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Zweiter WeltkriegDer Großvater, ein unbekannter Soldat

Lesezeit 4 Minuten

Alexandra Stach von Goltzheim besuchte den deutschen Soldatenfriedhof Maleme auf Kreta.

Frechen – „Wir wollten einfach nur in die Sonne. Auf irgendeine Insel, die wir noch nicht kennen. Es hätten auch die Kanaren werden können“, sagt Alexandra Stach von Goltzheim. Sie und ihr Mann Tom sind vor einigen Tagen aus den Ferien auf Kreta zurückgekehrt. Und was eigentlich ein ganz normaler Badeurlaub werden sollte, wurde zu einer Reise in die eigene unbekannte Familiengeschichte.

Vor der Abreise erzählt Alexandras Vater, Johann-Albrecht Stach von Goltzheim, dass der Großvater im Zweiten Weltkrieg auf Kreta gefallen und später dort auf dem deutschen Soldatenfriedhof beigesetzt sei. Er selbst hatte sich schon vor 50 Jahren auf die Suche nach der letzten Ruhestätte seines Vaters gemacht. Den Soldatenfriedhof gab es damals noch nicht. Der heute 73-Jährige erinnert sich: „Im Kloster Gonia hat man mich in eine Kammer geführt. Da waren viele kleine Bleisarkophage, geschätzt 50 mal 30 Zentimeter groß. Man zeigte mir den Sarkophag meines Vaters. Da waren vier Soldaten drin.“

Auf Kreta angekommen macht sich Alexandra Stach von Goltzheimauf die Suche nach dem Grab des Großvaters, den sie nie kennenlernte. Fast drei Stunden dauert die Fahrt über die Insel von ihrem Hotel in der Touristenhochburg Chersonissos zum deutschen Soldatenfriedhof bei Maleme. Das letzte Stück des Weges führt durch Olivenhaine. Große Erwartungen hat die Frechenerin nicht: „Ich wollte einfach mal Opas Grab angucken. Einfach mal da gewesen sein. Doch je näher ich kam, desto kribbeliger wurde ich.“

Als die 42-Jährige an der Gedenkstätte ankommt, ist der Himmel wolkenverhangen. Es fallen Regentropfen. Im Eingangsbereich hängen Informationstafeln zur Entstehung des Friedhofs. Ein Besucherbuch liegt aus und die Namenslisten der Gefallenen. Sie geben Auskunft über das Gräberfeld und die Grabnummer. Alexandra findet den gesuchten Eintrag: Stach von Goltzheim, Hans-Georg. Rittmeister. Block 4. Grab 271.

Sie geht den Weg hinauf zu dem mit Mittagsblumen bepflanzten Hügel. Als Erste aus der Familie steht sie am Grab des Großvaters und sie wird von ihren Gefühlen überwältigt: „Ich war sehr traurig, traurig, dass ich meinen Opa leider nicht kennenlernen durfte. Und ich habe mich gefragt, was genau damals auf dieser Insel passiert ist. Die vielen Gräber – warum musste das alles sein?“

Zurück zu Hause in Königsdorf forscht Alexandra in der Familienchronik und versucht, das Leben ihres Großvaters zu rekonstruieren. Briefe und Berichte des Burschen von Hans-Georg Stach von Goltzheim geben Auskunft über den Kriegseinsatz auf Kreta.

Rückblick. Rittmeister Hans-Georg Stach von Goltzheim, 1904 in Düsseldorf geboren, ist Kompaniechef eines Krad-Schützen Bataillons. Weihnachten 1940 ist der Offizier noch einmal auf Heimaturlaub auf dem Rittergut der Schwiegereltern – zur Taufe seines einzigen Kindes, Alexandras Vater Johann-Albrecht. Am zweiten Weihnachtstag wird er vorzeitig abberufen. Es sollte das letzte Mal sein, das seine Familie ihn gesehen hat.

Am Morgen des 25. Mai 1941 landet er mit seiner Truppe auf dem Flugplatz Maleme auf Kreta. Das Bataillon erhält zunächst Anweisung gegen bewaffnete griechische Zivilisten vorzugehen. Drei Tage später, am 28. Mai, stößt die Einheit bei Neon Chorion gegen die Alliierten vor.

Rittmeister Stach von Goltzheim stürmt mit seiner Maschinenpistole voraus gegen den Feind und schießt. Im Abwehrfeuer der Briten wird er von einem Baumschützen in Oberschenkel und Bauch getroffen. Im Kondolenzschreiben an die Witwe notiert sein Bursche, der Gefreite Rohrsetzer, einige Wochen später: „Herr Rittmeister war bald tot. Ich lag wenige Schritte neben ihm. Er wurde von den Tommys aus 30 Metern Entfernung erschossen.“

73 Jahre später muss Alexandra Stach von Goltzheim das alles erst noch verarbeiten. Der Großvater – Opfer und Täter? „Er war Berufssoldat. Er hatte keine Wahl. Auch er kämpfte um sein Leben“, sagt ihr Vater heute. Alexandra Stach von Goltzheim muss ihre Antworten noch finden.

Durch die Reise nach Kreta hat sie viel über den Großvater erfahren. Aber neue Fragen sind hinzugekommen. Und so bleibt der Großvater für sie ein unbekannter Soldat.