„Man muss Brücken bauen“Bedburg schließt Freundschaft mit Partnerstadt in Israel
Bedburg – Eine weite Anreise hatten Hannah Monin, die jetzt in Tel Aviv lebt, die Delegation der neuen Partnerstadt Pardes Hanna-Karkur, im Distrikt Haifa gelegen, und das dortige Tanzensemble Hora Aviv. Zum Start der Städtepartnerschaft mit Bedburg, die mit einem beeindruckenden Festakt im Schloss begründet wurde, waren sie aus Israel an die Erft gekommen.
Begonnen hatte der Tag auf dem jüdischen Friedhof an der Kölner Straße. Hannah Monin (95) ging zuerst durch die Gräberreihen („Schön, dass noch so viele Grabsteine da sind“), bevor sie an der letzten Ruhestätte ihres Großvaters Hermann Franken innehielt. Franken, 1919 gestorben, war ein angesehener Bedburger und lebte mit seiner Familie seit 1880 als Händler und Makler im späteren Rathaus am Markt. Hannah Monin war oft bei der Großmutter zu Besuch.
Bedburg: Bronzeplakette an Grabstein fehlte
Dem Grabstein ihres Großvaters fehlte über viele Jahrzehnte eine Bronzeplakette im Kronstein. Durch Zufall hatte Stadtarchivar Bastian Möller beim Umzug des Archivs in den neuen Kasterer Rathausanbau das Epitaph gefunden. Heinz Obergünner, Chef des örtlichen Geschichtsvereins, ließ die hebräische Inschrift übersetzen: „Auf Deine Hilfe hoffe ich, Ewiger.“ Obergünner kümmert sich auch um das jüdische Gräberfeld und hatte eine Idee, wo die Plakette fehlen könnte. Und das verschollen geglaubte Fundstück passte wie ein Puzzleteil in die verwaiste Aussparung am Grabstein.
„Jetzt wird zusammengefügt, was längst zusammengehört hätte“, sagte Bürgermeister Sascha Solbach. Wie und wann die Tafel ins Stadtarchiv gelangt ist, sei nicht mehr zu ermitteln.
Grabstein in Bedburg endlich wieder komplett
„Wir pflegen unsere Gräber. Hitler hat das Judentum auslöschen wollen. Wir zeigen dadurch, dass wir noch da sind“, sagte Monin. „Wir sind gekommen, um uns zu erinnern und um zu danken, dass der Grabstein wieder komplett ist“, sagte ihr Großneffe Yoshi Meiri, der auf israelischer Seite als „Brückenbauer“ (Solbach) der Städtepartnerschaft gilt.
Die wurde bereits 2020 geschlossen. Coronabedingt kam es nach vielen virtuellen Kontakten erst jetzt zu einem persönlichen Treffen. Dabei war auch eine Delegation aus Halver, einer Kreisstadt östlich von Remscheid. Seit 32 Jahren unterhält die Tanzgruppe Hora Aviv eine Städtefreundschaft mit Halver. Solbach, sein Halveraner Kollege Michael Brosch und Stadtrat Yoni Hakimi aus Pardes Hanna-Karkur versicherten beim abendlichen Festakt im Schloss einmütig, dass die Partnerschaft zu einem Dreiecksbündnis ausgebaut werden soll.
Dreierbündnis soll entstehen
Brosch berichtete von dunkler Vergangenheit zu Zeiten des Nationalsozialismus, als Halver eine Hochburg der NSDAP gewesen sei. „Die jüdischen Nachkommen hätten allen Grund, mit der alten Heimat abzuschließen. Aber die Jugend öffnet sich und füllt unsere Partnerschaft mit Leben“, sagte Brosch. „Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Das wird unsere Partnerschaft stärken“, betonte Yossi Meiri.
Hannah Monin gab Einblicke in ihre Jugendzeit. Sie lebte bis 1938 mit den Eltern in Düsseldorf. „Obwohl das eigentlich nicht erlaubt war, hat der Vater uns immer mit in den Männerraum der Synagoge mitgenommen. Ich durfte dort die Thora-Rolle weiterdrehen“, erinnert sie sich lebhaft. Aber auch – hörbar nachdenklicher – daran, dass ihre Freundinnen sie plötzlich mieden, etwa weil die Eltern Angst vor Nachstellungen durch die Nazi-Schergen hatten. „Ich habe das als Kind nicht verstanden. Wir sind doch normale Menschen.“ Eindringlich riet sie: „Man kann die Geschichte nicht wegmachen. Aber man muss Brücken bauen. Und ich hoffe sehr, dass der aktuelle Krieg nicht weiter und weiter geht.“ Stehend applaudierte das Publikum.
Israelische Gruppe tanzte in Bedburg
Gelöster wurde die Stimmung, als die Hora-Aviv-Tanzgruppe in einen fast zweistündigen Auftritt ihr Können zeigte. Traditionelle Tänze bot das Ensemble in überzeugender Synchronität. Pure Lebensfreude sprach aus den originellen Choreographien, was durch im raschen Takt gewechselte, farbenfrohe Kostüme unterstrichen wurde.
Auf den mit großem gegenseitigem Respekt und teils bewegenden Worten der Festredner gelegten Grundstein der Partnerschaft sollen in Zukunft kulturelle, sportliche, musikalische und gesellschaftliche Begegnungen errichtet werden, wie die im Bedburger Rathaus zuständige Anna Noddeland versicherte. Auch über Themen wie Energiewende und Stadtentwicklung, soll ein reger Austausch stattfinden.
„Das war heute ein erster Schritt auf der neue Brücke. Lasst uns die Partnerschaft im Herzen tragen“, forderte Solbach auf, bevor die neuen Partner zwanglos bis Mitternacht weiterfeierten. In einigen Monaten soll es einen Gegenbesuch in Pardes Hanna-Karkur geben.
Gebetsteppich zurückgegeben
Eine Überraschung hatte die Drogistenfamilie Gummersbach für Hannah Monin, die als Hilde Edith Franken aufgewachsen ist, mit zum deutsch-israelischen Kulturabend mit gebracht. Sie überreichten der Enkelin von Hermann Franken einen jüdischen Gebetsteppich. „Mit dem Teppich wurde der Thora-Schrank abgedeckt“, erläuterte Hannah Monin, sichtlich gerührt.
Robert Gummersbach hatte 1909 einen Colonialwarenladen mit Drogerieabteilung am Markt, gegenüber dem Franken’schen Wohnhaus übernommen. Roberts Urenkel Frank Gummersbach, der die Drogerie heute mit Vater Dieter an der Lindenstraße führt, erzählt die in der Familie überlieferte Geschichte: „1938 klingelte es. Vor der Tür stand die Familie Franken. Sie musste überstürzt fliehen. Den Teppich gaben sie meinen Urgroßeltern. Ob als Andenken oder zur Verwahrung, ist nicht überliefert.“ Das Stück wurde bis heute in einer Schublade im Hause Gummersbach aufgehoben, in Seidenpapier eingewickelt unter der Tischwäsche. „Das war anfangs nicht ungefährlich, weil meine Vorfahren damals Juden eigentlich im Laden nicht mehr bedienen durften“, sagte Frank Gummersbach. Dann wurde er sehr persönlich. „Alle haben gewusst, was geschieht, aber sie haben geschwiegen. Ich entschuldige mich heute für das Schweigen und hoffe, dass wir künftig alle nicht schweigen über die Vergangenheit. Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot“.
Hannah Monin war zunächst sprachlos und riet dann: „Helfen Sie immer den Menschen, die vernichtet werden sollen, ohne dass sie jemandem etwas getan haben.“