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Zugunglück in Brühl vor 20 Jahren„Im Wohnzimmer stand eine Lok“

Lesezeit 3 Minuten

Die Eltern von Rainer Rattay blieben bei dem Zugunglück nur um Haaresbreite unversehrt.

  1. Vor 20 Jahren entgleiste in Brühl ein Zug auf dem Weg von Amsterdam nach Basel. Neun Menschen starben, 143 wurden verletzt.
  2. Die Lokomotive krachte unkontrolliert in ein Wohnhaus - die Bewohner blieben wie durch ein Wunder unverletzt.
  3. Die Erinnerungen an das Unglück sind auch nach 20 Jahren noch nicht verblasst.

Brühl – Manche Bilder haben sich in Petra Rattays Gedächtnis eingebrannt. Die Gesichter der verwirrten Passagiere, die sich aus dem verunglückten Zug befreit hatten und hilfesuchend durch die dunklen Straßen liefen, der Nebel aus aufgewirbeltem Staub, der noch viele Minuten nach dem Entgleisen der Bahn die Sicht erschwerte und die Leichenwagen, die am Tag danach aufgereiht auf der Straße Am Inselweiher standen, um die Toten fortzubringen. „Mir fallen noch viele Details ein“, sagt sie.

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Bei dem Unglück starben neun Menschen, 143 wurden verletzt.

In den Sekunden, als der Zug von den Schienen des Überholgleises abkam und die Lokomotive erst im Haus ihrer Schwiegereltern zum Stehen kam, hielten sich Petra Rattay und ihr Mann zu Hause in Berzdorf auf. Dann rief die Schwiegermutter an. „Sie hat gesagt, im Wohnzimmer stehe eine Lok“, sagt Petra Rattay. Das kurze Telefonat hinterließ viele Fragen. „Vor allem haben wir uns Sorgen um meinen Vater gemacht. Denn meine Mutter hatte nicht gesagt, wie es ihm geht“, sagt Rainer Rattay. Während sie sich eilig aufmachten, ahnten die beiden, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie hatten schnell Gewissheit. Als das Ehepaar Brühl erreichte, heulten die Sirenen von den Dächern. Kurz vor Rainer Rattays Elternhaus kamen ihnen Passagiere des Unglückszugs entgegen. „Die Menschen waren traumatisiert und wussten nicht wohin“, sagt Petra Rattay. Immerhin erfuhr sie nun, dass die Schwiegereltern unversehrt waren, obwohl deren Haus arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Sie hatten glücklicherweise kurz zuvor das Wohnzimmer verlassen, um ins Bett zu gehen“, sagt sie.

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Feuerwehr und Polizei gehen den Ursachen des Unglücks auf den Grund.

Rund herum herrschte jedoch Chaos. Rettungskräfte versuchten, die Verletzten zu versorgen. Anwohner, die kaum fassen konnten, was geschehen war, unterstützten die Helfer. „Vor diesem Einsatz habe ich bis heute Hochachtung“, sagt Petra Rattay, die sich mit ihrem Mann um die Schwiegereltern kümmerte. „Weil das Haus einsturzgefährdet war, durften wir nur in Begleitung von Feuerwehrleuten kurz hinein, um das Nötigste mitzunehmen“, sagt Rattay, der seine Eltern in Berzdorf aufnahm.

Geblieben sind die Erinnerungen

Am nächsten Tag kehrten die Rattays zurück, verschafften sich ein Bild der Lage. „In den Tagen danach haben meine Schwiegermutter und ich Brötchen für die Helfer geschmiert“, erinnert sich Petra Rattay. Ihrer Schwiegermutter habe es bei der Verarbeitung geholfen, anzupacken, etwas zu tun. Sie habe das Geschehene nie verdrängt, sondern auch später viel darüber geredet. Und sie sei oft zu dem nicht mehr standsicheren Haus gefahren, um nach dem Rechten zu schauen. „Sie hat auch den Abriss mit eigenen Augen verfolgt. Das waren Dinge, die sie zum Verarbeiten brauchte“, sagt Rainer Rattay.

Sein damals 71-jähriger Vater habe derweil im Malerbetrieb des Bruders angepackt und auch den Neubau des Hauses intensiv begleitet. Das sei wohl seine Form gewesen, die Geschehnissen zu bewältigen.

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Inzwischen sind die Eltern verstorben. Und der 61-Jährige und seine Frau sind in das Elternhaus eingezogen. Sorge, dass sich noch einmal ein Unglück ereignet, haben sie nicht. Das Überholgleis unmittelbar hinter dem Garten sei längst fort. Geblieben sind ihre Erinnerungen.