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Martinswerk-Jubiläum in BergheimWeißes Pulver schützt vor Feuer

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Das Martinswerk bei Quadrath-Ichendorf aus der Luft: Seit 100 Jahren werden hier Grundstoffe für die chemische Industrie produziert.

Bergheim-Quadrath-Ichendorf – Die einen reden von der Aluminiumfabrik, andere von der Marmeladenfabrik – in Anspielung auf den Rotschlamm, der noch bis 1995 bei der Produktion als Rückstand angefallen ist. Doch ganz genau vermag kaum jemand zu sagen, was hinter dem Zaun in den Anlagen zwischen Quadrath-Ichendorf und Kenten hergestellt wird. Das Martinswerk ist ein Unternehmen, „von dem viele, vielleicht sogar die meisten Einwohner der Kreisstadt nie genau wussten, was dort eigentlich produziert wird“, schrieb der langjährige Prokurist des Werks, Rupert Mayer, in seiner 2001 erschienen Chronik.

Am Samstag, aus Anlass des 100-jährigen Bestehens, gibt es Gelegenheit, sich über die Arbeit im Martinswerk schlauzumachen. Bei Werksführungen ist am Samstag, 20. September, 10 bis 16 Uhr, die Veredlung des in der Natur vorkommenden Aluminiumhydroxids und die Weiterverarbeitung zu Aluminiumoxid zu sehen. Die Stoffe sehen völlig unspektakulär aus. „Wir stellen weißes Pulver her“, sagt Martinswerk-Sprecher Georg Wolter. Verwendet werden die beiden Stoffe – ursprünglich für die Metallverhüttung hergestellt – heute jedoch weltweit und vielfältig. Aluminiumhydroxid etwa wird für den Flammschutz von Kunststoffen eingesetzt. Kabel oder andere Kunststoffe, die mit dem Stoff versetzt sind, können nicht in Brand geraten.

So findet sich Aluminiumhydroxid in Armaturenbrettern von Autos oder in Flugzeugsitzen. „Wir verkaufen die eingebaute Feuerwehr“, sagt Nicole Bode, Assistentin der Geschäftsführung. Aluminiumoxid wiederum ist ein Ersatzstoff für Asbest. „Er ist sehr hitzebeständig und findet Verwendung in Brems- und Kupplungsbelägen, in Zündkerzenhütchen oder in Hochspannungsisolatoren“, sagt Wolter. Zwar sei das Werk ein Chemiestandort, gefährlich seien die Stoffe aber nicht. „Wir arbeiten nicht mit Gefahrgut“, sagt Wolter. Die Stoffe könnten nicht mit anderen chemisch reagieren.

Aluminiumoxid und Aluminiumhydroxid sind seit jeher die Güter, die das Martinswerk verkauft. Am 6. Februar 1914 wurde das Werk „für chemische und metallurgische Produktion“ im Handelsregister des Königlichen Amtsgerichts in Bergheim eingetragen, am 1. Dezember 1915 nahm das Martinswerk seinen Betrieb auf. Geschäftsführer war ein Schweizer Industrieller, der dem Martinswerk seinen Namen gab: Martin Schindler. Gründerin war die schweizerische Aluminium-Industrie AG. Die Standortvorteile von damals gelten laut Werkssprecher Wolter noch heute: „Der Eisenbahnbau war damals gerade abgeschlossen, und noch heute bringen wir unsere Produkte unter anderem per Bahn schnell zu unseren Kunden.“ Und: Das Martinswerk hat nicht nur einen Bahnanschluss, sondern von der ersten Stunde an auch sein eigenes Kraftwerk, in dem Braunkohle aus dem Tagebau in Energie und Heizwärme umgewandelt wird. „Wir versorgen uns selbst.“

Das Jahr 2001 war einschneidend in der Firmenhistorie: Das Martinswerk wurde aus dem Schweizer Mutterkonzern, der inzwischen unter dem Namen „algroup“ firmierte, herausgelöst und an den US-Konzern Albemarle verkauft. Geschadet habe es dem Martinswerk nicht, sagt Wolter. „Die Zahl der Kunden und ihre Verteilung auf dem Globus wächst.“ Dennoch sei man ein familiäres Werk geblieben. „Wir haben Mitarbeiter, die bereits in der vierten Generation hier beschäftigt sind.“ Daher sei die Identifikation mit dem Werk sehr hoch.