AboAbonnieren

VerwaltungErftstadt empfiehlt geschlechtergerechte Sprache

Lesezeit 6 Minuten

Das Zweiteilung hat ausgedient, künftig muss auch das dritte Geschlecht berücksichtigt werden.

Erftstadt – Das Thema geschlechtergerechte Sprache wird viel diskutiert. Ulla Jürgensonn sprach mit Carolin Weitzel über Sprachgebrauch, Identitätsgefühl und innere Haltung. Weitzel ist seit eineinhalb Jahren Gleichstellungsbeauftragte in der Erftstädter Stadtverwaltung.

Es gibt dieses sehr interessante Faltblatt zur geschlechtergerechten Sprache. Ist das eine Anregung oder die Anordnung, dass so künftig in der Stadtverwaltung geschrieben werden soll?

Carolin Weitzel: Es sind Empfehlungen. Sprache entwickelt sich und ist individuell. Wir möchten Bewusstsein dafür schaffen, dass es Mitarbeitende und natürlich auch Menschen in unserer Stadt gibt, die sich weder der männlichen noch der weiblichen Geschlechtsidentität zugehörig fühlen.

Carolin Weitzel

Wie wollen wir die dann anreden?

Carolin Weitzel: Dafür gibt es Empfehlungen des deutschen Rechtschreibrates und des Bundesministeriums für Familie, Soziales, Jugend und Frauen. Es wird empfohlen, dass man natürlich wie bisher Männer und Frauen als „sehr geehrte Damen und Herren“ ansprechen kann, aber dass man auch die Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, zum Beispiel mit „Sehr geehrte Anwesende“ oder „Zuhörende“ ansprechen kann. Das geht sowohl schriftlich als auch mündlich.

Sprache verändert sich ständig

Ihnen kommt das ja jetzt schon relativ unfallfrei über die Lippen. Bis das jeder umsetzen kann, wird aber viel Zeit vergehen, oder?

Carolin Weitzel: Das darf auch so sein, Sprache ist ja historisch gewachsen. Wichtig finde ich, dass Sprache ein Spiegel ist. Sie spiegelt unsere Denkweise wider und unsere innere Haltung, unsere Einstellung, daher ist es wichtig, dass erstmal darüber aufgeklärt wird, dass es Menschen gibt, die weder männlich noch weiblich sind. Wenn man das verstanden hat, stellt sich eigentlich gar nicht mehr die Frage, warum man diese Menschen nicht im normalen Sprachgebrauch ansprechen sollte.

Müsste man dann nicht eine dritte Anrede erfinden? Was sage ich zu jemandem, der sich weder als Mann noch als Frau fühlt, und woher, bitte, soll ich das wissen?

Carolin Weitzel: Die Landeskoordination Trans*NRW empfiehlt etwa, die betreffende Person mit Vor- und Zunamen anzusprechen. Das kann auch im Schriftlichen sein. Ich nehme jetzt mich als Beispiel, obwohl ich eine Frau bin und gern auch als Frau angesprochen werden möchte. Man könnte sagen: „Guten Tag, Carolin Weitzel.“ Wenn man nicht weiß, ob ich eine Frau bin.

Es sollen keine Identitäten verloren gehen

Das ist ja schon ein bisschen subversiv. Wenn ich zum Bürgermeister sage „Guten Tag, Volker Erner“, wird es doch zumindest Verwunderung auslösen.

Carolin Weitzel: Ich kenne diese Kritik. Aber in dem Fall ist Herr Erner ja auch offensichtlich ein Mann, zumindest gibt er sich mit seiner Identität männlich preis. Insofern können wir ihn auch problemlos mit Herr Bürgermeister oder Herr Erner ansprechen. Ganz wichtig ist mir: Wir nehmen keine Identitäten weg. Männer bleiben Männer, Frauen bleiben Frauen, und so soll es sein. Es gibt aber Menschen, die einfach weder das eine noch das andere sind, und sie sollen einfach wertgeschätzt und angesprochen sein.

Es gibt verschiedene Schreibweisen. Ich kenne zum einen ein Sternchen, Sie machen diesen Unterstrich, der, wie ich gelernt habe, Gender Gap heißt. Wie soll man das denn aussprechen?

Carolin Weitzel: Man kann eine kurze Pause machen. Beispielsweise Bürgerinnen nicht in einem durchsprechen, sondern Bürger...innen. Das ist auch die Empfehlung der Landeskoordination. Kommissionen und Sprachwissenschaftler mehrerer Universitäten haben sich diese Sprechweise angeeignet.

Es sollen sich alle Menschen angesprochen fühlen

Sie müssen mir aber zugestehen, dass es mir als jemandem, dessen Handwerkszeug die Sprache ist, wehtut.

Carolin Weitzel: Das ist auch in Ordnung. Das ist ja genau das Interessante daran, dass man sich damit beschäftigt, darüber nachdenkt, es für sich annimmt oder nicht, das kann jeder für sich selbst entscheiden. Ich finde nur, dass das in einer Institution wie einer Kommunalverwaltung, wo wir alle Bürgerinnen und Bürger und alle Bürger_innen, sage ich jetzt mal ganz bewusst, ansprechen wollen, es ganz wichtig ist, dass wir in unserem Sprachgebrauch und vor allem im Schriftlichen deutlich machen, dass alle Personen in Erftstadt angesprochen sind.

Nun bringt die Umformung der Sprache aber Dinge mit sich, die einfach sprachlich falsch sind. Bäcker sind Bäcker, auch wenn sie abends auf dem Sofa sitzen. Sie sind dann aber keine Backenden.

Carolin Weitzel: Wenn Sie von Bäckern sprechen, sehe ich männliche Bäcker. Und genau darum geht es. Wir wollen ja mit unserer Sprache unsere Wahrnehmung gestalten und zum Ausdruck bringen. Und wenn ich von Polizisten, von Lehrern, von Schülern spreche, sind das für mich immer männliche Personen. Daher hat das Landesgleichstellungsgesetz festgelegt, dass auch die weibliche Person angesprochen werden muss. Also im Zweifelsfall Bäcker_innen.

Was wäre, wenn die weibliche Form seit 100 Jahren immer im Gebrauch ist?

Nun war es ja sehr lange so, dass die männliche Form als Oberbegriff auch für die weibliche diente. Was ist daran so schlimm?

Carolin Weitzel: Stellen Sie es sich andersherum vor: Wir sprechen ab jetzt alles weiblich aus. Da sind dann die Männer auch mit drin. Alle Schülerinnen, alle Unternehmerinnen, alle Professorinnen – ich glaube nicht, dass die Männer damit einverstanden wären.

Wenn das aber seit 100 Jahren so wäre, wäre es vielleicht gar kein Thema?

Carolin Weitzel: Dann würde ich an die Frauen appellieren und bitten, auch da das dritte Geschlecht mit zu berücksichtigen und den Gender Gap oder den Stern einzufügen.

Ziel ist eine diskriminierungsfreie und wertschätzende Ansprache

Noch mal zurück zum dritten Geschlecht. Wenn ich sage Lehrer_innen, wo ist das dritte Geschlecht?

Carolin Weitzel: Das ist in dem Gap oder in dem Sternchen, also in der Pause, die Sie gerade mitgesprochen haben. Das berücksichtigt diese Personen, die sich nicht dem binären System, also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht, zugehörig fühlen.

Wie informieren Sie die Beschäftigten über die neue Sprechweise?

Carolin Weitzel: Als Gleichstellungsbeauftragte habe ich den Beschäftigten und den Stadtverordneten Ende 2018 den Gleichstellungsplan für Erftstadt vorgestellt. Ein Ziel ist sensibler Sprachgebrauch, um auf eine diskriminierungsfreie und wertschätzende Ansprache hinzuwirken.

Mit dem Verwaltungsvorstand habe ich abgesprochen, dass das Gleichstellungsbüro in einer Arbeitsgruppe einen Leitfaden entwickelt. Den haben wir auf der Personalversammlung vorgestellt. Zu Gast war Mika Schäfer, eine Person von der Landeskoordination Trans*NRW, die weder männlich noch weiblich ist. Sie hat als Betroffene ganz subjektiv darüber aufgeklärt, wie sich dieser Personenkreis fühlt.

Manche Personen haben sich noch nicht getraut

Es hat die Beschäftigten betroffen gemacht, dass es Personen gibt, die weiblich wirken, aber gar keine Frau sind. Und dass wir vielleicht in unserer Gesellschaft noch viel mehr Personen haben, die sich aber noch nicht getraut haben, dies öffentlich bekannt zu geben. Weil unsere Gesellschaft binär ausgerichtet ist, wir haben in Formularen nur die Wahl zwischen Mann und Frau.

Sie selbst haben von Mika Schäfer als „sie“ gesprochen. Stößt da Sprache an ihre Grenzen, oder war das schlicht die Macht der Gewohnheit?

Carolin Weitzel: Das war die Gewohnheit. Nach meinem Verständnis bezieht sich das Pronomen „die“ auf „Person“ und ist also passend. Das ist eines von vielen Pronomen für Menschen, die weder Mann noch Frau sind, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden. Relativ verbreitete sind nicht-binäre Pronomen wie nin, they, es, „sier“, „xier“, „er*sie“, „sie*er“, „er_sie“ und „sie_er“.

Das Interview Ulla Jürgensonn