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Strafanzeige wegen Nazi-Vergleich„Pro Asyl“ übt heftige Kritik an Abschiebepraxis

Lesezeit 4 Minuten

Helga Berbuir vom Ökumenischen Arbeitskreis.

Rhein-Erft-Kreis/Erftstadt – Hart aneinandergeraten sind Helga Berbuir vom Ökumenischen Arbeitskreis Pro Asyl mit Sitz in Erftstadt-Lechenich und der Rhein-Erft-Kreis. In einem offenen Brief an Landrat Michael Kreuzberg fragt Berbuir, „unter welchen Umständen Geflüchtete abgeschoben werden, welcher Personaleinsatz dafür benötigt wird und welche Kosten dadurch bei den Abschiebungen im Rhein-Erft-Kreis entstehen“. Die Zahlen würden den Landrat sicher erstaunen, meint sie.

Berbuir fügt hinzu: „Was aus diesen Zahlen jedoch nicht hervorgeht, ist die Vorgehensweise der Beamten bei den Abschiebungen.“ Der Verdacht dränge sich auf, dass es eine Erfolgsprämie für jeden abgeschobenen Flüchtling gebe.

Tägliche Abschiebungen

Aus den Berichten der Betroffenen zeige sich, dass die Menschen oft massiv bedroht würden, ein enormer Zeitdruck aufgebaut und keine Rücksicht darauf genommen werde, in welchem Zustand die abzuschiebende Person sei. Die Aktivistin schreibt an Kreuzberg wörtlich: „Das erinnert sehr an furchtbare Zeiten der deutschen Geschichte, als nachts Uniformierte auftauchten und Menschen abholten, um sie zu deportieren. Es kann ja wohl nicht sein, dass dieses schreckliche Kapitel der deutschen Geschichte sich wiederholt.“

Täglich würden Flüchtlinge von Polizeikräften aus Übergangsheimen, Wohnungen und Schulen abgeholt, um dann abgeschoben zu werden. So hätten sich beispielsweise schlimme Szenen in Dirmerzheim abgespielt. Nachdem der unbescholtene Vater einer armenischen Familie von den Beamten angebrüllt und in Handschellen gelegt worden sei, sei die Ehefrau nicht mal in der Lage gewesen, ihre Habseligkeiten zu packen. Der Landrat solle darauf drängen, dass Geflüchtete im Kreis menschenwürdig behandelt und dass von nächtlichen Abschiebungen abgesehen werde.

Entsetzen gezeigt

Kreisdirektor Michael Vogel zeigt sich entsetzt über den Brief und weist die Anschuldigungen massiv zurück. Der Kreis hat Strafanzeige gegen Berbuir erstattet. „Solche Ausfälle und Verunglimpfungen können wir nicht unkommentiert lassen.

Vergleiche des rechtsstaatlichen Vorgehens der Kreisverwaltung mit den Praktiken der verbrecherischen NS-Diktatur sind unanständig, ehrabschneidend und vollkommen haltlos. Ich erwarte eine Entschuldigung, die in gleicher Weise wie der offene Brief kommuniziert wird.“

Behörden „nicht unfehlbar“

Auch Behörden seien nicht unfehlbar, sagt Vogel. Der öffentliche Dienst müsse für wohl begründete Kritik empfänglich sein. Doch stellt Vogel bezüglich des offenen Briefes von Pro Asyl klar: „Solche ungeheuerlichen Unterstellungen sollten sich unter Demokraten jedoch verbieten.“

Kreisdirektor Michael Vogel weist die Kritik zurück.

Da die Anschuldigungen der Flüchtlingshilfe Erftstadt Straftatbestände erfüllen könnten, aber keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Kreisbedienstete anhängig seien und nicht einmal Anzeigen erstattet worden seien, werde der Kreis nun Strafanzeige gegen die Unterzeichnerin des Briefs erstatten.

„Dieses Schreiben, als offener Brief formuliert, ist ein Pamphlet und kein Versuch, mit uns ins Gespräch zu kommen. Ich sehe daher keine andere Möglichkeit, den Kreis und vor allem seine Bediensteten künftig vor solchen verleumderischen Angriffen zu schützen“, betont Vogel in einer Pressemitteilung.

Pflichtaufgabe des Kreises nach Weisung

Die Kreisverwaltung vollzieht Abschiebeverfahren im Kreis mit Ausnahme von Bergheim und Kerpen, die als große kreisangehörige Städte über eigene Ausländerbehörden verfügen.

Diese Verfahren werden vom Kreis – wie von allen Ausländerbehörden in NRW – als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung durchgeführt. Der Kreis handelt hier als staatliche Vollzugsbehörde.

Bei Abschiebungen setzt der Kreis nach eigener Aussage überwiegend Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge um, das über den rechtlichen Status von Asylbewerbern entscheidet.

Der Kreis veröffentlicht keine Informationen zu den Kosten. Analog gibt es laut Kreis auch keine öffentlich zugänglichen Kostenübersichten zur gesetzlich vorgesehenen Präventionsarbeit des Gesundheitsamtes an Grundschulen und Kitas oder des Veterinäramtes im Bereich der Lebensmittelüberwachung. Veröffentlicht werde deswegen nicht, weil es sich um Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung handele.

Nur wenn die rechtlichen Voraussetzungen bestünden, also jemand rechtskräftig ausreisepflichtig sei und dieser Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkomme, leite der Kreis ein Abschiebeverfahren ein.

Nicht denkbar sei, dass Ausreisepflichtige von einer Abschiebung überrascht würden, stellt der Kreis klar. Diese Verfahren würden erst eingeleitet, wenn der wiederholten Aufforderung zur freiwilligen Ausreise nicht Folge geleistet werde. Hier bestehe für die Behörde kein Ermessensspielraum. (kom)

Mit Blick auf die Anschuldigungen gegen die Mitarbeiter der Ausländerbehörde betont der zuständige Ordnungsdezernent Martin Gawrisch, dass die Kollegen ihre Arbeit unter physisch und psychisch schwersten Bedingungen leisteten. Sie seien emotional angegriffen, wenn sie etwa Familien mit kleinen Kindern abschieben müssten.

„Sie verrichten ihre Arbeit aber nicht nur gesetzestreu – und dies muss der entscheidende Maßstab behördlichen Handelns sein –, sondern auch mit dem nötigen Fingerspitzengefühl“, stellt Gawrisch klar. Was den armenischen Familienvater betreffe, sei dieser kurzzeitig durch die Polizei fixiert worden, da er sich geweigert habe, sich anzuziehen und seinen Koffer zu packen. Zudem sei die Behauptung falsch, Minderjährige würden aus Schulen im Kreis abgeschoben.

Auf die Ankündigung der Strafanzeige betont Helga Berbuir, weiterhin zu ihrer Kritik an der Behörde zu stehen. Sie sehe der Anzeige sehr gelassen entgegen.