Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Wenn Helfer an Grenzen geratenSeelsorger-Team in Hürth kümmert sich um traumatisierte Retter

Lesezeit 4 Minuten
Feuerwehrleute und Rettungssanitäter stehen vor einem Rettungshubschrauber.

Rettungskräfte und Feuerwehrleute sind darauf geschult, anderen Menschen zu helfen. Manchmal geraten aber auch sie an ihre Grenzen.

Auch die, die täglich anderen helfen, brauchen einmal Hilfe. Die Rede ist von Rettern, die beispielsweise bei Unfällen oder Bränden ausrücken und teils Schreckliches erlebt haben. Dabei hilft ein Team aus Hürth.

Es geht immer um Sekunden. Die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst sind darauf geschult, in kürzester Zeit zur Stelle zu sein, wenn Menschenleben in Gefahr sind, wenn es brennt oder schlimme Unfälle passiert sind. Doch es gibt Situationen, in denen auch die Rettungskräfte nicht mehr helfen können. Allein in den vergangenen beiden Wochen sind bei schweren Unfällen drei Menschen im Rhein-Erft-Kreis gestorben.

Feuerwehrleute geraten unter anderem bei Kindern an ihre Grenzen

Besonders schlimm ist es für die Einsatzkräfte, wenn Kinder, junge Menschen, Kollegen oder Familienangehörige bei Unfällen, Bränden oder Naturkatastrophen in Notsituationen geraten, schwer verletzt oder sogar getötet werden. Dann können auch die Feuerwehrleute und Rettungskräfte an ihre Grenzen geraten.

„Solche Situationen hat wohl jeder von uns schon einmal mitgemacht“, sagt Hürths stellvertretender Feuerwehrchef, Stadtbrandinspektor Helmut Schmitz. Seit 47 Jahren zählt er im Löschzug Gleuel zum Team der Freiwilligen Feuerwehr Hürth. Bei vielen Katastrophen, Bränden und Unfällen, bei denen Menschen in Hürth und im Rhein-Erft-Kreis gerettet werden konnten, aber auch ums Leben kamen, war er im Einsatz.

„Aber das belastet mich nicht“, versichert Helmut Schmitz. Er habe gelernt, damit umzugehen. Doch für den Fall der Fälle steht für alle Einsatzkräfte Hilfe bereit.

Psychosoziale Unterstützung gibt es aus Hürth

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre steht den Rettern ein Seelsorger-Team zu Verfügung, damals mit Unterstützung der katholischen und evangelischen Kirchen. 2001 ging in Hürth das PSU-Team an den Start. PSU steht für Psychosoziale Unterstützung.

Das Team ist auf eine strukturierte Nachsorge der Haupt- und Ehrenamtler nach schweren Einsätzen geschult. Möglich sind Gruppen- und Einzelgespräche.

Die Helfer im PSU-Team informieren auch über den Verlauf psychischer Belastungen, helfen, mögliche Symptome zu erkennen und unterstützen die Betroffenen dabei, die Belastungen zu verarbeiten. Oberstes Ziel ist, psychischen Traumatisierungen vorzubeugen, mögliche psychischen Reaktionen direkt und nachhaltig zu begegnen und weitere Unterstützung zur Bewältigung des Einsatzgeschehens anzubieten.

Der Hürther Feuerwehrchef, Branddirektor Michael Mund (51), war 2001 beim Aufbau des PSU-Teams dabei und ist bis heute Ansprechpartner dieser besonderen Einheit.

In Hürth ist die Feuerwehr damit besser als jede andere Feuerwehr im Rhein-Erft-Kreis aufgestellt.
Holger Reiprich, Krisenberater

Ein Mann der ersten Stunde ist auch der evangelische Pfarrer und ausgebildete personenzentrierte Krisenberater Holger Reiprich. Er hat das PSU-Team in Hürth aufgebaut, arbeitet aber im gesamten Rhein-Erft-Kreis als Notfallseelsorger, um Unfallzeugen, Ersthelfern, Angehörigen von Unfallopfern und Betroffenen beizustehen.

Das PSU-Team ist ausschließlich für die Feuerwehren und den Rettungsdienst zuständig. In Hürth gehören drei psycho-soziale Fachkräfte, ein Sozialarbeiter und zwei PSU-Assistenten beziehungsweise PSU-Helfer, sogenannte Peers, zum Team. „Das sind freiwillige Feuerwehrleute, die sowohl in der PSU geschult sind als auch die feuerwehrtechnische Ausbildung haben“, erläutert Reiprich. Bald soll das PSU-Team durch einen Psychiater erweitert werden. „In Hürth ist die Feuerwehr damit besser als jede andere Feuerwehr im Rhein-Erft-Kreis aufgestellt“, merkt Reiprich an.

Sehr belastende Situation bei Unfall auf dem Eis aus 2017

Ob das PSU-Team bei einem Einsatz gebraucht werden könnte, merkt Michael Mund im Laufe des Einsatzes, wenn zum Beispiel Menschenleben in Gefahr oder Kinder und Jugendliche involviert sind. So wie am 5. Februar 2017, als zwei Kinder auf dem Gotteshülfeteich im Eis eingebrochen waren. Eines konnte von Freunden aus dem kalten Wasser gerettet werden, das andere war unter die Eisfläche geraten.

„Am Ende ist alles gut gegangen, das Kind hat überlebt und führt heute ein ganz normales Leben“, sagt Mund. Doch das hätten die vielen an der Rettung beteiligten Einsatzkräfte erst Tage später erfahren. Erst einmal sei die Situation sehr belastend für sie gewesen. „Schließlich galt es, ein Kind  möglichst schnell unter dem Eis zu finden, herauszuholen und dann zu reanimieren“, sagt Mund.

Unabhängig davon, ob das PSU-Team für die Nachsorge angefordert wird, kommen die Einsatzkräfte nach schweren Einsätzen immer zu einer Gesprächsrunde zusammen. „Reden hilft“, sagt Reiprich.

Wie wichtig die Gespräche sind, wurde auch nach dem Zugunglück in Brühl im Februar 2000 deutlich. Neun Passagiere sind damals gestorben, etwa 140 wurden verletzt. Bei den Nachsorgegesprächen kamen bei einigen älteren Einsatzkräften die Bilder des Zugunglücks im Mai 1983 in Königsdorf, bei dem sechs Menschen starben, wieder hoch. Damals gab es keinerlei Einsatznachsorge und die Retter mussten allein mit dem Erlebten fertig werden.