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Hoffen auf LockerungenBewohner von Senioreneinrichtungen leiden unter Isolation

Lesezeit 6 Minuten

Eine Plexiglasscheibe trennt Heimbewohnerin Thea Rensing (Mitte) in Lohmar von ihren Töchtern Iris Rensing (links) und Petra Rink, die ihr zum 86. Geburtstag gratulierten.

  1. Seniorenzentren und Pflegeeinrichtungen sind aktuell durch die Pandemie sehr belastet.
  2. Die Bewohner leiden unter der Isolation, um bereits erkrankte Menschen zu schützen.
  3. n der Reihe „Rhein-Erft-Talk“ interviewte Bernd Rupprecht den Vorstandsvorsitzenden des Caritasverbandes Rhein-Erft, Peter Altmayer, und Wolfgang Schilling, Geschäftsführer der Seniorenzentren der Arbeiterwohlfahrt.

Rhein-Erft-Kreis – Seniorenzentren und Pflegeeinrichtungen sind sehr belastet. Alte und bereits erkrankte Menschen sind bei einer Infizierung mit dem Coronavirus besonders gefährdet. In der Reihe „Rhein-Erft-Talk“ interviewte Bernd Rupprecht den Vorstandsvorsitzenden des Caritasverbandes Rhein-Erft, Peter Altmayer, und Wolfgang Schilling, Geschäftsführer der Seniorenzentren der Arbeiterwohlfahrt.

Herr Altmayer, Herr Schilling, Sie tragen in der Corona-Krise eine besondere Verantwortung, bedrückt Sie das?

Altmayer: Nein, ich bin sehr zuversichtlich, dass wir durch diese Krise gut durchkommen. Wir haben stationäre Einrichtungen, aber auch für unsere ambulanten Dienste klare Prozessbeschreibungen. Außerdem haben wir sehr gut ausgebildete und engagierte Pflegekräfte.

Wolfgang Schilling ist Geschäftsführer bei der Awo.

Schilling: Bedrückend würde ich auch nicht sagen. Aber man spürt schon eine andere Verantwortung für die Bewohner und Mitarbeiter, die natürlich eine gewisse Unruhe und Unsicherheit haben. Das heißt, hier müssen wir auch die Mitarbeiter gut begleiten. Man darf nicht verzagen, man muss positiv rangehen.

Vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen werden von dem Coronavirus besonders bedroht. Welche Maßnahmen haben Sie getroffen?

Altmayer: Wir haben sehr früh einen Krisenstab gebildet. Außerdem haben wir Schutzmaßnahmen sowohl für Mitarbeiter wie Bewohner ergriffen. Wir testen regelmäßig und trennen infizierte von nicht infizierten Bewohnern. Wir haben zwei Isolierstationen eingerichtet, die wir aber noch nicht haben in Betrieb nehmen müssen.

Bernd Rupprecht, Redaktionsleiter für den Rhein-Erft-Kreis.

Schilling: Wir haben auf Leitungsebene einen Krisenstab gebildet. Für die Schulung unserer Mitarbeiter haben wir Videofilme bereitgestellt. Wir haben auf Isolierung in den Gebäuden gedrängt und Quarantänevorgaben erarbeitet. Das heißt, dass die Bewohner in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können, damit insbesondere bei den demenziell Erkrankten nicht noch mehr Unruhe hinzukommt.

Auch in Ihren Einrichtungen sind Bewohner erkrankt, es gab Todesfälle. Erkennen Sie jetzt einen positiven Trend?

Schilling: Wir haben positiv getestete Bewohner gehabt, die verstorben sind. Jetzt gib t es weniger positiv Getestete. Wir wussten ja nicht, woher diese Infektionen kamen. Wir haben alles abgeschottet, das hat sich bewährt. Dank der Geduld der Bewohner und der Schaffenskraft unserer Mitarbeiter.

Peter Altmayer ist Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes.

Altmayer: Wir haben infizierte Bewohner und Mitarbeiter im niedrigen einstelligen Bereich und ich hoffe, dass es so bleibt. Ich denke, es wird sich sicher nicht weiterentwickeln.

Wie schwierig ist es, dementen Bewohnern die Lage verständlich zu machen?

Schilling: Wenn ich ehrlich bin, können wir den demenziell Erkrankten das Thema nicht umfassend näher bringen. Oft verstehen sie nicht: Warum bin ich hier isoliert und alleingelassen worden? Wir versuchen natürlich, die Not zu lindern.

Altmayer: Es ist in normalen Zeiten schon schwer, Menschen mit demenziellen Verhalten Dinge zu erklären. Wir erkennen, dass sich jetzt neue Routinen einstellen. Ich will aber nicht verhehlen, dass es eine schwierige Situation ist und wir hoffen, dass es möglichst bald vorbei ist.

Besuchsverbote und Versammlungseinschränkungen belasten Bewohner sehr stark. Wie gehen Sie damit um?

Altmayer: Wir benutzen Telefon, Whatsapp oder Skype. Aber auch so ganz einfache Dinge, die man früher gemacht hat. Im Erdgeschoss kann man ja am Fenster Gespräche führen zwischen Bewohnern und Kindern oder Ehepartnern. Es gibt mehr Angebote wie Spaziergänge oder Singen. Aber es ist schon eine Herausforderung für Mitarbeiter im sozialen Dienst.

Schilling: Bei uns gibt es auch diese Fenstergespräche oder über den Gartenzaun. Das A und O ist die Einzelbetreuung. Es ist natürlich kein Idealzustand.

In einzelnen Einrichtungen gab es Initiativen von Musikern und Bands, die in Innenhöfen musiziert haben . . .

Altmayer: Das ist sehr gut angekommen. Und wir werden auch am 1. Mai kleine Konzerte von Blaskapellen haben. Die Unterstützung aus der Bevölkerung ist sehr groß und darüber freuen wir uns sehr.

Können Sie sich vorstellen, unter Auflagen Besuche bald wieder zuzulassen?

Schilling: Ja, wir müssen es auch. Die Angehörigen und Familien werden mittlerweile unruhig. Wir überlegen gerade, wie wir das räumlich darstellen können mit dem notwendigen Sicherheitsabstand. Es gibt schon erste Anfragen für Muttertag.

Altmayer: Wir rechnen damit, dass das Land ab Mitte Mai Lockerungen zulassen wird. Bei gutem Wetter kann man das sicherlich so gestalten, dass mehr Begegnungen am Haus, am Garten oder an den Fenstern möglich wird. Das ist individuell von Haus zu Haus unterschiedlich.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat gesagt, es sei in der Absolutheit nicht richtig, dass alles vor dem Schutz von Leben zurückzutreten habe. Was sagen Sie?

Altmayer: Also ich stimme Herrn Schäuble zu. Die Abwägung von Grundrechten ist notwendig. Dies ist eine vornehme Aufgabe der Politik, hier eine Regelung zu treffen.

Schilling: Auch aus den Bewohnerkreisen kommt die Aussage, meine Lebensqualität hat nachgelassen, ich kann mich nicht frei bewegen, ich kann meine Familie nicht mehr sehen. Was hilft da der Schutz? Man muss jetzt auch den ethischen Aspekt mit in die Diskussion einbringen.

Wenn Menschen in Ihre Einrichtungen kommen, geht es ihnen gesundheitlich meist nicht mehr so gut. Wie hat sich die Verweildauer geändert?

Altmayer: Die Möglichkeiten, länger zu Hause gepflegt zu werden, haben sich deutlich verbessert. Deswegen kommen Menschen später in stationäre Einrichtungen. So hat sich die Verweildauer verkürzt, sie liegt bei zwei Jahren.

Schilling: Die Verweildauer hat sich massiv verkürzt, das war ja auch erklärter politischer Wille, ambulant vor stationär. Und das führt dazu, dass Menschen in der letzten Lebensphase in die Einrichtungen kommen.

Ihre Pflegekräfte leisten unglaublich viel und sind stärker gefährdet. Gibt es mittlerweile genug Schutzausrüstung?

Schilling: Zu Beginn hatten wir große Probleme. Die Situation hat sich etwas entspannt. Aber wenn ein Rückfall großen Ausmaßes käme, würden wir schnell an unsere Grenzen stoßen. Denn es geht ja nicht nur um die Mitarbeiter in der Pflege, sondern auch um die Reinigungskräfte und die in der Hauswirtschaft, die Hausmeister . . .

Altmayer: Zurzeit haben wir genug Schutzausrüstung.

Die Bundesregierung hat einen steuerfreien Bonus von bis zu 1500 Euro vorgeschlagen, der mit dem Juli-Gehalt ausgezahlt werden soll. Begrüßen Sie diese Form von Anerkennung, reicht es aus?

Schilling: Die Awo vertritt die Auffassung, dass es wegen möglicher Zahlungen nicht zu Pflegesatzerhöhungen kommen darf. Es muss anders finanziert werden. Ich meine, man muss den Personenkreis größer machen und nicht auf Pflegekräfte beschränken. Auch die, die mittelbar in der Pflege arbeiten, haben das mit Sicherheit verdient.

Altmayer: Mitarbeiter fragen nach dieser Prämie. Und aus meiner Sicht muss das rasch vollzogen werden. Die Finanzierung sollte ausschließlich über Steuermittel gehen.

Was muss man zukünftig tun, um die Arbeit von Pflegekräften mehr Wert zu schätzen?

Altmayer: In der öffentlichen Diskussion muss die Arbeit mehr wertgeschätzt werden. Dazu können wir alle, auch die Medien beitragen.

Schilling: In der Öffentlichkeit wird zu oft über Defizite gesprochen. Dabei wird eine gute und sehr stark auf die Menschen ausgerichtete Arbeit geleistet. Es darf auch kein Unterschied mehr zwischen Krankenhaus-, ambulanter Pflege oder Senioreneinrichtungen gemacht werden.

Was ist Ihr Appell an die Gesundheitspolitiker?

Altmayer: Schaffen Sie Vertrauen bei den Bürgern. Erklären Sie die Maßnahmen nachvollziehbar. Produzieren Sie nicht jeden Tag neue Ideen. Nach der Krise muss sicherlich noch mal eine gründliche Analyse gemacht werden. Wir brauchen sicher mehr und bessere Pläne für die nächste Krise. Sollte es weltweit noch mal zu einer Pandemie kommen, sollte die Zuständigkeit für die Regelung auf die Bundesebene verlagert werden.

Schilling: Die Politik muss sich jetzt nicht nur die Frage stellen, wie schützen wir Menschen vor dem Coronavirus, sondern auch, wenn jemand das nicht will. Die ethischen Fragen müssen jetzt mit dazu kommen.

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