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Kein Ersatz für ein echtes PferdWir testen den Reitsimulator in Erftstadt

Lesezeit 5 Minuten

Der Blick in die Landschaft entspannt, im Gegensatz zu dem, was auf den vier kleinen Monitoren zu sehen ist.

Erftstadt-Lechenich – Sir Keno ist das ideale Pferd. Weder tritt noch beißt er, er buckelt nicht und geht nicht durch. Sprich: Er unterlässt alles, was Reiten zur Risikosportart macht. In der Anschaffung ist er zwar nicht ganz billig – für 60.000 Euro bekommt man auch ein sehr ordentliches Sportpferd –, dafür aber in der Unterhaltung günstig. Statt Heu, Stroh und Hafer genügt ihm Strom, statt Hufschmied, Tierarzt und Osteopathin kommen allenfalls Mechaniker, Elektriker oder Programmierer. Sir Keno ist ein elektrisches Pferd, besser gesagt ein Reitsimulator.

Wie das Arbeiten mit dem Reitsimulator funktioniert, sehen Sie im Video.

Für Versuch auf dem Reitsimulator die Stiefel geputzt

Für Christiane Hake ist er aber mehr: die Erfüllung eines Traums. Pferde sind ihre Leidenschaft, aber für Familie, Job und ein aufwendiges Hobby reicht die Zeit nicht. Da ist der Reitsimulator die ideale Lösung. „Seit mein Mann die Idee hatte, ich könne mich damit selbstständig machen, kann ich nachts kaum noch schlafen vor lauter Freude“, sagt sie und strahlt so, dass man es ihr sofort glaubt. An der Herriger Straße in Lechenich hat Sir Keno in einem Ladenlokal sein Zuhause gefunden, in dem er nun geduldig Reitschülerinnen und Reitschüler trägt. „Der Reitsimulator kann das Pferd nicht ersetzen“, sagt Hake. „Aber er kann helfen, besser zu reiten.“

Besser reiten klingt verlockend. Also habe ich eine Stunde gebucht, Reithose gewaschen, Stiefel geputzt. Man muss ja keinen Mist aus dem Stall und Sand aus der Reithalle mitbringen. Wer ein eigenes Pferd hat, kann dessen Sattel benutzen. Ich entscheide mich aber für den, der eigens für den Simulator angefertigt wurde. Er ist schön sauber, nagelneu und mit Strass-Steinchen besetzt.

Beweglichkeit und ein Gefühl für die eigene Balance braucht man beim Reiten. Trainieren muss man das am Boden, um es dann auf dem Pferd einsetzen zu können.

Auch wenn Sir Keno immer startbereit ist, ganz ohne Warmreiten, beginnen wir sachte im Schritt. Der ist mehr ein sanftes Schaukeln, auch den Trab und den Galopp kann man gut aussitzen, wie wir Reiter sagen, wenn man nicht bei jedem Schritt aus dem Sattel katapultiert wird. Auf dem großen Bildschirm in Blickrichtung kann man Landschaften auswählen, ich galoppiere entspannt über den Strand.

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Doch mit der Entspannung ist es schnell vorbei, wenn man auf die vier kleinen Monitore schaut. Dort sieht man sich selbst, gefilmt von vorne und hinten, rechts und links. Was sich gut anfühlt, sieht noch lange nicht gut aus. Deshalb empfiehlt Christiane Hake, die Augen zu schließen. Denn wenn man das, was man sieht, permanent korrigieren will, wird es nur noch schlimmer.

Das elektrische Pferd ist ein wahres Wunderwerk der Technik. Alles, was der Reiter tut, wird vermessen und aufgezeichnet. Die Linien im Diagramm erinnern ein bisschen an ein EKG. Die Diagnose bei mir: Ich habe einen Hang nach rechts. Nur beim Reiten, bitteschön. Und nach hinten.

Christiane Hake ist begeistert von Sir Keno. Bei aller Technik ist manchmal eine helfende Hand gefragt.

Nichts, wogegen man nicht ankämpfen könnte. Runter vom Pferd, rauf auf die Matte. Gymnastik soll helfen, die Reiterin beweglicher zu machen. Hake gibt Tipps für Übungen, die sich leicht zu Hause nachmachen lassen, manche auch auf dem Pferd, sie bleibt geduldig und frohgemut, auch wenn die Gymnastik nur mäßig gelingt.

Reiten In Balance

Christiane Hake ist in der Ausbildung zur „Centered Riding“-Trainerin. Diese Lehre, entwickelt von Sally Swift, setzt vor allem auf Balance, Beweglichkeit, Koordination und Timing des Reiters. Zudem macht sie eine Fortbildung zur Biomechanik von Reiter und Pferd.

Die 49-Jährige hat Online-Seminare zum Thema Neuro-Riding bei Marc Nölke besucht und bei Michael Fischer, der in Frechen-Bachem Reiter und Pferde ausbildet. Mit der Bewegungslehre von Eckard Meyners ist sie vertraut, als nächstes steht ein Lehrgang zur Franklin-Bewegungspädagogin auf dem Programm. Für ihr Herzensprojekt „Reiten in Balance“ sucht sie Unterstützung beispielsweise von einer Physiotherapeutin, die den Reiterinnen und Reitern helfen könnte, bei denen Verspannungen oder Disbalancen den geschmeidigen Sitz verhindern.

Der Simulator steht in Lechenich, Herriger Straße 18. Kontakt unter 0170/3183116 oder per E-Mail.

Mehr Informationen finden Sie auf der Internetseite des Anbieters. (uj)

Die Trainerin sieht viele Einsatzmöglichkeiten für den Simulator. Wer – vielleicht nach einem Reitunfall – Angst auf dem Pferd hat, kann sich erst einmal ohne jedes Risiko wieder herantasten. Anfänger können die erste Balance lernen, ohne dass ein armes Schulpferd seinen Rücken dafür hergeben muss. Wer glaubt, er kann reiten, erfährt hier womöglich, dass sein Pferd sich einfach den mittelmäßigen Methoden angepasst hat – so tolerant ist Sir Keno nicht. Wer wirklich gut reitet, kann Übungen der höchsten Dressurklasse absolvieren und verfeinern.

Denn dieser Simulator, Produkt einer britischen Firma, ist auf Dressurreiten spezialisiert. Es gibt ihn als Springpferd, als Rennpferd und als Polo-Pony. Nur die Westernreiter schauen in die Röhre. Und diejenigen, die sich das mit dem Reiten ohnehin mal überlegen sollten: Mehr als 100 Kilo verkraftet das elektrische Pferd nicht.

Die Weihen der hohen Dressur sind mir verwehrt geblieben. Ich habe es nicht einmal geschafft, mit der Wade den richtigen Kontaktpunkt am Pferdebauch zum Angaloppieren zu treffen. Jedenfalls nicht mit dem linken Bein. Was für ein Glück, dass mein eigenes Pferd so nett ist, mich trotzdem zu verstehen. Außerdem hat es eine weiche, warme, pelzige Nase zum Streicheln. Und wiehert leise, wenn es mich sieht. Da kann Sir Keno nicht mithalten.