Wo einst in Frechen Steinzeugrohre produziert wurden, sollen über 600 Wohnungen, Gewerbeeinheiten, eine Kita und eine Grundschule entstehen.
100 Millionen-InvestitionAuf dem Keramo-Gelände in Frechen rollen bald Abbruch-Bagger an
Eine Zigarettenpackung, ein Brillenetui, Stifte, drei geleerte Kaffeebecher aus Pappe und aufgeschlagene Notizbücher liegen auf einem Schreibtisch in einer Werkhalle auf dem ehemaligen Keramo-Gelände — der Bürostuhl scheint gerade erst zur Seite geschoben worden sein. Und doch strahlt die Szene eine morbide Vergänglichkeit aus: Über allem liegt eine dicke Schicht Staub und Dreck, der Kalender an der Wand zeigt eine malerische Blumenwiese, allerdings auf einem Kalenderblatt für den Mai 2018.
Fast fluchtartig scheint der Arbeitsplatz damals verlassen worden zu sein, sogar persönliche Gegenstände wurden zurückgelassen. Dieser Eindruck zieht sich durch das gesamte, rund elf Hektar große Areal: Verwitterte Arbeitshandschuhe, Werkzeugreste und Glasscherben liegen auf den Böden der Hallen, die nur noch von vereinzelten Tauben bewohnt und immer wieder, trotz des Werkschutzes, von Einbrechern verwüstet werden.
Alte Maschinen, Förderbänder und Ofenanlagen erinnern an die einst so erfolgreiche industrielle Produktion von Steinzeugrohren, die 2018 von der Firma Keramo eingestellt wurde. Doch auch diese letzten Spuren der Steinzeugfabrik Rhenania, die die Unternehmerfamilie Wolf 1920 kaufte und mit ihr in den Folgejahren die Produktion von Steinzeugrohren verzehnfachte, werden bald verschwunden sein:
Abbrucharbeiten beginnen im November
Spätestens im letzten Quartal dieses Jahres, voraussichtlich im November, werden die Abbrucharbeiten auf dem Gelände beginnen. „Rückbau und Abbruch werden rund fünf Millionen Euro kosten und mehrere Monate dauern“, berichtet Kevin Krukau, Leiter Projektentwicklung Wolf Immobilien Gruppe. „Es muss jetzt endlich losgehen“.
Die Frechener Unternehmerfamilie Wolf will das ehemalige Gelände zu einem Technologie- und Kreativquartier entwickeln. Dort sollen unter anderem Labore, Rechenzentren, Medien- sowie PR-Firmen und Ateliers ein neues Zuhause finden. Rund 70 Prozent der Fläche des Geländes soll den Plänen zufolge für Gewerbe genutzt werden. Im Süden soll ein urbaner Bereich entstehen: Er bietet Raum für 250 Senioren- sowie 190 Ein-Zimmer-Appartements für Studierende und Fachkräfte sowie 225 Wohnungen für Familien mit Kindern.
Die Planer erwarten einen Bedarf von knapp 70 Kita- und Grundschulplätzen. Ein Grund, warum die Wolf Immobilien Gruppe auf dem Gelände eine eigene Kita bauen möchte und seit neuestem auch anbietet, eine Grundschule zu bauen — auf einem Grundstück an der Johannisstraße, auf dem aktuell noch eine Spielhalle ansässig ist. „Wir wollen das Keramo-Gelände so entwickeln, dass es optimale Entwicklungschancen für Frechen bietet“, erläutert Peter-Josef Wolf, der das Unternehmen seit 2010 in vierter Generation leitet, „wir sehen den Standort durchaus in Konkurrenz mit Düsseldorf und Bonn“.
Deutlich mehr als 100 Millionen Euro sollen laut Wolf investiert werden, die Bauzeit wird auf rund zehn Jahre geschätzt — erste Interessenten habe es bereits gegeben. Doch zurzeit sorgt sich der Unternehmer: „Wir verlieren alle eine tolle Chance, uns haben schon Investoren abgesagt.“ Den Grund sieht er in der Stadtverwaltung Frechen, die ihm zu langsam reagiere und arbeite. „Wir haben keine Planungsverlässlichkeit, bekommen keinen Zeitkorridor, es werden Entwicklungen verpasst“, klagt er, „wir fordern die Verwaltung auf, die Aufgaben endlich umzusetzen, es passiert viel zu wenig.“
Und Krukau ergänzt: „Wir sehen kein Licht am Ende des Tunnels, vielleicht könnte ein externer Projektmanager helfen, so kann es nicht weitergehen.“ Auch der positive Bescheid des Verkehrsgutachtens habe bislang keine Wendung eingeleitet, berichtet Krukau. Aktuell müsse so eine Zwischennutzung mit Logistikunternehmen geplant werden, die eigentlich niemand wirklich wolle.
Den Erhalt des Gutachtens bestätigt die Stadtverwaltung: „Seit gut zwei Wochen liegt das Verkehrsgutachten der Stadtverwaltung Frechen vor, wo die Verträglichkeit hinsichtlich der geänderten Planung mit mehr Wohnraum geprüft wurde. Das Gutachten wird derzeit von der Verwaltung gesichtet, weil die Aussage einer möglichen Erschließung des Gebiets elementar für die weitere Planung ist.“
„Im nächsten Schritt muss auch der Landesbetrieb Straßen NRW das Gutachten akzeptieren, weil dieser auch einer neuen Erschließung über die Bonnstraße zustimmen muss. Die Stadtverwaltung Frechen rechnet wegen der angespannten personellen Situation beim Landesbetrieb mit einer langen Bearbeitungszeit“, heißt es aus dem Rathaus.
Aber es gibt das Signal, dass es nun mit dem seit 2018 brach liegenden Gelände doch noch weitergehen könnte: „Der weitere Fahrplan soll zwischen Stadt und Eigentümer in einem Abstimmungstermin besprochen werden, welcher aufgrund der Urlaubszeit erst nach der Sommerpause stattfinden wird. Da in der Stadtplanungsabteilung mittlerweile neue Mitarbeitende eingestellt wurden, ist auch die Fortführung der nötigen Verfahren möglich.“
„Es werden der Flächennutzungsplan und ein Bebauungsplan aufzustellen sein. Grundlage hierfür ist auch noch eine Planungsvereinbarung zwischen der Stadt und dem Eigentümer, welche abzuschließen ist. Eine genaue Zeitplanung kann daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gegeben werden“, heißt es weiter. Und Bürgermeisterin Susanne Stupp beteuert: „Wir haben nach wie vor hohes Interesse an der Entwicklung des Geländes.“
„Bereits die nächsten erforderlichen Schritte werden wir nach unseren Möglichkeiten zeitnah angehen. Einen großen Punkt stellt die Planung einer neuen Grundschule dar.“ Da mache die Stadtverwaltung aber den zweiten Schritt vor dem ersten, sagt Krukau. Der Flächennutzungsplan sei der erste notwendige Schritt. Peter Wolf blickt etwas betrübt auf die aktuelle Situation: „Ich bin jetzt 51, ich würde das Rhenania-Quartier noch gerne erleben.“