Sommertour der RedaktionWas Rhein-Berg verbindet – Wir starten in Leichlingen
- Was verbindet die Menschen in Leichlingen an der Wupper mit denen in der Kreisstadt Bergisch Gladbach oder ihren Zeitgenossen in Overath oder Rösrath? Mehr als nur ein „GL“ auf dem Autokennzeichen?
- Eine Frage, der die Lokalredaktion in diesem Jahr bei ihrer Sommertour im wahrsten Sinne des Wortes nachgehen möchte.
- In acht Etappen geht's auf mehr als 130 Kilometern kreuz und quer durchs Kreisgebiet, an dessen Außengrenzen wie auch an unsichtbare Grenzen mitten in Rhein-Berg.
Rhein-Berg – Die erste Erkenntnis der Sommertour kommt schon auf dem Weg: Um aus dem Süden zum Start im nordwestlichsten Zipfel des Kreisgebiets zu gelangen, geht’s am besten „außenrum“ – über Köln und Leverkusen. Mit der Bahn wäre der Direktweg durchs Kreisgebiet gar nicht möglich, mit dem Auto würde es mindestens 20 Minuten länger dauern.
Der Empfang am Leichlinger Bahnhof ist für den Besucher aus dem Kreissüden herzlich. Lara Kötting in „Bines Büdchen“ weiß, was bei Hitze hilft: Wasser.
Wohin die meisten Reisenden vom Leichlinger Bahnhof aus hinfahren? „Meist nach Köln“, sagt sie, „und zum Shoppen auch mal nach Düsseldorf.“ Altbier hat sie allerdings nicht in den Büdchen-Kühlschränken. Leichlingen gehört fest zum Kölsch-Land.
Start in der Leichlinger City
Gero Schmitz kommt durch die Tür, fragt nach einem Kaffee und bekommt ihn mit einem Lächeln. Man kennt sich. Schmitz ist Grenzgänger. Genauer: Grenzfahrer. Alle zwei Stunden passiert er mit seinem Wupsi-Bus der Linie 257 die Kreisgrenze nach Langenfeld. Ob da ein Mentalitätsunterschied spürbar ist? Busfahrer Schmitz lächelt – und schweigt. Privat wohnt er jenseits einer anderen Leichlinger Außengrenze: in Leverkusen. „Ich arbeite gerne hier“, sagt er, in Leichlingen kennt er die halbe Stadt – und die Menschen ihn.
Während Schmitz zur Haltestelle vorfährt, wandern die Reporterschuhe die Straße hinunter in die Leichlinger City. Auf einem Hochparterre-Balkon sitzt ein Rentner, liest die Zeitung. „Richtige Mischung“, findet er mit Blick auf den Inhalt. „Leverkusen und was von uns.“ Ob er schon mal in Bergisch Gladbach war? Die Gegenfrage kommt prompt: „Warum?“
„Über die Wupper gehen“
Bergisch ist man in Leichlingen, daran wird man in der pulsierenden City an jedem dritten Geschäft erinnert: Bergisch Burger, Bergischer Hof und reichlich bergisches Fachwerk. Ups! Beinah unbemerkt ging’s gerade über die Wupper. Und das hat gar nicht weh getan. Dabei ist das doch anderenorts ein Synonym fürs Sterben oder zumindest eine tiefgreifende Veränderung. Nicht so in Leichlingen. „Der Spruch kommt aus Wuppertal“, sagt ein Passant und nickt flussaufwärts.
„Da soll der Friedhof früher auf der anderen Flussseite gelegen haben.“ Anderen Erklärungen zufolge bedeutete „über die Wupper gehen“ im 18. Jahrhundert die große Freiheit. Weil man so aus der Grafschaft Mark und damit dem Hoheitsgebiet von Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und seinen Zwangsrekrutierungsmaßnahmen ins Herzogtum Berg entkam. Wie auch immer: In Leichlingen kommt man nicht weit – ohne über die Wupper zu gehen.
Die Obstkammer des Bergischen Landes
Auf der anderen Seite sitzen Frauen mit frischer Dauerwelle und Strähnchen in der Sonne vor einem Friseurladen. Üppige Blumenrabatten säumen die Straßen, auf denen an diesem Samstag ordentlich Verkehr herrscht. Gut, dass es Wege hinauf in die Leichlinger „Berge“ gibt.
Die Etappe
Start: Bahnhof Leichlingen
Ziel: Wupperbrücke Glüder
Länge: 17,4 km, ca. 6 Std.
Profil: Bergauf und bergab entlang des Tals der Wupper, unter anderem auf dem Bergischen Streifzug Leichlinger Obstweg, dem Wupperweg, Bergischen Weg und Landrat-Lucas-Weg. Gesamtsteigung ca. 360 Höhenmeter
GPS-Daten: https://out.ac/IZe4Hn
Einer ist der Leichlinger Obstweg, dessen Starttafel an der Mittelstraße steht. Durch ruhigere Fachwerksträßchen geht’s zum Rand der City und durch einen Buchenwald auf die Höhe, von wo aus Düsseldorf im Nordwesten ebenso zu sehen ist wie bald Köln am südlichen Horizont. Streuobstwiesen, Birn- und Apfelbaumplantagen säumen den Weg. Nicht umsonst wird Leichlingen auch „Obstkammer des Bergischen Landes“ genannt.
Christa Meuthen und ihre Familie setzt auf Beerenobst. Heidel-, Him-, Stachel-, Johannis- und Erdbeeren wachsen neben dem Hof, zu dem auch Hühner, Weidegänse, Freilandputen und eine Mutterkuhherde gehören. Die Nachfrage im Hofladen habe während der Corona-Zeit – nach einem Plus im Zuge der „Fridays for Future“-Bewegung nochmals angezogen. Auch Wanderer seien verstärkt in den etwas abgelegenen Weiler gekommen.
Postkartenmotive an der Wupper
„Aber jetzt stehen viele Leute in den Startlöchern und warten nur darauf, dass sie wieder weit weg in Urlaub können“, hat Christa Meuthen festgestellt. Eine Kundin im Sommerkleid schaltet sich ein: „Für wen schreiben Sie?“ Die Antwort bestätigt offenbar ihren Verdacht: „Mit Ihren Ausflugs- und Wandertipps machen Sie uns hier das Leben schwer“, sagt sie. Die Wanderwege rund um Leichlingen seien ja schön, aber es müsse ja „nicht jeder“ herkommen, findet sie.
Mit einer Flasche Apfelsaft im Gepäck lässt sie den auswärtigen Wanderer gleichwohl ziehen – wieder hinunter ins Tal zur Wupper. Am Ufer ist ein typisch bergisches Motiv zu sehen: Der Wipperkotten auf der anderen Flussseite, die schon zu Solingen gehört, ist eins der bergischen Postkarten- und Kalender-Motive par excellence.
Kurz vor dem ersten Etappenziel
Vorbei geht’s an Gut Nesselrath, hinter dem einige Hartgesottene in der Mittagssonne auf den Selbstpflückfeldern Erdbeeren ernten, zur neuen Wupperbrücke, die der Rheinisch-Bergische Kreis gerade mit der Stadt Solingen anstelle eines maroden Vorgängerbaus errichtet hat. Auf geht’s ins „Ausland“. Die Wupper bildet hier die Grenze zu Solingen. Aber für einen Blick in den bis heute mit Wasserkraft betriebenen Wipperkotten lohnt der Abstecher. Durchs Fenster kann man dem Schleifer bei der Arbeit zusehen. Und echte Solinger Klingen gibt’s obendrein. So wie im Balkhauser Kotten unweit vom Ziel unserer ersten Etappe.
Vorher aber passiert der Wupperweg, der auf 125 Kilometern noch bis zur Quelle der Wupper bei Marienheide führt, in Obenrüden eine verlockende Einkehr. Handy-Empfang gibt’s hier im tief eingeschnittenen Tal kaum, aber Schorle und Bergische Waffel. Was will man mehr als Wanderer. Woher die meisten Gäste kommen? „Viele aus Leichlingen“, sagt die Bedienung, „manche sogar aus Köln – wenn sie uns hier finden...“
Auf felsigen Pfaden schraubt sich die Fernwanderroute „Bergischer Weg“ (Essen – Königswinter) nun am Denkmal für einen Hund, der seinem Herrchen einst bei der Jagd das Leben rettete, den Hang hinauf. Der Pfad folgt dem Landrat-Lucas-Weg, benannt nach Adolf Lucas, einst Landrat des 1929 aufgelösten Landkreises Solingen. Aber das ist eine andere Geschichte dieser Sommertour. Nach 17,4 Kilometern lockt an der Wupperbrücke in Glüder erst mal das Etappenende – und ein kühles Nass.
Am nächsten Wochenende folgt die nächste Etappe unserer Sommertour durch Rhein-Berg.
Nachgefragt
Was uns in Rhein-Berg verbindet? Als in Bergisch Gladbach geborener und in Rösrath aufgewachsener Wahl-Overather fiel mir da als erstes Kai Wahle aus Leichlingen ein, den ich noch aus dem gemeinsamen Geschichtsstudium an der Uni in Köln kenne.
Heute ist er Gymnasiallehrer in Leverkusen, während ich als Journalist im Südkreis arbeite. Wir treffen uns in seiner Heimat Leichlingen.
Welche Bedeutung spielt Bergisch Gladbach hier im Norden? Ist ja immerhin für das GL auf unserem gemeinsamen Autokennzeichen verantwortlich...
Kai Wahle: Ehrlich gesagt, es spielt keine Rolle. Karneval haben wir hier selbst, ausgehen kann man hier auch, und sonst fährt man nach Opladen oder Köln. Bergisch Gladbach ist da gefühlt viel weiter weg.
Was erzählt man als Leichlinger Auswärtigen gern aus der eigenen Stadt?
Die Wupper hier ist schon etwas Besonderes, auch die Höhen mit den Obstplantagen, und der Beiname „Blütenstadt“ stimmt wirklich: Das sieht man auch in der Innenstadt überall. Na, ja, und dann kennt man natürlich Herbert Reul, den NRW-Innenminister. Den hatte ich schon in der Grundschule im Unterricht...
Aber nicht als NRW-Innenminister!?
(grinst) Nein, meine Schulzeit ist doch schon was länger her. Aber Herbert Reuls Vater, Karl Reul, war mein Klassenlehrer im ersten Schuljahr an der katholischen Grundschule, wo er Rektor war. Und sein Sohn Herbert hat ihn da als Lehrer mal vertreten. Karl Reul war hier lange ehrenamtlicher Bürgermeister und sehr engagiert, neben der Politik unter anderem auch im Karneval und in der Kultur.
Gibt’s etwas, das einen Leichlinger in den Süden des Kreisgebiets verschlagen könnte?
Bei mir war’s der Sport: Volleyball. Da haben wir auch schon mal im Cyriax gespielt. Und in Hoffnungsthal, das ist auch Overath, oder?
Fast, es gehört zur Nachbarstadt Rösrath.
Ach so. Ja, jedenfalls hat der Sport schon etwas Verbindendes für den Kreis.
Auch wenn’s hier in Leichlingen so etwas Exotisches wie Rasenkraftsport gibt...
Klar, beim Leichlinger TV. Aber hör auf. Ihr habt Korfball, das kennt hier oben kaum einer. (lacht)
Was macht Leichlingen aus?
Ich habe lange in einer Kneipe gejobbt und in einer Band gespielt und hier immer ein sehr liberales Klima erlebt. Das tut auch Kleinstädten in der Umgebung gut.
Das Gespräch führte Guido Wagner.