Wie ein zweites Wohnzimmer: Die Gaststätte „Wolter“ in Horrem war für viele Gäste ein Ort zum Wohlfühlen. Doch nun musste das Gasthaus an Neujahr schließen.
Nach 120 JahrenWirtin schließt Gasthaus „Wolter“ in Horrem wegen Krankheit
Stimmengewirr, Lautstärke, extreme Enge, alle kennen sich irgendwie, man duzt sich, Unbekannte werden freudig begrüßt: „Frohes neues Jahr!“ Der Anlass aber war traurig: Die Gaststätte „Wolter“ in Horrem schließt nach 120 Jahren ihre Pforten.
Marlies Wolter, die die Traditionsgaststätte 35 Jahre lang geführt hat, hatte für den Neujahrstag zu einem letzten Umtrunk eingeladen. Jetzt ist das „Haus Wolter“ endgültig geschlossen.
Das Gasthaus „Wolter“ blick auf einen langjährigen Familienbetrieb zurück
Am letzten Abend flossen viele Tränen: bei den Gästen und bei der Wirtin. Deren Großvater Friedrich Wilhelm Wolter hatte das Haus 1902 gegründet. Bis heute stehen noch einige der Tische des Eröffnungsjahrs im Gastraum. „Die sind sicher restauriert?“, fragt der Reporter. „Nichts da, ich habe sie einfach immer nur sauber geschrubbt. Das war noch Wertarbeit.“
1932 wurde die alte Bierwirtschaft abgebrochen und durch ein neues Gebäude ersetzt, nach wie vor an der Hauptstraße/Ecke Merodestraße. Marlies Wolters Vater übernahm die Gaststätte vom Großvater und machte sie zu einer Institution in Horrem. Mehrere Karikaturen mit dem Antlitz des Kneipiers finden sich an den Wänden des Gastraums.
In den 80er Jahren erkrankte er an Leukämie. Eine Nachfolge musste gefunden werden. Marlies Wolter hatte einen ganz anderen Beruf erlernt: Sie war Finanzbuchhalterin bei einer Kölner Firma. Sie war glücklich damit, hatte Kollegen und vor allem: eine geregelte Arbeitszeit und regelmäßigen Urlaub.
Sie hatte zwar schon als Jugendliche beim Vater ausgeholfen, aber die Gaststätte übernehmen? Lieber nicht. Dann aber zog ihre Firma nach Duisburg, sie hätte das Rheinland verlassen müssen. Nicht mit ihr, sie kündigte und war plötzlich Gastwirtin. Bereits zuvor hatte sie, zum Teil hinter dem Rücken des Vaters, einige Änderungen im Gastraum vorgenommen.
Zum Beispiel schaffte sie hohe runde Tische mit Barhockern an und warf, sehr zum Ärger ihres Vater, die Spielautomaten raus. Der Gastwirt freundete sich jedoch schon bald mit dem geschäftstüchtigen Elan seiner Tochter an. 2007 bescherte den Gaststätten in Deutschland das Rauchverbot. Welche Folgen hatte das für das „Haus Wolter“?
Marlies Wolter: „Ich fand das sehr gut! Ich hatte 20 Jahre lang als Nichtraucherin im Nebel gestanden und musste jedes Jahr die Innenräume renovieren. Die Gäste hat das Rauchverbot nicht vertrieben, sie gehen halt mal kurz nach draußen. Dafür habe ich extra ein Raucherzelt aufstellen lassen, damit sie nicht im Regen stehen.“
Gastwirtin Marlies Wolter hat immer ein Herz für ihre Gäste
Wer Marlies Wolter hinter dem Tresen stehen sieht, dem wird klar: Sie schenkt nicht nur das Kölsch aus, sie schenkt jedem Gast auch ihr Ohr. Sie hört zu, erfährt von mancher Ehestreitigkeit und bekennt: „Im Lauf der Jahre haben wir manche Probleme gelöst.“
Horremer Vereine hatten ihr Zuhause bei den Wolters, zum Beispiel der FC-Fanclub „Hemmersbach“. Nicht etwa benannt nach dem Ex-FC-Profi Matthias Hemmersbach, sondern nach der Burg Hemmersbach. Eine Reihe von FC-Ikonen gab sich die Ehre bei Marlies Wolter, darunter Ex-FC-Chef Werner Spinner und vor allem Kevin McKenna, Ex-Spieler und jetzt Co-Trainer von Steffen Baumgart.
„Ich habe extra für den Fanclub einen Fernseher beschafft. Dann saßen immer die Fans, die nicht nach Müngersdorf fuhren, bei mir in der Wirtschaft und fieberten mit“, erzählt Wolter. Sie ist FC-Mitglied und kann ihre Mitgliedsnummer auswendig: 151238.
Der 84-jährige Gottfried Fix verkehrt seit 52 Jahren bei den Wolters: „Hier kamen die Leute hin, die zum Ort gehörten. Es ist ein Trauerspiel. Die letzte echte Kneipe in Horrem macht zu. Wir sind heimatlos.“ Dr. Leonhardt Schloemer, Tierarzt in Horrem: „Als Kinder haben wir hier am Flipperautomaten gespielt, auf dem Weg zur Messe.“
Maike Lehmann, Studentin der mehrsprachigen Kommunikation: „Mein Vater geht seit vielen Jahren in diese Gaststätte und erzählte immer begeistert von Marlies Wolter. Jetzt war es mir wichtig, am letzten Abend dabei zu sein.“
Und Stammgast Gaby Witt sagt: „Sie hatte nicht nur ein Herz für die Gäste, sondern auch für Tiere. Immer hatte sie ein Leckerli für die Hunde.“ Und ein nicht genannt sein wollender Gast verrät: „Ich hatte mich scheiden lassen, war alleine. Da lud sie einige Singles in die Gaststätte ein und bekochte uns.“
2018, als sie 80 Jahre alt wurde, sagte Marlies Wolter: „Meine Kundschaft, das sind alles liebe Freunde von mir. Es macht mir Spaß, warum soll ich Schluss machen?“ In diesem Herbst aber erkrankte sie schwer an Covid und leidet bis heute an den Langzeitfolgen. So traf sie mit Bedauern die bittere Entscheidung: „Für viele Leute war das hier ihr zweites Wohnzimmer.“