ist vorsichtiger, hat sogar Desinfektionsmittel dabei. Zuhause bleiben kann er nicht, weil genau dieser Rückzugsort fehlt: „Mir macht das Stress, wenn mir einer zu nahekommt, vor allem nachts im Wohnheim.“

Schwächsten der Gesellschaft

„In der Fußgängerzone werden Wohnungslose angeschaut, als seien sie das Virus persönlich“, berichtet Misini. Dabei sind gerade sie es, die zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören, die unter Druck geraten. Risikogruppe sind Obdachlose wegen Alter und schlechter Gesundheit, Drogenkonsum und oft unbehandelter Vorerkrankungen. „Und auch wegen einer trügerischen Sorglosigkeit in dieser Gruppe“, sagt Graf.

Sie träfen sich weiterhin, teilten Flaschen und Zigaretten, die sie sich aus den Tabakresten weggeworfener Kippenstummel drehten. „Sie können sich noch nicht einmal regelmäßig die Hände waschen, alle Restaurants und Cafés, auch die öffentlichen Toiletten am Rathaus haben ja zu“, sorgt sich Graf.

Stadtverwaltung arbeitet unter Hochdruck

Auch die Stadtverwaltung arbeitet unter Hochdruck. Eine der brennenden Fragen: die Quarantäne-Situation in den vier Wohnheimen. „Wir sind dabei Vorkehrungen zu treffen, um Menschen unter Quarantäne stellen zu können“, sagt Stadtsprecher Martin Rölen. Aktuell seien dort etwa 120 Menschen untergebracht, denen sonst Obdachlosigkeit drohen würde. In den Zimmern sei generell eine Doppelbelegung vorgesehen. Glücklicherweise sei noch kein Fall bekannt geworden, dass einer der Bewohner sich mit dem Corona-Virus infiziert habe.

„Wir geben jetzt keinen warmen Eintopf mehr aus. Es ist zu eng dafür, dass die Leute sich setzen können“, erzählt Graf. Aber es gibt trotzdem ein in Plastik verpacktes Gericht – dank einer Spende von Christopher Rath, Caterer aus Köln, der sonst Filmsets beliefert und derzeit kaum Aufträge hat. Heute gibt es Rindersuppe mit Gemüse und Kartoffeln, die man sich aufwärmen kann. „Und Apfelkuchen, gebacken von uns Ehrenamtlichen“, ergänzt Fatma Siep vom Freiwilligen-Team.

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Gemeinsam mit einer Kollegin reicht sie die frischen Mahlzeiten aus dem Fenster des Kiosks der Sozialstation an die draußen anstehenden Menschen, bis weit hinters Rathaus erstreckt sich die Schlange jetzt.

Jeder erhält außerdem ein Care-Paket mit haltbaren Lebensmitteln wie Aufschnitt, Pasta, Bolognese-Soße oder Orangensaft. 70 Tüten sind es an diesem Samstag, die verteilt werden. „Solche Zahlen erreichen wir sonst immer erst am Ende des Monats“, sagt Graf. Denn wer obdachlos ist, könne derzeit kein Geld verdienen. Gespendet werde kaum noch, die Straßen sind menschenleer, auch Flaschensammeln sei nicht mehr möglich.

Wandlung

Auf dem Charly-Vollmann-Platz kann man gut beobachten, wie sich Obdachlosigkeit in Städten gewandelt hat. Peter (64) lebt unter dem Existenzminimum, erzählt er, seitdem sein Herrenausstatter-Geschäft Pleite gegangen ist: „Ich bin dankbar, dass ich hier für mehrere Tage etwas zu essen bekommen habe.“

Dann muss er wie die anderen Männer und Frauen mit den Tüten in der Hand weiterziehen. Am Kiosk werden die Fenster zugemacht. Nächsten Samstag gibt es wieder Tütensuppen, Toastbrot und vielleicht ein bisschen Hoffnung.