Wie Landrat Stephan Santelmann sein letztes Amtsjahr angeht und welche Herausforderungen er sieht.
„Wir gehen voll ans Limit“Wie Rhein-Bergs Landrat der Finanznot begegnet und was für ihn gar nicht geht
![Landrat Stephan Santelmann (CDU) sitzt beim Interview an einem Tisch im Kreishaus.](https://static.ksta.de/__images/2025/02/07/e56fa46e-f343-4fd5-bea7-fd2876330918.jpeg?q=75&q=70&rect=0,56,4000,2250&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=9314973643df5be04f3d4d1b866f34f9)
Landrat Stephan Santelmann (CDU) im Interview im Kreishaus.
Copyright: Guido Wagner
Ans Kürzertreten denkt Landrat Stephan Santelmann zu Beginn dieses Jahres nicht die Spur, auch wenn es sein letztes Amtsjahr als Kreishauschef ist, weil er bei der Wahl im Herbst nicht erneut kandidieren möchte. Über die größten Herausforderungen, das, was er noch abschließen möchte und seine großen Sorgen hat Guido Wagner mit dem 59-Jährigen gesprochen.
Was wird die größte Herausforderung in diesem Jahr?
Stephan Santelmann: Ich sehe zwei große Herausforderungen: Zum einen müssen wir die Demokratie stärken, zum anderen die finanzielle Situation der kommunalen Familie dringend verbessern.
Wie stärkt man die Demokratie?
Hier bei uns ist es beispielsweise an Silvester ruhig verlaufen. Das ist aber nicht überall so. Angriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehr – das sind No-Gos, das geht einfach nicht. Und auch jetzt die Angriffe und Anschläge von Solingen und Magdeburg – das fährt einem doch von Grund auf ins Mark.
Zweifellos, aber was kann man hier im Kreis dagegen unternehmen?
Da gehört sicherlich verstärkte Polizeipräsenz dazu, wie wir es ja auch auf der Wermelskirchener Kirmes nur einen Tag nach dem Messerangriff in Solingen hatten. Da gehören weitere Sicherheitsmaßnahmen wie Absperrungen und Poller zu. Und: Wir müssen die Gesellschaft weiter stärken und den Diskurs weiter fördern, wie ja jetzt auch die jüngste Ausgabe des Altenberger Forums von Kirchen und Politik zum Thema Extremismus gezeigt hat. Das war bislang ein Highlight des Altenberger Forums. Wir müssen uns auf ganzer Breite dieser Herausforderung stellen.
Und wie begegnen Sie der zweiten großen Herausforderung, der desaströsen finanziellen Lage der Kommunen?
Neben der Unterstützung der Forderungen der kommunalen Familie an Land und Bund – denn eines ist klar: ohne eine politische Entscheidung in Berlin geht es nicht – stellen wir uns auch der eigenen Verantwortung und haben beispielsweise den Arbeitskreis Haushaltssicherung gegründet. Seit März vorigen Jahres haben Politik und Kreisverwaltung darin ein Einsparvolumen in Höhe von 85 Millionen Euro auf fünf Jahre ermittelt. Und trotzdem geraten wir durch den notwendigen Verzehr von mehr als 25 Prozent der allgemeinen Rücklage in diesem Jahr in ein Haushaltssicherungskonzept. So gelingt es uns, für 2025 die Kreisumlage noch einmal stabil zu halten.
Ein letztes Mal. 2026 wird sie dann steigen.
Ja, das ist richtig, auf 27,3 Prozent. Von den 31 Kreisen in Nordrhein-Westfalen erhöhen mindestens 20 ihre Kreisumlage schon in diesem Jahr, 2025, wie eine Umfrage zeigt. Bei uns ist das erst im nächsten Jahr vorgesehen. Insofern sind wir da noch sehr kommunenfreundlich unterwegs, was ja auch die milde Stellungnahme der Kommunen zum neuen Doppelhaushalt des Kreises zeigt.
Sie haben eben von der „Kommunalen Familie“ gesprochen. Vor zwei Jahren ist man Sie wegen solch einer Äußerung noch harsch aus den Städten und Gemeinden angegangen, weil da kein Familiensinn von Seiten des Kreises erkannt wurde. Hat sich am Verhältnis zu den Kommunen etwas geändert?
Wir haben uns da nicht in einem Gefühl zusammengefunden, sondern in harter Arbeit an der Sache, wie unter anderem die Ergebnisse des Arbeitskreises Haushaltskonsolidierung zeigen. Ich denke dadurch wird klar: Der Kreis ist solidarisch mit den Kommunen – und wir meinen es wirklich ernst. Das hat auch Vertrauen zurückgewonnen.
Wo sind weitere Spar-Stellschrauben?
Das Portfolio ist breit gefächert: von neuen Modellen der Prozessoptimierung in vielen Bereichen bis hin zu einer vernetzten Nahverkehrsplanung – wir müssen noch effizienter werden. Setzen aber künftig auch mehr auf Risiko bei der Finanzplanung, haben einen globalen Minderaufwand von fünf Millionen Euro jährlich eingeplant. Wir gehen voll ans Limit. Für den Mut bei der Haushaltsaufstellung gab es durchaus auch schon Lob.
Wird es weitere Einschnitte beim ÖPNV wie die Einstellung des Auf-Abruf-Verkehrs „Efi“ oder des Schnellbusses im Norden des Kreises geben?
Sicher ist der ÖPNV immer eine große Stellschraube, bei dem alles auf den Prüfstand gestellt wird und wir uns in der Fläche neu und effektiver aufstellen müssen – auch mit den Erfahrungen aus dem Efi-Projekt in Odenthal. Dazu wird die Nahverkehrsplanung komplett neu aufgestellt werden, ein differenzierteres Liniensystem entwickelt werden, das dann auch wirklich den Bedürfnissen entspricht. Aber wie überall gilt auch da: Jeder Euro muss zweimal umgedreht werden.
Da, wo bislang „Efi“ im Einsatz war, steigen jetzt viele Menschen auf „Uber“ um.
Ja, und das ist den Taxi-Unternehmern ein Dorn im Auge . . .
Werden denn Verkehrsmittel wie „Uber“ bei der Neuplanung des Nahverkehrs auch berücksichtigt?
Klar, auch so etwas muss mitgedacht werden.
Wann ist das Kreishaus am Rübezahlwald so fertiggestellt, dass es die bislang im Kreishaus Gronau untergebrachten Teile der Kreisverwaltung aufnehmen kann?
Im Sommer dieses Jahres soll der Umzug erfolgen.
Wie sieht's bei der Kreispolizei aus? Da war ja mal ein Umzug der zentralen Behörde im Gespräch ...
Da prüfen wir derzeit eine Interimslösung, um noch einen Teil, möglicherweise eine komplette Direktion auszulagern . . . Ein kompletter Neubau ist aktuell auch fürs Land nicht finanzierbar.
Für die Feuer- und Rettungsleitstelle des Kreises ist ja auch am Kreishaus vor Jahren eine „Interimslösung“ gefunden worden, die mittlerweile gut etabliert ist.
Da sagen Sie was. Ja, aber das läuft auch ganz hervorragend dort – und ist ja durchaus mit allem ausgestattet, was gebraucht wird.
Mit der Übernahme der Berufskollegs von einem Zweckverband von Kommunen haben Sie ja nun noch eine marode Immobilie „an der Backe“. Wie sieht es da mit den Umzugsplanungen auf das Zandersgelände aus?
Ein erstes Gespräch mit dem Geschäftsführer der neu gegründeten Zanders Entwicklungsgesellschaft hat mich sehr optimistisch gestimmt. Es hängt natürlich auch vieles von den sonstigen Planungen auf dem Zandersgelände ab.
Machen Sie sich nicht Sorgen, dass die Regionale 2025 durch die Finanznot der Kommunen Schaden nehmen oder hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurückzubleiben könnte?
Nein, sämtliche Projekte sind derart nachhaltig und solide – auch mit Partnern – aufgestellt, dass dieser Motor an Entwicklung nicht durch die Finanzlage der Kommunen ausgebremst werden wird.
Was möchten Sie bis zum Ende Ihrer Amtszeit auf jeden Fall noch fertigstellen?
Sehr am Herzen liegt mit das Aqualon-Projekt. Wir haben dort jetzt eine wissenschaftliche Fachkraft, Universitäten kommen von sich aus, um als Wasserkompetenzpartner zusammenzuarbeiten und wir haben die Chance, die Wasserbildung dort deutlich auszubauen. Das Netzwerk, das Aqualon aufgebaut hat, ist wirklich einzigartig und ein großes Pfund in unserer Region, und es gibt noch so viele Projektideen, die wir aber in die entsprechenden Förderkulissen bekommen müssen. Auf jeden Fall möchte ich auch das Zanders-Projekt weiter vorantreiben, das gilt auch für den Bildungscampus. Und dann liegt mir eine dritte Förderschule in Wermelskirchen am Herzen . . .
Haben Sie dabei auch die Probleme der bestehenden Förderschulen im Blick? Die Fröbel-Schule in Moitzfeld etwa platzt aus allen Nähten und muss nun schon Klassen an die LVR-Förderschule in Rösrath auslagern …
Dass die Anmeldezahlen an unseren Förderschulen so hoch sind, spricht auch für die gute Arbeit, die hier geleistet wird. Wir sind unseren kommunalen Partnern sehr dankbar für diese Übergangslösung in Rösrath, arbeiten allerdings mit Hochdruck an weiteren Verbesserungen.
Am aktuellen Standort in Moitzfeld gibt es aber keine Erweiterungsmöglichkeiten mehr.
Dort nicht, aber vielleicht an einem anderen Ort. Auch hier arbeiten wir akribisch daran weitere Kapazitäten zu schaffen.
Ah, Rösrath, zwischen der LVR-Schule Am Königsforst, wo jetzt schon Fröbel-Schüler eine Interimsunterkunft gefunden haben. (lächelt) Warten Sie es mal ab. Es gibt bereits verschiedene Überlegungen, aber wir sind da noch in Gesprächen.
Was werden Sie bedauern, an Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin übergeben zu müssen?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Lassen Sie uns da nach dem Sommer noch einmal drüber sprechen. Noch bin ich sehr aktiv unterwegs – und es macht viel Freude, noch eine ganze Menge bewegen zu können.