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Eine eigene Verfassung schreibenWie Demokratie in Bergheimer Kitas gelebt wird

Lesezeit 5 Minuten
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Kinderstube der Demokratie: In der Glescher Kita Regenbogen bestimmen die Kinder, was sie zum gemeinsamen Frühstück mitbringen.

  1. Zwölf städtischen Kitas in Bergheim werden derzeit zu „Kinderstuben der Demokratie“ umgewandelt.
  2. Partizipation ist das Stichwort, die Kinder sollen teilhaben, so wie es am Weltkindertag am Freitag gefordert wird.
  3. Über alles wird in der jungen Gruppe geredet – und nicht einfach nur geschimpft.

Bergheim – Fabian (5) ist sich seiner Verantwortung bewusst. Nicht für alle Bewerber aus der Bärengruppe ist Platz in der Puppen- oder der Bauecke oder auf dem Außengelände, und so verteilt er Kärtchen, die Zutritt zu den begehrten Plätzen verschaffen. „In die Puppenecke dürfen nur fünf Kinder, und in die Bauecke auch“, sagt das Vorschulkind.

Der Morgenkreis in der Bärengruppe im Kindergarten Regenbogen in Glesch wird zum größten Teil von den Kindern selbst gestaltet. Zwar geben die Erzieherinnen die Richtung vor, aber die Kinder haben das Sagen. Für nächste Woche ist ein gemeinsames Frühstück geplant – und jeder darf selbst auswählen, was er mitbringt.

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Vorschulkind Fabian hilft, die Mädchen und Jungen auf die Spielorte im Kindergarten zu verteilen.

Auch Beschwerden stehen auf der Tagesordnung. Greta etwa ärgert sich, dass die Toilette schon wieder schmutzig hinterlassen wurde. Auch darüber wird in der Gruppe geredet – und nicht einfach nur geschimpft.

„Kinderstuben der Demokratie“

Die zwölf städtischen Kitas in Bergheim werden derzeit zu „Kinderstuben der Demokratie“ umgewandelt. Bis Ende 2020 soll das geschehen und bis dahin alle Erzieherinnen und Erzieher geschult sein. Partizipation ist das Stichwort, die Kinder sollen teilhaben, so wie es die UN-Kinderrechtskonvention oder das Sozialgesetzbuch vorschreiben und wie es an jedem Weltkindertag am Freitag immer wieder gefordert wird.

„Alle städtischen Kindertagesstätten führen Beteiligungsprojekte, das Beschwerdeverfahren und eine eigene Verfassung ein“, erläutert Gerlinde Maier vom Jugendamt der Stadt. Ziel sei, die Kinder stark zu machen. „Es ist der beste Kinderschutz, wenn Kinder lernen, dass sie Rechte haben, dass sie eine Meinung haben dürfen und gehört werden.“ Und ihre Kollegin Andrea Hufermann fügt hinzu: „Das gilt nicht nur im Umgang mit anderen Kindern. Die Kinder werden befähigt, auch Erwachsene in Frage zu stellen.“

Kinder und Personal profitieren

Dazu bedürfe es auch eines Umdenkens beim Personal. „Erzieherinnen geben natürlich auch ein Stück Macht ab“, sagt Sandra Bick, die Leiterin des Kindergartens Regenbogen, an dem das in Kiel am Institut für Partizipation und Bildung entwickelte Projekt Kinderstube der Demokratie schon seit einem halben Jahr gelebt wird.

Letztlich profitierten beide Seiten. „Über die Verfassung gibt es Verlässlichkeit für alle“, sagt Sandra Bick. Dort würden alle Angelegenheiten des Kindergartens klar geregelt. So könne etwa genau die Temperatur festgelegt werden, ab welcher ein Kind selbst entscheiden dürfe, ob es mit oder ohne Jacke ins Außengelände gehe. „Es kommt dann nicht mehr vor, dass eine Erzieherin eine Ansage macht, die von einer anderen wieder aufgehoben wird.“

Eigene Vorschläge und geheime Wahlen

Einbringen können sich die Kinder bei vielen Themen. Das gelte für die Gestaltung neuer Räume oder des Sommerfests etwa oder auch für die Zusammensetzung des Essens. Die Vorschulkinder in Glesch etwa dürfen bestimmen, welche Ausflüge sie machen. „Früher haben wir vorgegeben, dass es zur Polizei und zur Feuerwehr geht“, sagt Sandra Bick. Nun hätten sich die Kinder aber beispielsweise auch eine Fahrt zu einem Indoor-Spielplatz gewünscht. „Das haben wir erfüllt.“

Auch geheime Wahlen kann es dabei geben. Weil die Kinder noch nicht schreiben können, wird in der Glescher Kita auf andere Weise gewählt: Die Kinder legen Glassteine beispielsweise auf Fotos der Projekte, die sie gern verwirklicht sehen möchten.

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Doch gebe das Personal nicht alles aus der Hand, Sicherheitsfragen etwa seien Sache der Erzieherinnen. Aber ansonsten gelte, dass bei der Entscheidungsfindung der Kinder auch nicht manipuliert werden dürfe, indem man die Kinder für das eine oder andere Projekt begeistere.

Die Umstellung auf die Kinderstube der Demokratie geschieht nicht von heute auf morgen. Die Schulung der Erzieherinnen etwa ist auf zwei Jahre verteilt. Und: „Die Paragrafen der Verfassung etwa werden Schritt für Schritt eingeführt“, sagt Gerlinde Maier. Erst wenn ein neuer Paragraf auch den Eltern vorgestellt und verinnerlicht sei, könne der nächste angegangen werden. Und auch nach der Einführung des letzten Paragrafen gehe es weiter. „Die Verfassung muss gelebt und immer wieder neu geprüft werden“, sagt Maier.

Fakten und Termine

In Brühl wurden von 2016 an die Mitarbeiter der neun städtischen Tageseinrichtungen durch eine Fachstelle beim Jugendamt über ein Konzept zur Partizipation informiert. Alle Kindergärten haben anschließend ein Beschwerdemanagement eingeführt und begonnen, eine „Verfassung“ zu entwickeln. Darin sind die Mitbestimmungsrechte der Kinder verbindlich festgeschrieben. Zu den Mitbestimmungsformen gehören Kinderkonferenzen und ein Kinderparlament. Dort können die Vertreter über Spielgestaltung, Auswahl von Projekten und Mittagsessen sowie die Gestaltung der Gruppenräume mitbestimmen. Derzeit initiiert die Stadt zudem eine intensive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler aller Grund- und weiterführenden Schulen. Kinderparlamente unter der Regie der Grundschulen existieren in St. Franziskus und Brühl-Badorf. Am Weltkindertag wird vom Kinderschutzbund Auf der Bleiche von 15.30 bis 18 Uhr ein Spielenachmittag organisiert. Dazu wird das bekannte Spielmobil „Kuntibunt“ bestückt mit Spielgeräten kommen. Mit Spielangeboten werden ebenfalls das Evangelische Familienzentrum Brühl, das Familienzentrum St. Margareta des Sozialdienstes der katholischen Frauen, die Katholische Junge Gemeinde St. Margareta, die Katholische studierende Jugend Brühl, die Pfadfinder „Stamm Kurfürst“, das Technische Hilfswerk Brühl, Terre des hommes Brühl und der „Vor Ort“-Verein vertreten sein.

In Erftstadt wird es in beiden Buchhandlungen Köhl (Lechenich, Bonner Straße, und Liblar, Am Holzdamm) gratis Äpfel und Märchenbücher für Kinder geben.

In Wesseling hat der Jugendhilfeausschuss in den vergangenen Monaten mehrfach die Mitsprachemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen diskutiert. Seit vielen Jahren gibt es bereits die Kinder- und Jugendanhörung, bei der Schülerinnen und Schüler der Grund- und weiterführenden Schulen die Möglichkeit haben, ihre Ideen einzubringen. In Workshops werden Wünsche und Anregungen gesammelt und danach von der Verwaltung priorisiert und wenn möglich umgesetzt. Das Priorisieren der Ergebnisse soll in Zukunft der Jugendrat übernehmen. Wie eine Wahlversammlung für den Jugendrat aussehen soll, wie lange die Wahlzeit gehen wird und weiteres wird die Verwaltung in einem Konzept erarbeiten und Jugendhilfeausschuss und Rat vorlegen. Zum Weltkindertag heute wird von 15 bis 18 Uhr im Pavillon im Rheinpark, Parkstraße, unter anderem Musik und Kinderschminken angeboten. Erfrischungsgetränke sind kostenlos, Kuchen ab dem zweiten Stück und Waffeln kosten 50 Cent. (wok, kom, jes)