Vom Saubermacher zum Katastrophenmanager: Vor 95 Jahren wurde der Wupperverband aus der Taufe gehoben. Aufgaben haben sich gewandelt.
95 Jahre WupperverbandWie eine Kloake wieder zu einer Lebensader wurde
Die Anfänge waren dramatisch, die Initiative buchstäblich aus der Not herausgeboren. Denn der längste Fluss im Bergischen Land, die Wupper, war infolge der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums kein Fluss mehr, sondern nur noch eine Kloake. Weitere drängende Probleme waren regelmäßige Hochwasserkatastrophen auf der einen Seite und der Bedarf an Wasser für eine wachsende Industrie und Bevölkerung auf der anderen Seite. Die damals verantwortlichen Politiker entschieden sich daher dafür, die Lösung dieser Aufgaben in die Hände einer Organisation zu legen, die das gesamte Flussgebiet der Wupper mit einer Größe von 813 Quadratkilometern betreut.
Am 8. Januar 1930 trat deshalb das Wuppergesetz in Kraft – die Geburtsstunde des Wupperverbands, der damit nunmehr seit 95 Jahren für die Wasserwirtschaft im Gebiet von der Quelle des Flusses bei Marienheide über seinen Mittellauf bei Wuppertal und Remscheid bis hin zur Mündung der Wupper in den Rhein bei Leverkusen zuständig ist.
„Der Wupperverband wurde damals gegründet, damit die wasserwirtschaftlichen Aufgaben im Flussgebiet Wupper über kommunale Grenzen hinweg in einer Hand liegen“, blickt Wupperverbands-Vorstand Ingo Noppen zurück. In der Region betreibt der Verband heute elf Kläranlagen wie in Odenthal-Osenau, eine eigene Schlammverbrennungsanlage, 14 Talsperren wie die Große Dhünn-Talsperre zwischen Kürten, Odenthal und Wermelskirchen sowie 26 Hochwasserrückhaltebecken und zwei Labore. Für rund 2300 Kilometer Gewässer (Wupper inklusive aller Nebengewässer wie die Dhünn) sowie mehr als 955 Hektar Forst ist der Wupperverband zuständig.
Und auch wenn heute wieder zahlreiche Lebewesen im einstigen Kloakenfluss zu Hause sind, so sind die Herausforderungen für den Wupperverband auch im 95. Jahr seines Bestehens groß. „Die Wasserverbände sind eine Besonderheit in Nordrhein-Westfalen und als Solidargemeinschaft aktueller denn je“, so Verbandsvorstand Noppen: „Gerade Herausforderungen, wie beispielsweise die Folgen des Klimawandels, zeigen: Das Flussgebietsmanagement ist der richtige Weg. Wasser macht nicht an kommunalen Grenzen halt.“
Blick auf das Ganze von der Quelle bis zur Mündung in den Rhein
So gehen die Wasserexperten des Verbandes heute Fragestellungen wie Maßnahmen zur Vorsorge gegen Hochwasser und Trockenheit, Gewässerentwicklung, Versorgung mit Brauchwasser, Bereitstellung von Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung und Abwasserbehandlung nach. „Mit einem Blick auf das große Ganze von der Quelle bis zur Mündung“, betont Noppen.
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts finanziert sich der Wupperverband damals wie heute aus den Beiträgen seiner Verbandsmitglieder. Dies sind die Städte und Gemeinden, Kreise, Wasserversorgungsunternehmen sowie Industrie und Gewerbe im Wuppergebiet. Den Beitragsbedarf für die Arbeit des Verbandes beschließen die Mitglieder in der Verbandsversammlung. Dies ist ein demokratisches Gremium, in das die Verbandsmitglieder Delegierte entsenden.
Abwasserreiniger für 900.000 Menschen im Bergischen Land
Der Wupperverband reinigt heute nach wie vor das Abwasser von mehr als 900.000 Menschen sowie der örtlichen Unternehmen. Er reguliert mit seinen Talsperren den Wasserabfluss in der Wupper in Trockenzeiten (Niedrigwasseraufhöhung) und leistet Hochwasserschutz. Aus der Großen Dhünn-Talsperre, der Kerspe- und der Herbringhauser Talsperre stellt der Verband Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung durch die Wasserversorger bereit, die täglich Trinkwasser für rund eine Million Menschen von Odenthal bis Wuppertal aufbereiten.
Zudem ermittelt der Verband die wasserwirtschaftlichen Grundlagen für sein Verbandsgebiet wie die auch in dieser Zeitung regelmäßig veröffentlichten Niederschlagsdaten. Die Beobachtungen von Pegelständen und Wasserabflüssen sind in einer Zeit, da Starkregenereignisse zunehmend verheerende Folgen haben können, wichtiger denn je geworden – und vom Wupperverband insbesondere nach der Starkregenflut vom Juli 2021 nochmals forciert worden.
Heute leben wieder rund 30 Fischarten in der vor 100 Jahren noch toten Wupper
Der einstige Abwasserfluss Wupper hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt: Die Maßnahmen des Wupperverbandes zur Abwasserentsorgung, zum Beispiel der Ausbau und die ständige Optimierung der Kläranlagen, sowie zur Renaturierung und naturnahen Gewässerentwicklung zeigen Wirkung. „Die Wupper ist heute wieder Lebensraum für rund 30 Fischarten. Auch empfindliche Arten wie Lachse können sich im Fluss wieder wohl fühlen“, zieht Pressesprecherin Susanne Fischer zufrieden Bilanz. „Die Menschen genießen wieder Erholung und Freizeit am und auf dem Fluss. Dies war noch bis vor 40 Jahren kaum denkbar, denn der Fluss war bis in die 1970er Jahre noch extrem belastet.“
Allerdings bleibt für den Verband bei allen schon erzielten Ergebnissen und Erfolgen weiterhin viel zu tun: Bei den Renaturierungsprojekten im Wuppergebiet hat der Verband nach eigenen Angaben gerade die Halbzeit erreicht. „Viele Abschnitte der Wupper und der Nebenbäche haben inzwischen wieder natürlichere Strukturen und ein abwechslungsreiches Flussbett“, so Fischer. In den kommenden Jahren seien aber auch noch rund 600 größere und kleinere Projekte im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu bearbeiten. Diese fordere den „guten Zustand“ aller Oberflächengewässer in Europa.
Aufgaben auch noch weit über den 100. Geburtstag des Verbands hinaus
Und auch bei der Abwasserreinigung gibt es noch einiges zu tun, um nach Vorgabe der EU-Kommunalabwasserrichtlinie Nährstoffe noch besser aus dem Abwasser zu entfernen, energieneutral zu werden und auch Rückstände von Medikamenten und Chemikalien (so genannte Spurenstoffe) gezielter zu entfernen.
In Sachen „Anpassung an den Klimawandel“ schließlich hat der Wupperverband in seinem „Zukunftsprogramm Hochwasserschutz“ einen Umsetzungsfahrplan mit rund 200 Maßnahmen aufgestellt. „Einige Projekte sind bereits umgesetzt oder in Bearbeitung“, so Pressesprecherin Fischer. Die weitere Bearbeitung sei aber eine Langzeitaufgabe. Die dürfte durchaus auch noch über den 100. Geburtstag des Verbandes in fünf Jahren hinausreichen.