Im Interview spricht Wolfgang Brost über die Geschichte der mobilen Jugendarbeit und die drohende Schließung des Jugendtreffs in Lechenich.
EinsparungenEhemaliger Erftstädter Jugendamtsleiter im Gespräch – „Raubbau an der Jugendarbeit“
Die drohende Schließung des Jugendcafés in Lechenich im Zuge der Einsparungen im Jugendbudget hat in den vergangenen Wochen für viel Kritik gesorgt. Wolfgang Brost war von Ende 1985 bis Mitte 2014 Jugendamtsleiter der Stadt Erftstadt und hat die Jugendberatung Mobilé 1992 auf den Weg gebracht. Eva-Maria Zumbé sprach mit ihm über die Geschichte der mobilen Jugendarbeit und darüber, was die Schließung des Jugendtreffs in Lechenich für die Heranwachsenden bedeutet.
Herr Brost, Sie haben die Jugendberatung Mobilé in Erftstadt auf den Weg gebracht. Wie entstand Mobilé, und was war die Motivation?
Wolfgang Brost: Erftstadt hatte damals das Jugendzentrum in Köttingen und das Jugendcafé in Lechenich. Andere Stadtteile beanspruchten aber für sich auch ein Jugendzentrum. Man stelle sich vor, weitere Jugendzentren in Liblar, Gymnich, Kierdorf, Friesheim, Erp und und und … Das wäre unbezahlbar gewesen. Aber selbstverständlich brauchen Jugendliche Treffpunkte, vor allem ortsnah und weitgehend selbstbestimmt. Nur werden sie häufig von ihren selbstgewählten Treffpunkten auf Schulhöfen, Parkbänken, Spielplätzen, Bushaltestellen vertrieben, von sich gestört fühlenden Erwachsenen. In Einzelfällen ist das verständlich, geht aber immer auf Kosten der Jugendlichen. Sie fühlen sich im öffentlichen Raum nicht erwünscht. Mobilé sollte diesen Konflikt durchbrechen. Fehlt ein Jugendzentrum, geht Mobilé zu den Jugendlichen, hört zu, erfährt deren Bedürfnisse und Probleme und hilft bei der Erarbeitung von Lösungen. Dabei war der Mobilé-Bus von Anfang an sehr hilfreich. Er bot zumindest stundenweise in der Woche einen Raum und einen Regenschutz. Diese mobile Jugendarbeit war damals in NRW vollkommen neu. Sie musste auch gegenüber dem damaligen Jugendministerium hart erkämpft werden.
Welche Rolle spielen Angebote wie das Jugendcafé in Lechenich für benachteiligte Jugendliche?
Zunächst: Jugendarbeit richtet sich an alle Kinder und Jugendlichen. Alle haben ein Recht auf Jugendarbeit. Benachteiligte Jugendliche brauchen nur mehr Hilfe und Unterstützung. Das Jugendcafé in Lechenich, dem zweitgrößten Erftstädter Ortsteil, ist unverzichtbar für den Aufbau sozialer Kontakte an einem sicheren Ort zum Treffen und Finden von Freunden. Es bietet vielfältige Aktivitäten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Dort werden Jugendliche in vertrauter Umgebung zu allen jugendrelevanten Fragen beraten wie beispielsweise Sucht, Drogen, Freundschaften, Sexualität oder schulischen Problemen. Gleichzeitig wird der Gemeinschaftssinn gefördert. Jugendliche können sich einbringen und zur Gestaltung ihres Ortes beitragen.
Welche Erfolge konnten durch die mobile Jugendarbeit erzielt werden?
Die mobile Arbeit hat viele Erfolge vorzuweisen. Sie erreicht durch ihre Flexibilität eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Jugendlichen. Viele Konflikte unter Jugendlichen konnten und können schon vor Ort geklärt werden. So konnte der Wunsch der Jugendlichen nach einem festen Treff durch den Bau von Jugendhütten in ihren Stadtteilen Liblar, Lechenich, Friesheim und Gymnich mit ihnen zusammen umgesetzt werden. Konflikte mit der Anwohnerschaft wegen Lärms und mangelnder Sauberkeit wurden in Mediationsgesprächen unter anderem mit dem Bürgermeister bereinigt. In den einzelnen Ortsteilen wurden und werden Jugendkulturveranstaltungen unterschiedlichster Art durchgeführt. Die Jugendlichen finden in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld die Kolleginnen und Kollegen von Mobilé, mit denen sie ihre Sorgen und Nöte besprechen und dann in den Jugendeinrichtungen intensiver in einem geschützten Raum bearbeiten können.
Warum halten Sie es für problematisch, dass das Jugendbudget gekürzt und das Jugendcafé geschlossen werden soll?
Der Sparvorschlag der Verwaltung ist Raubbau an der Jugendarbeit. Kein vorheriger Bürgermeister, kein Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses (JHA) hätte das mitgemacht, auch nicht die CDU-Frau Carla Neisse-Hommelsheim. Dieser Sparvorschlag wäre im Keim erstickt, da der/die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses über alle wichtigen Angelegenheiten der Verwaltung des Jugendamtes von der Bürgermeisterin zu unterrichten ist, und nicht erst, wenn die Planung abgeschlossen ist. Ich verstehe auch die FDP nicht. Wir waren gemeinsam immer stolz, mit einem im weiten Vergleich sehr geringen Finanzaufwand ein Höchstmaß an Effektivität in der Jugendarbeit zu erreichen. Gerade Franz Holtz, der seinerzeit als Vertrauenslehrer auch die Nöte der Gymnasiasten erfahren konnte, sollte sich vom vorgeblichen Sparen nicht blenden lassen. Das Jugendcafé wird einer anderen städtischen Nutzung zugeführt, sicher der Kultur. 1,5 anerkanntermaßen notwendige, bisher noch nie besetzte, neue Stellen bleiben vakant. Sparen? Vielleicht kann der JHA das Thema ja noch einmal aufgreifen. Schließlich ist der JHA Teil des Jugendamtes, und zwar der wichtigere politische Teil. Der Vorsitzende ist politischer Leiter. Bereits drei der stimmberechtigten Mitglieder können eine Sondersitzung beantragen, auch eilig. Der JHA kann dann einen Antrag an den Rat stellen.
Wie könnte sich diese Entscheidung Ihrer Meinung nach auf die Jugendlichen in der Stadt auswirken?
Jugendliche werden sich andere Aufenthaltsorte im Stadtgebiet suchen. Die jahrelange Arbeit von Mobilé hat gezeigt, dass dies häufig zu Konflikten mit der Bürgerschaft führt, die vermeidbar sind. Das Fehlen von Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern im Jugendcafé birgt eine weitere Gefahr. Die neueste Shellstudie zeigt unter männlichen Jugendlichen genügend Potenzial auf, das sich demokratiefeindliche Kräfte zunutze machen und instrumentalisieren können.
Halten Sie es für realistisch, dass die Jugendlichen in die Jugendzentren nach Köttingen oder Liblar fahren können?
Nein. Ich würde als Erper Elternteil meine 13- oder 15-jährige Tochter im Winter auch nicht mit dem Fahrrad nach Liblar fahren lassen, um montags dort bis 20 Uhr das Jugendzentrum zu besuchen. Auch der ÖPNV ist keine Alternative.
Könnte es Alternativen für die Jugendlichen in Lechenich und den südlichen Stadtteilen geben?
Nein. Es braucht mehr, nicht weniger Treffs.