Brühl – „Da oben kennt mich jeder.“ „Da oben“, damit meint Walter Meier Brühl-Badorf die Mitarbeiter des Phantasialands. Seit dem Tod seiner Frau Ingeborg im Jahr 2008 vergeht kaum ein Tag, an dem sich der 87-jährige Brühler nicht auf den Weg zum Freizeitpark macht. Im Sommer, wenn die Besucher schon um neun Uhr eingelassen werden, frühstückt er im Café Heino und startet anschließend seinen Rundgang.
Jetzt, im Winter, öffnet der Park um elf Uhr, ein Frühstück wird nach seinen Angaben um diese Zeit nicht angeboten. Deshalb kauft sich der Senior allmorgendlich eine Käseschnecke („köstlich“) und trinkt einen Kaffee dazu.
Seine Welt sind die Shows: Ab 12.30 Uhr besucht er regelmäßig „Magic Rose“, „Tiempo de fuego“, „Crazy Christmas“ oder „5 vor Weihnachten“ – überall wird ihm ein Platz in der ersten Reihe eingeräumt. „Die Mitarbeiter wissen, dass ich nur noch schlecht sehen kann“, freut sich Meier über die Hilfsbereitschaft. Wird das nicht langweilig? „Nein. Ich kenne die Shows alle auswendig. Aber das macht nichts. Gesang, Tanz und Akrobatik sind einfach toll, viel Action.“ Das gefällt dem einstigen Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn AG. „Und manchmal geht ja auch was schief“, erinnert er sich an Zwischenfälle. Einmal etwa sei die Hebebühne nicht rechtzeitig hochgefahren. Dabei sei eine Tänzerin sogar in die Tiefe gestürzt. Er habe sich Sorgen um die junge Frau gemacht, aber alles sei glimpflich abgelaufen. Die Eis-Show sei besonders gut, „hervorragend“, so sein Urteil.
Fotos von alten Zeiten im Freizeitpark
Seine gesamte Wohnung im Brühler Osten ist mit Devotionalien des Freizeitparks geschmückt. Fotos an den Wänden erinnern an die Zeit, als er noch mit seiner Frau gemeinsam zu den Shows und Fahrgeschäften in Brühl-Badorf ging.
Meier stammt aus Schlesien, seine verstorbene Frau aus Brandenburg. 1955 kamen sie gemeinsam nach Brühl. „Da ich bei der Eisenbahn arbeitete, bekamen wir damals beide international gültige Freifahrscheine für die Bahn“, erinnert sich Meier. Und das nutzte das Paar. „Wir haben viel von der Welt gesehen, waren in Italien, Polen, Ungarn, Tschechien, Russland, später machten wir Mittelmeerkreuzfahrten, flogen zweimal nach Ägypten und dreimal nach Tunesien.“
Mit fortschreitendem Alter verloren sie die Lust an großen Touren, und so suchten sie nach Erlebnissen im nahen Umfeld und testeten ein erstes Mal das Phantasialand. „Meine Frau war ja eine halbe Berlinerin. Sie liebte die dortigen großen Bühnenauftritte im Friedrichstadt-Palast. Die Shows hier in Brühl erinnerten sie sehr daran.“ Ab 1999 löste das Ehepaar jeweils eine Jahreskarte und verbrachte jährlich 42 Tage im Park, darauf sei die Dauerkarte damals noch reduziert gewesen – inklusive einer Freikarte zum Geburtstag sowie ein kostenfreier Eintritt am „Tag der Brühler“.
Besuchspause nach dem Tod der Frau
Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau habe er zunächst eine Besuchspause eingelegt. Doch dann habe er seinen alten Tagesablauf wieder aufgenommen. Seitdem die Dauerkarte den nahezu ganzjährigen Besuch ermögliche, nutze er dieses Angebot. „Man muss die Zeit ja totschlagen. Da ist es für mich eine angenehme Sache dort.“ Bei allen Mitarbeitern sei er sehr beliebt, vor allem bei den weiblichen, freut er sich. „Überall werde ich mit »Hallo Walter« begrüßt.“ Das tue gut und halte ihn fit. „Ich fühle mich dort fast wie zu Hause.“
Die Fahrgeschäfte gehören zwar nicht mehr zu seinen großen Leidenschaften. Wenn das Wetter gut sei, fahre er jedoch gelegentlich mit dem Kettenkarussell. Vor Jahren habe er einmal eine Fahrt in der Colorado-Bahn wagen wollen. Jugendliche hätten ihn etwas respektlos mit „Na Opa, willst du sterben?“ angesprochen. Als es ihm nach der Tour tatsächlich nicht gut gegangen sei, hätten ihm genau diese jungen Erwachsenen geholfen, unversehrt die Treppen hinabzusteigen.
Wenn das Phantasialand Mitte Januar für zwei Monate schließe, spaziere er durch Brühl. „Aber auch diese Zeit geht vorbei. Dann gibt es ein neues Programm und darauf freue ich mich.“
Meier reißt während dieses Gesprächs noch mehr Anekdoten an, etwa, dass die jungen chinesischen Tänzerinnen schon einmal bei ihm zum Kaffee eingeladen gewesen seien, oder dass er seinen 40 Jahre alten Cowboyhut immer zu besonderen Anlässen trage, dass er seine Geburtstage bereits im Phantasialand gefeiert habe – aber ausführliche Erläuterungen gibt es nicht mehr. Der 87-Jährige muss zum Shuttle-Bus des Freizeitparks. „Wenn ich heute nicht komme, machen sich die Menschen dort Sorgen. Ich habe mich gestern nicht abgemeldet. Das tue ich sonst immer, wenn ich am nächsten Tag nicht komme.“