Der Journalist hat mit zwölf Kindern von Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime gesprochen, darunter auch der älteste Sohn von Graf von Stauffenberg.
InterviewBestsellerautor Tim Pröse spricht in Frechen über sein neues Buch
Vor 80 Jahren versuchte eine Gruppe von Offizieren Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten. Das Attentat am 20. Juli 1944 scheiterte, über 200 Beteiligte und Mitwisser wurden entweder sofort hingerichtet oder in Konzentrationslager gesperrt. Eine der Schlüsselfiguren des Widerstands war Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944); über ihn spricht Bestseller-Autor Tim Pröse am Mittwoch, 20. November, 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Frechen.
Für sein aktuelles Buch „Wir Kinder des 20. Juli. Gegen das Vergessen: Die Töchter und Söhne des Widerstands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte“ (Heyne Verlag, 368 S., 22,00 Euro) hat der Journalist zwölf Kinder dieser Widerstandskämpfer getroffen, darunter auch den ältesten Sohn Stauffenbergs. Mit Tim Pröse unterhielt sich Markus Peters.
Was erwartet die Besucher in der Stadtbücherei?
Tim Pröse: Ich habe zwar ein Sachbuch geschrieben, aber für mich ist es auch ein „Gefühlsbuch“. Deshalb will ich den Helden des Abends in dieser szenischen Lesung ein Stück weit wieder aufleben lassen, auch in seinen Gedanken und in seiner emotionalen Welt. Was für ein Mensch war Stauffenberg und weshalb war er bereit, das zu unternehmen, was er schließlich getan hat, das beschäftigt mich.
Sie sind Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, dem heute 90-jährigen Sohn des Hitler-Attentäters, begegnet. Was ist ihm von seinem Vater im Gedächtnis geblieben?
Es bleiben die Erinnerungen, wie liebevoll er als Vater zu seinen vier Kindern war. Er konnte ausgiebig mit ihnen spielen, sogar mit den drei Fingern der rechten Hand, die ihm nach dem Afrika-Feldzug geblieben waren. Er hat sie gestreichelt, er hat ihnen gezeigt, wie er damit die Schnürsenkel gebunden hat, was die Kinder faszinierte. Natürlich hat der Vater seinem Sohn unfassbar gefehlt.
Wie geht ein Mensch damit um, dass er in Teilen seiner Kindheit als Sohn eines angeblichen Hochverräters schikaniert wurde?
Fast alle Kinder des 20. Juni, die ich erleben durfte, klagen nicht darüber; sie nehmen sich selbst zurück. Natürlich hat es die Beschimpfungen als „Verräterkinder“ gegeben, aber sie haben irgendwann gelernt, das Beste daraus zu machen. Sie wollten ja im Sinne ihrer Väter weiterleben. Und sie wollten die Lücke, die diese Väter hinterlassen haben, mit Sinnhaftigkeit und einer neuen Stärke füllen.
Stauffenberg war schwer vom Krieg gezeichnet, gleichzeitig aber auch Familienvater und Ehemann. Was bringt jemand wie ihn dazu, sich auf die Attentatspläne einzulassen?
Es war sein Gewissen. Es gibt ja das berühmte Zitat von ihm: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen“. Trotz seiner körperlichen Einschränkungen, trotz seiner großen Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern, musste er es tun; er konnte nicht anders. Und aus dieser Einstellung heraus entwickelt man offenbar eine unglaubliche Stärke.
Gibt es Seiten von Stauffenberg, die eher wenig bekannt sind?
Er war ein gläubiger Mensch. Er ging am Abend vor dem Attentat zu seinem Pfarrer, weil es ihn gequält hat, bei diesem Unternehmen auch Unschuldige in den Tod reißen zu müssen.
Mitunter wird behauptet, der Anschlag auf Hitler wäre erfolgversprechender verlaufen, wenn er nicht von dem schwer kriegsversehrten Stauffenberg durchgeführt worden wäre. Was halten Sie von dieser These?
Stauffenberg hatte als Generalstabsoffizier direkten Zugang zu Hitler. Es gab nun mal leider nicht so viele Widerständler, die so nahe an Hitler herankommen konnten und bereit waren, ihr Leben zu riskieren. Zeitzeugen bescheinigen Stauffenberg dabei ein hohes Maß an Gelassenheit und Kaltblütigkeit.
Der Widerstand im Nationalsozialismus ist ein Thema, das Sie ihr ganzes Berufsleben begleitet hat. Was treibt Sie an?
Mir geht es darum, die Geschichten der letzten Zeitzeugen dieses Widerstands festzuhalten, ihnen ein ‚Denkmal aus Zeilen‘ zu errichten, ehe es zu spät ist. Leider sitzt mir die Zeit im Nacken. Deshalb habe ich die Kinder dieser Helden des 20. Juli zwei Jahre lang begleitet und portraitiert. Auch sie sind für mich ‚Leuchtturm-Menschen‘, die uns aus dem Dunkeln Lichtzeichen geben. Denn diese Nachkommen tragen das Licht und die Energie ihrer ermordeten Väter weiter, auch 80 Jahre nach deren Tod. Ich finde es wunderbar und ermutigend, dass all diese Ideen, dieser Einsatz nicht mitgestorben sind. Mit meinen Lesungen will auch ich das Feuer dieser Menschen weiterreichen.
Sie stellen Ihre Bücher bei vielen Gelegenheiten vor. Was ist Ihr Eindruck, wie werden die Akteure des Widerstands heute wahrgenommen? Unterscheidet sich diese Wahrnehmung im Westen von der im Osten Deutschlands?
Ich war inzwischen an 250 Schulen im gesamten Land, auch mit meinen Veranstaltungen zu Sophie Scholl und Oskar Schindler. Daher kann ich mit einem gewissen Glücksgefühl festhalten, dass die Kinder und Jugendlichen heute empfindsam sind und sich für diese wichtigen historischen Persönlichkeiten begeistern können. Im Osten ist es tatsächlich etwas rauer, etwas schwieriger, diese Menschen nahezubringen. Aber ich lasse da nicht locker, erst recht nicht seit dem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023, seitdem viele Schüler behaupten, dass Israel ihr Feind ist und die Juden vertrieben gehören.
Wie empfinden die Hinterbliebenen der Widerstandskämpfer ihre Familiengeschichte? Als Belastung, Aufgabe oder Herausforderung?
Als junge Menschen hatten sie oftmals nicht verstanden, dass ihr Vater sein Leben für ein anderes, besseres Deutschland geben musste. Häufig waren sie sogar wütend auf ihn. Aber über die Jahre wandelte sich das oftmals in Freude und Stolz darüber, dass der Vater etwas ganz Großes gewagt hat und bereit war, dafür alles zu geben.
Das Handeln der Akteure war von einer ethischen Grundhaltung bestimmt, für die sie ihr eigenes Leben hintenanstellten. Vermissen Sie diese Grundhaltung heute?
Natürlich vermissen wir alle diese ethische Grundhaltung, die Zeiten sind härter und kälter geworden. Das nutzen die Feinde unserer Demokratie aus, um Stimmung zu machen und Hass zu schüren. Genau gegen diesen gefährlichen Trend stellen sich die Kinder des 20. Juli, indem sie Mitmenschlichkeit und Moral verkörpern.
In der Schulmensa des Gymnasiums Frechen ist der Autor Tim Pröse am Donnerstag, 21.November, zu Gast. Dort liest er vor den Jahrgangsstufen Q2 und 10 und bietet den Schülern die Gelegenheit, Fragen zu stellen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die Schüler der Oberstufe haben sich intensiv vorab mit der Thematik des Widerstands auseinander gesetzt und für die Schulgemeinschaft eine Ausstellung vorbereitet.
„Wer war der Mann, der Hitler töten wollte? Stauffenberg – eine Spurensuche“. Lesung mit Tim Pröse am Mittwoch, 20. November, 19.30 Uhr in der Stadtbücherei Frechen, Johann-Schmitz-Platz 1-3, Eintritt: 5 Euro. Anmeldung erforderlich unter Telefon 02234-5011334 oder per E-Mail: stadtbuecherei@stadt-frechen.de
Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, lebt als Autor und Journalist in München. Zu seinen jüngsten Titeln gehören „Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler“, „…und nie kann ich vergessen – ein Stalingrad Überlebender erzählt“ und „Der Tag, der mein Leben veränderte“.