Bürgermeister Dieter Freytag im Interview„Brühl ist die heimliche Hauptstadt“
Brühl – In unserer neuen zehnteiligen Serie sagen uns die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, warum ihre Stadt die schönste im Rhein-Erft-Kreis ist, warum sich ein Besuch ihrer Lieblingsplätze lohnt, ob die Nähe zu Köln Fluch oder Segen ist, und was sie an ihrer Stadt ärgert.Herr Freytag, wie würden Sie jemandem Brühl beschreiben, der noch nie hier gewesen ist?Freytag: Auf jeden Fall rheinisch. Und nicht als Kleinstadt, wie ich so manches Mal höre. Da stutze ich dann. Denn wären wir in Österreich, wären wir bei den Einwohnerzahlen an elfter Stelle. Wir wirken klein, weil die Städte um uns herum sehr groß und leistungsfähig sind, vor allem Köln, aber auch Bonn. Diese Lage Brühls schafft natürlich Vorteile: Wir sind schnell in diesen beiden Großstädten, aber auch ebenso schnell wieder zurück, weil wir verkehrlich ja auch sehr gut angebunden sind. Wobei wir ja auch einiges zu bieten haben: zwei Schlösser mit einem 100 Hektar großen Park, die zusammen als Weltkulturerbe eingetragen sind, eine gewachsene Innenstadt mit einem guten Geschäftsbesatz und einer lebendigen Gastronomie. Im Sommer haben wir dadurch quasi einen großen Biergarten – möglich wurde das ja nur, weil wir vor 35 Jahren die Autos aus der Fußgängerzone ausgesperrt haben.
Warum ist Brühl die schönste Stadt im Kreis?
Ich halte ja eigentlich nicht viel von solchen Superlativen. Aber Brühl ist natürlich die heimliche Hauptstadt des Rhein-Erft-Kreises... aber da ist sie eine von neun heimlichen Hauptstädten.
Was ist Ihr Lieblingsort in Brühl?
Da ist zum einen die Wolfsgasse in Badorf. Von dort haben Sie von einer bestimmten Stelle aus einen wunderbaren Blick ins Rheintal. Der andere Ort, der mir sehr gut gefällt, ist in der Ville das „Villenhofer Maar“. Je nachdem, zu welcher Jahreszeit man dort hinkommt, blickt man auf einen riesengroßen Seerosenteppich. Das hat schon was!
Und welcher ist Ihr Lieblingsort im Kreis?
Sehr schön ist Schloss Paffendorf in Bergheim. Ich erinnere mich an Sommerempfänge des früheren Landrats dort – jedes Mal war das Wetter fantastisch. Und natürlich hat auch das Schloss Bedburg sehr, sehr viel Charme. Wobei ich gerade feststelle, dass ich mich als Erzdemokrat den Schlössern sehr verbunden fühle.
Bringt die Nähe zu Köln mehr Fluch oder Segen mit sich?
Unter dem Strich auf jeden Fall mehr Segen. Wir profitieren ja davon, dass sich das Bevölkerungswachstum, das von Köln ausgeht, auf unsere Region erstreckt. Das bringt natürlich mit sich, dass der Immobilienmarkt sehr angespannt ist: Es gibt wenig Wohnungen und Häuser, und was angeboten wird, ist oft sehr teuer. Wir müssen Schulen aus- und neue Kitas bauen. Aber das ist mir deutlich lieber als Entwicklungen in Städten wie Weißwasser, zu der wir ja eine Städtefreundschaft pflegen. Dort ist die Einwohnerzahl seit 1990 von knapp 40.000 auf nunmehr 15.000 gesunken. Das sind Probleme! Was Köln betrifft: Da hat sich in den vergangenen Jahren auch im Umgang auf Verwaltungsebene einiges zum Positiven gewendet. Früher haben die Kölner doch etwas herablassend auf uns im Rhein-Erft-Kreis geschaut.
Zur Person
Geboren: 21. April 1955 in Brühl
Privat: Verheiratet, 6 Kinder
Ausbildung: Diplom-Volkswirt
Beruflicher Werdegang: Von 1991 bis 2014 Kämmerer der Stadt Brühl, seit 2014 Bürgermeister. 2020 wurde Freytag in seinem Amt bestätigt.
Politik: Seit 1972 gehört Freytag der SPD an. Sieben Jahre später wurde er als jüngstes Ratsmitglied in den Stadtrat gewählt. (jtü)
Was tun Sie gegen die explodierenden Immobilienpreise?
Der Druck, der auf Köln lastet und den sie dort überhaupt nicht auffangen können, erstreckt sich natürlich auch aufs Umland. Um dem Missstand effektiv entgegenwirken zu können, fehlen uns schlichtweg die Flächen. Wir haben ja schon in den vergangenen Jahren jährlich 200 Wohneinheiten geschaffen, was nicht gerade wenig ist; aber davon ist hier in Brühl relativ wenig zu spüren, weil wir Teil eines regionalen Immobilienmarkts sind. Bei uns sieht es genauso katastrophal aus wie in Hürth, Pulheim, Wesseling und Frechen sowie in Köln selbst. Zudem müssen wir leider oft gegen Widerstände ankämpfen: Sobald ein Bebauungsplan aufgestellt wird, gehen Bürger auf die Barrikaden. Da ist oft viel Überzeugungsarbeit gefordert.
Was ist die größte Herausforderung für Brühl und den Kreis bis 2032?
Der Strukturwandel wird uns weiter beschäftigen. Im Nordkreis ist es die Braunkohle - das Thema ist ja nun einmal endlich. Aber auch für uns in Brühl wird nicht alles so bleiben können, wie es derzeit ist. Größter Arbeitgeber und Weltmarktführer in seinem Segment der Automobilzulieferung ist das Brühler Eisenwerk. Wir können darüber diskutieren, wie lange die Entwicklung zur E-Mobilität noch dauern wird – ob das 15, 25 oder 35 Jahre sind. Fakt ist, dass der Bedarf an Motorblöcken irgendwann sinken wird – und da wird unser größter Arbeitgeber kein Angebot mehr haben. Das ist natürlich in erster Linie Aufgabe des Betriebes, sich dieser Entwicklung zu stellen; aber auch wir als Stadt sind gefordert zu unterstützen. Da sind gute, tarifgebundene Arbeitsplätze, was mir als Sozialdemokrat extrem wichtig ist. Die gilt es, so lange wie möglich zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Was fehlt in Brühl – was wünschen Sie sich?
Das ist schwer, denn eine solche Frage wird normalerweise nicht gestellt. Da heißt es oft umgekehrt: Was wünsche ich mir von der Stadt? Schön wäre natürlich eine vernünftige Finanzausstattung durch den Bund und das Land NRW. Wie viele andere Kommunen pfeifen wir auf dem letzten Loch. Und dies nicht, weil wir schlecht gewirtschaftet hätten. Im Gegenteil. Fakt ist, dass wir strukturell unterfinanziert sind – nicht zuletzt wegen der hohen sozialen Belastungen. Da hat uns der Bund schon etwas abgenommen, aber das reicht bei Weitem nicht.
Was ärgert Sie in Brühl oder an Brühl?
Was ich mit zunehmender Sorge beobachte, ist die Haltung »Not in my backyard«. Ob es der unverstellte Blick ins Rheintal ist, oder die Ruhe, die manche gefährdet sehen – man möchte sich gerne frei von Problemen halten. Dafür habe ich wenig Verständnis. Dabei unternehmen wir schon so viel in Sachen Bürgerbeteiligung; sogar mehr, als gesetzlich vorgesehen ist.
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Was möchten Sie in Ihrer Amtszeit noch erreichen?
Es gibt sie, die planbaren Bereiche. In meiner ersten Amtszeit war es der Neubau des Rathauses. Später folgte die Gestaltung der Ost-West-Achse, jetzt die Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Außerdem steht die Diskussion um den „Belvedere“ an, wo wir auf dem Areal des vorhandenen Parkplatzes Wohnbebauung verwirklichen wollen. In vielen anderen Bereichen unseres täglichen Handelns sind wir aber Getriebene. Ob das 2015 die Flüchtlingsthematik gewesen ist, oder nun seit zwei Jahren die Auswirkungen durch Corona. Dann kommt noch eine Flutkatastrophe obendrauf – so stelle ich immer wieder fest: Planen ist das eine, das andere ist das reale Leben. Aber das macht den Reiz ja nun auch aus.