Nach 103 JahrenKartoffel-Ära auf Brühler Wochenmarkt endet
Erftstadt/Brühl – „Den kannte ich schon als er noch ein kleiner Junge war“, sagt Elisabeth Kehr (91). Der Kartoffeleinkauf auf dem Brühler Wochenmarkt zählt für sie genauso zum wöchentlichen Ritual wie das stets lockere und freundliche Schwätzchen dort mit ihrem Kartoffelhändler aus Erftstadt. Seit 73 Jahren ist Elisabeth Kehr verheiratet, und genau so lange kauft sie auch schon ihre Erdäpfel am Stand von Kartoffel Esser.
Doch damit ist zum Monatsende Schluss. Aus gesundheitlichen Gründen lösen Sofie (63) und Joachim Esser (69) ihren Kartoffelhandel auf. Nach 103 Jahren wird es dann „Kartoffel Esser“ nicht mehr auf dem Brühler Wochenmarkt geben. „Dabei sind Kartoffeln unser Leben“, sagen die Eheleute.
Der Handel mit dem Gemüse habe ihr gemeinsames Leben 43 Jahre lang bestimmt. Noch können sie sich gar nicht vorstellen, morgens nicht mehr in aller Herrgottsfrühe aus den Federn zu müssen, um mit der Arbeit zu beginnen. Dazu gehören zum Beispiel die kurzen Nächte, um bei Wind und Wetter dreimal in der Woche pünktlich um 6 Uhr in Brühl auf dem Wochenmarkt oder in der Innenstadt auf dem Mittwochsmarkt zu stehen. Zweimal in der Woche ging es für sie darüber hinaus mit dem Kartoffelverkaufswagen zum Straßenverkauf durch Köttingen, Liblar und Oberliblar. Nebenbei mussten sie Bestellungen aufnehmen und sich um frische Ware kümmern. „Jetzt müssen wir lernen, Freizeit zu haben“, sagt Sofie Esser mit feuchten Augen. „Ich bereue keinen Tag“, sagt sie, und Joachim Esser ergänzt: „Die Arbeit war schwer, aber erfüllend.“
Dann erzählt er von seinem Großvater Johann, der mit dem Antrag zur Vermarktung der eigenen Produkte auf dem Brühler Wochenmarkt die Weiche für die Zukunft des landwirtschaftlichen Unternehmens auf der Carl-Schurz-Straße in Liblar gestellt hat. Die Urkunde zur Genehmigung des Gewerbes vom 18. Dezember 1918 hat Joachim Esser bis heute. Außer Gemüse und Obst hatte auch schon sein Großvater Kartoffeln im Anbau. „Doch erst meine Eltern Anton und Margarete Esser haben sich ganz auf den Anbau und den Verkauf von Kartoffeln konzentriert“, berichtet er.
Abschied mit Emotionen
Gerade acht Jahre sei er alt gewesen, da haben ihn seine Eltern in den Ferien schon mit auf den Markt nach Brühl genommen. Damals war auch er gleich Feuer und Flamme für den Beruf des Kartoffelhändlers. „Ich wollte nie etwas anderes werden“, sagt er. Auch ihm stehen die Tränen in den Augen. Viele seiner Kunden kennen die Essers seit einer gefühlten Ewigkeit. Er habe ihre Kinder heranwachsen sehen, die mit ihren eigenen Kindern längst ihre eigenen Kartoffeln bei ihm kaufen.
Joachim Esser bezieht das Gemüse aus der Lüneburger Heide. Schon sein Vater hatte den eigenen Anbau stark heruntergefahren und parallel dazu die Ware zunächst bei Berufskollegen in der Umgebung dazugekauft. Als Joachim Esser das Unternehmen 1978 zusammen mit seiner Frau übernahm, war mit dem Kartoffelanbau endgültig Schluss. Lose, ohne Netz oder Beutel werden sie bis heute direkt am Markt-Stand auf der alten Waage gewogen. Doch lange schon kommen die Kunden nicht mehr mit großen Jutesäcken, Eimern oder großen Körben.
„Heute kellert sich ja kein Mensch mehr seine Kartoffeln ein“, sagt der 69-Jährige. Trotzdem kämen sie bei vielen Brühlern noch fast täglich auf den Tisch. Die Rheinländer mögen im Übrigen am liebsten „festkochende Kartoffeln mit schönem gelbem Fruchtfleisch“, berichtet er.