„Das fasst einen an“Hürther in Sorge um Partnerstadt in der Ukraine
Rhein-Erft-Kreis – Vor dem Hürther Rathaus wehen die Fahnen nach dem Angriff der Russen auf die Ukraine seit Donnerstagvormittag auf halbmast. Damit soll ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität mit der Ukraine gesetzt werden, mit der die Stadt sich besonders verbunden fühlt: Im vergangenen Herbst wurde ein Freundschaftsvertrag mit der Stadt Peremyschljany in der Westukraine, rund 50 Kilometer südöstlich von Lemberg, geschlossen.
Hürther Bürgermeister fürchtet um die junge Demokratie in der Partnerstadt
Bürgermeister Dirk Breuer hält über einen Messenger-Dienst auf dem Mobiltelefon Kontakt mit seinem ukrainischen Amtskollegen Oleksandr Zozulya und ist erschüttert über dessen jüngsten Berichte aus der Stadt mit ihren gut 24.000 Einwohnern.
„Heute stehen die städtischen Behörden vor der Aufgabe, die Funktionsfähigkeit der städtischen Infrastruktur im Kriegsfall sicherzustellen. Deshalb arbeiten wir an der Notstromversorgung für die Wasserversorgungsnetze, unser Krankenhaus und die Notunterkünfte“, meldete Zozulya am Mittwochabend aus Peremyschljany. „Das Krankenhaus bereitet eine Versorgung mit Medikamenten und Materialien zur Wundversorgung vor. Wir richten gesonderte Plätze für die mögliche Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ostukraine im Wohnheim des Berufslyzeums ein. Wir helfen auch der für unsere Gemeinde zuständigen Territorialverteidigungseinheit bei der Organisation des Standorts.“
Peremyschljany fürchtet sich vor Angriffen mit Distanzwaffen
Inzwischen habe der ukrainische Bürgermeister die Einwohner seiner Stadt auch zum Blutspenden im örtlichen Krankenhaus aufgefordert, damit verwundete Soldaten mit Blutkonserven versorgt werden können, berichtet Breuer. Zwar liegt das Krisengebiet im Osten am anderen Ende der Ukraine. Aber auch in Peremyschljany fürchte man sich vor Angriffen mit Distanzwaffen. In der Nähe von Lemberg sei am Donnerstag bereits eine Rakete eingeschlagen.
„Wir sind voller Mitgefühl und denken mit brennendem Herzen an unsere ukrainischen Freunde“, sagt Breuer, der erst im vergangenen November mit einer Delegation aus der Stadtverwaltung und vom Partnerschaftsverein Hürth zur Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags in der Ukraine war. Einen Monat zuvor waren die Ukrainer beim Erntedankempfang der Stadt in Hürth zu Gast. Mit der Städtefreundschaft, deren Anbahnung vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt wurde, wollen die Hürther „einen Beitrag zur Stärkung der Westintegration der Ukraine leisten“, sagt Breuer.
Hürther Partnerschaftsverein will medizinische Geräte in die Ukraine bringen
Breuer sagt, er mache sich große Sorgen um die junge Demokratie, deren Werte von den Menschen in Peremyschljany gelebt würden: „Das fasst einen an. Das ist so surreal für uns, solch ein Kriegsgeschehen mitten in Europa zu haben.“
Breuer sagte seinem Amtskollegen in der Partnerstadt Unterstützung zu. Der Partnerschaftsverein Hürth (PVH) will „auf kommunaler Ebene ein Zeichen der Solidarität setzen“, kündigt der Vorsitzende Rüdiger Winkler an. Der PVH sammelt Spenden, mit denen ein Hilfstransport mit dringend benötigten medizinischen Geräten für das zentrale städtische Krankenhaus in Peremyschljany finanziert werden soll. Weil Transporte in die Ukraine derzeit kaum möglich sind, sollen die Hilfsgüter zunächst in die polnische Partnerstadt Skawina bei Krakau gebracht werden, die ebenfalls eine Städtepartnerschaft mit Peremyschljany pflegt. Beide Städte liegen in Grenznähe. „Von dort aus können die Ukrainer die Hilfsgüter dann abholen“, berichtet Breuer.
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Schon in der Vergangenheit hat Hürth die ukrainische Partnerstadt mit Hilfsgütern unterstützt. Im Oktober 2019 organisierten die Hürther einen Konvoi, mit dem ein Feuerwehrfahrzeug sowie Mobiliar, Computer und Monitore für Schulen nach Peremyschljany gebracht wurden.
Auch Unternehmen aus dem Rhein-Erft-Kreis haben Verbindungen zur Ukraine. Die Quarzwerke Frechen etwa sind an drei Standorten in der Ukraine vertreten, unter anderem mit einer Quarzsand-Grube in Oleshnya nahe der Grenze zu Belarus. Die Lage war gestern noch sehr unübersichtlich. Man könne derzeit noch keine Stellungnahme abgeben, so das Unternehmen auf Anfrage. Die Quarzwerke haben auch vier Standorte in Russland.
Unternehmen aus dem Rhein-Erft-Kreis haben Verbindungen in die Ukraine und nach Russland
„Klar ist, dass Unternehmen mit geschäftlichem Engagement in Russland und der Ukraine stark vom Krieg und den Sanktionen betroffen sein werden“, sagt Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Köln, die auch einen Sitz in Bergheim hat. Dennoch sei sich die Wirtschaft bewusst, dass angesichts der Aggression massive Sanktionen unausweichlich seien.
Vetterlein gibt aber Entwarnung in Sachen Energie: „Die Versorgungssicherheit im Rheinland ist trotz der jüngsten Entwicklungen nicht unmittelbar gefährdet.“ Die Region sei in ein internationales Pipelinenetz eingebunden, auch verfügten die Speicherunternehmen über Gasreserven. Allerdings fürchtete Uwe Vetterlein, dass die ohnehin schon hohen Energie- und Strompreise weiter steigen werden und damit alle Unternehmen treffen würden.
Auch die Versorgung der beiden Gaskraftwerke von Statkraft im Chemiepark Hürth-Knapsack ist gesichert. „Statkraft hält Lieferverträge mit einem nicht-russischen Gaslieferanten. Gegenwärtig sehen wir keine Anzeichen, dass die Lieferverpflichtungen nicht eingehalten werden“, so Unternehmenssprecherin Judith Tranninger.