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SchauspielschuleDer Kämpfer ist ein gefragter Mann

Lesezeit 5 Minuten

Arved Birnbaum (l.) wird von den Tatort-Kommissaren Saalfeld(Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) verhaftet.

Hürth-Kalscheuren – „Ich kann es nicht beweisen. Aber es ist so: Sie haben meine Schwester umgebracht.“ An das Datum ihres Todes kann sich Arved Birnbaum, der 2012 mit seiner Schauspielschule „Deutsches Zentrum für Schauspiel und Film“ nach Hürth-Kalscheuren gezogen ist, nicht mehr erinnern. „Ich weiß noch, es war ein Montag im März 1988, das Datum hab ich verdrängt.“ Birnbaum, 1962 in Forst/Lausitz geboren, blickt in das Jahr 1988 zurück. Er selbst war gerade vom militärischen Grundwehrdienst entlassen, da bekam er die Nachricht vom Tod seiner zwei Jahre älteren Schwester Ines, „die mir sehr nahe stand“. Ines Birnbaum hatte Chemiefasertechnologie studiert und war damit in einem Textilunternehmen gelandet, in dem Stoffe für das Militär hergestellt wurden. „Damit war sie Geheimnisträgerin, und ich vermute, sie war auch bei der Staatssicherheit“, sagt Birnbaum. Als sie sich in einen österreichischen Monteur verliebte, wollte sie raus aus dieser unwahren Welt der Staatsgewalt. Sie bewarb sich in einer Tuchfabrik in Cottbus. „Aber langfristig wollte sie die DDR verlassen“, weiß ihr Bruder.

Auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch nach Cottbus verunglückte sie mit ihrem Trabant, überschlug sich bei Tempo 80. Sie blieb nahezu unverletzt, nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus wurde sie entlassen und fuhr in die elterliche Wohnung. Ihre Mutter bat sie, eine Nacht zu bleiben („Sie schien wohl noch ein wenig wackelig“), aber Ines Birnbaum wollte unbedingt in ihre nur 500 Meter weit entfernt liegende Wohnung und nach Kater Peter schauen. Als sie Montagmittag immer noch nicht an ihrem Arbeitsplatz erschienen war, ihr Chef inzwischen schon beim Vater nach ihrem Verbleib fragte, ging dieser in die Wohnung und fand die Tochter – vollständig bekleidet – tot auf dem Bett liegen. Die Eltern beantragten eine Obduktion, sie wurde abgelehnt. „Offiziell hieß es, meine Schwester sei an den Folgen einer Gasvergiftung gestorben. Seltsam nur, dass Kater Peter diese Vergiftung putzmunter überlebt hat.“ Zwei weitere Obduktionsanträge wurden ebenfalls abgelehnt, stattdessen wurde die junge Frau zügig eingeäschert und beigesetzt. Birnbaum: „Sie haben sie ermordet, für mich steht das fest.“

Nach dem Mauerfall wandte er sich an die „Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“. „Eine Akte Birnbaum gab es nicht. Ich denke, sie wurde vernichtet.“ Dabei war es gerade seine Schwester, die ihm Jahre zuvor beim Sprung in ein völlig neues Leben behilflich war. Er, der gelernte Elektriker und erfolgreiche Elektroanlagenbauer, er, der für DDR-Verhältnisse gut verdiente und dienstlich regelmäßig ins Ausland fahren konnte – ins sozialistische natürlich –, entdeckte die Bühne für sich. Seine Schwester hatte zufällig einen Zeitungsartikel gelesen, in dem nach männlichen Studienbewerbern der Hans-Otto-Schauspielschule in Leipzig gesucht wurde. „Sie hat mich ohne mein Wissen einfach angemeldet. Die Einladung zum Eignungstest schenkte sie mir dann 1985 zum Geburtstag“, erinnert sich Arved Birnbaum gut. Schon im Fußballverein waren Freund Max und er bei Feiern immer für die Sketche zuständig. „Das machte Spaß und kam sehr gut an“, erinnert er sich an seine ersten Erfahrungen mit Bühne und Zuschauern.

Umzug nach Köln

14 Tage später reiste er nach Leipzig und landete in der imposanten Villa der Hans-Otto-Schauspielschule. Völlig allein stand er im Foyer. Seine Blicke wanderten von der Bühne über die Treppenaufgänge hin in die Zuschauerränge. „Das willst Du machen“, sagt ihm plötzliche eine innere Stimme mit großer Überzeugungskraft. Kurz: Er bestand den Eignungstest, dann die Prüfung und scheiterte an der Staatsräson, indem er in einem Abschlussgespräch Kritik am „großen Bruder Sowjetunion“ übte. Ähnlich erging es ihm an der Ernst-Busch-Hochschule. Erst in deren Außenstelle in Rostock zählte offenbar allein das schauspielerische Talent, hier fand er schließlich seinen Platz. Dieses neue Leben – so anders als alles bis dahin Gelebte – forderte seine ganze Aufmerksamkeit. Als die Mauer am 9. November 1989 geöffnet wurde, war das natürlich auch für ihn ein großer Tag, der Umbruch brachte rein äußerlich unendlich viele Neuerungen, aber so richtig beschäftigt hat er sich nicht damit. „Was da im Detail so alles passiert ist, etwa die Montagsdemonstrationen, hab ich erst durch spätere Dokumentationen im Fernsehen erfahren.“

1992, er war gerade mit dem Schauspielstudium fertig, gab es in Rostock ein Intendantenvorsprechen. „Danach hatte ich sieben Angebote im Westen der Republik. Stuttgart, das größte Haus, sollte es zunächst werden. Als er dort zum ersten Mal auf der Bühne stand, verschlug es ihm den Atem. Zwischen Bühne und letzter Zuschauerreihe liegen 125 Meter. „Wissen Sie, wie weit das ist?“ In dem einjährigen Engagement spielte er in vier Stücken. „Sein Fach“ sind die Kräftigen, die Kämpfer, die Bodenständigen. Nach einem weiteren Studium der Film- und Fernsehwissenschaften in Berlin, einem Engagement im Grillo-Theater in Essen sowie als Gastschauspieler in Oberhausen, lotste ihn eine Schauspielfreundin nach Köln. Angelockt durch einen großen öffentlichen Fernsehsender und zahlreiche private Sender hoffte er hier auf Filmaufträge. Sie kamen.

Quartier in Hürth

Nach einem ersten Kurzfilm lernte er bei den Internationalen Hofer Filmtagen Jan Hinter, den Produzenten zahlreicher Folgen der beliebten Krimi-Reihe „Tatort“ kennen. „Drei Affen“ war das Drehbuch betitelt, das Jan Hinter Birnbaum zum Studium in die Hand drückte. Die Rolle, die ihm zugedacht war, war die des kämpferischen Heinz Obst, einem zusätzlichen Kommissar zum Kölner Polizisten-Duo Behrendt/Bär. Elf Drehtage „und die Gage war super“. Sein Durchbruch. Die Liste seiner Filmrollen scheint schier endlos. Der Kräftige, der Kämpfer, der Bodenständige ist ein gefragter Mann in Serien, Krimireihen und Spiel- und Kurzfilmen. Kaum jemand, der dieses Genre mag, kennt sein Gesicht nicht. 2006 übernahm er die Schauspielschule Olruth/Hackenbroch in Köln-Poll, mit der er vergangenes Jahr nach Hürth-Kalscheuren zog.

Privat hatte er gemeinsam mit Ehefrau Sabine längst sein Quartier auf Hürther Stadtgebiet aufgeschlagen. 42 Schüler werden dort auf 530 Quadratmetern ehemaligen Fabrikgelände in drei Jahrgängen von Dozenten unterrichtet. Und nun wird er vom 16. September an noch eine Abteilung für Jugendliche und Kinder einrichten. Im Vorfeld gibt es zwei Workshops, in denen noch einige Plätze frei sind: Vom 29. Juli bis 2. August gibt es einen Musical-Workshop für Elf - bis 17-Jährige und in der Zeit vom 22. bis 26. Juli einen Schauspielworkshop für Zehn- bis 16-Jährige. Anmeldung unter ☎0221/97241991 oder per E-Mail.info@schauspiel-zentrum.de