Engagement in PulheimSelbstständiger leben und arbeiten
Pulheim-Brauweiler – „Wenn alle Welt von »Inklusion« spricht, dann weiß noch lange nicht jeder, was damit gemeint ist“, sagt Manfred Kaune, Vorsitzender des im Januar in Pulheim neu gegründeten gemeinnützigen Vereins „inklusion“. Dabei ist Inklusion – die vollständige Einbindung von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft – tatsächlich in aller Munde. Es geht zum Beispiel um den Rechtsanspruch von Menschen mit Behinderung auf gemeinsamen Unterricht mit Menschen ohne Behinderung an Regelschulen.
Doch Kaune und seine Mitstreiter haben nicht die Schulzeit im Blick. Ihnen ist es wichtig, dass die jungen Leute nach der Schule eine sinnvolle Beschäftigung finden, außerhalb einer Werkstatt, die für viele nicht das Richtige sei. „In der Schule werden Kinder und Jugendliche hervorragend gefördert, aber danach kommt der große Cut“, sagt Kaune. Der Stommelner weiß, wovon er spricht: Seine Tochter Sarah, 20 Jahre alt, ist schwerst behindert. Sie leidet an Cerebralparese, einer Hirnschädigung, die im Alter von drei Monaten diagnostiziert wurde.
Noch gut erinnert sich der Vater, wie er in der Schule angesprochen wurde: „Dort sagte man zu mir: »Sarah geht ja demnächst in die Werkstatt.« Meinen Einwand, das müsse man erstmal abwarten, hat niemand verstanden.“
Genau das wollen er und die anderen Mitglieder des Vereins ändern. Kaune zum Beispiel wollte Sarah, die kürzlich von der Donatusschule in Brauweiler abgegangen ist, auch andere Möglichkeiten eröffnen. „Deshalb hat sie zum Beispiel ein Praktikum in einem Seniorenheim absolviert – als »Gesellschaftsdame«“, erzählt Kaune. „Und auch wenn sie nicht sprechen kann, hat sie ganz viel gute Laune bei den alten Herrschaften versprüht.“
Menschen mit Behinderung in Jobs bringen, die ihnen manche auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zutrauen – genau darum geht es „inklusion“: Von September an wird der Verein sieben junge Erwachsene im Alter von 19 bis 26 Jahren betreuen, darunter auch Sarah Kaune. Idealerweise sollen sie mittelfristig Arbeit finden.
Das Zauberwort heißt „betriebsintegrierte Außenarbeitsplätze“: Anders als in Werkstätten, sollen die jungen Leute in den Arbeitsalltag ganz normaler Betrieben eingebunden werden. „Ich meine, dass es für jeden behinderten Menschen eine sinnvolle Beschäftigung in der Gesellschaft gibt“, sagt Manfred Kaune. Es gehe darum, auch den Unternehmen und ihren Verantwortlichen „Ängste zu nehmen“, sagt Kaune: „Ich kenne das schon aus meiner Arbeit.“ Er ist Leiter des Grünflächenamtes der Stadt Köln. Dort gebe es mit Menschen aus Werkstätten bereits ähnliche Kooperationen.
Die Zeit, in der sie nicht in „ihren“ Betrieben arbeiten, werden die jungen Erwachsenen im Haus des Vereins verbringen.
Gemeint ist die ehemalige Direktoren-Villa des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), die zur Zeit umgebaut wird. Die Kosten für den Umbau und den Einbau einer 20 Meter langen Rampe trägt der LVR. Im Gegenzug zahlt der Verein ab Oktober Miete an den Verband.
Drei fest angestellte Betreuer werden sich um die jungen Leute kümmern. Eine Projektleiterin – Ulrike Balducci – hat der Verein schon eingestellt. Mit zwei anderen Bewerbern ist er im Gespräch. „Wir hoffen, dass die Mannschaft zum Ende der Sommerferien komplett ist.“ Mit im Team werden auch 400-Euro-Kräfte und Studenten im Praktikum sein. Zunächst werden die jungen Leute „am Standort selbst“ eingesetzt, etwa in der Gartenpflege. „Wir werden dort einen Nutzgarten anlegen.“ Es geht aber nicht nur ums Arbeiten.
„Die jungen Leute sollen auch lernen, sich selbst zu versorgen“, sagt Ulrike Balducci. Dazu gehöre nicht nur, gemeinsam zu kochen und zu essen, sondern auch einkaufen zu gehen und zum Beispiel die Kasse zu verwalten. In puncto „Therapie“ ist geplant, dass die jungen Leute wohl einmal pro Woche reiten und schwimmen gehen.
Darüber hinaus kann Manfred Kaune sich gut vorstellen, dass die jungen Frauen und Männer auch mal „ehrenamtlich Grünflächen pflegen“ oder im Stadtgebiet Beete anlegen oder auf einem Friedhof arbeiten.
Selbstständigkeit im Leben zu lernen – das sei nicht nur die größte Herausforderung für Menschen mit Behinderung, sondern auch der größte Wunsch der Eltern, so Kaune: „Immer wieder fragt man sich: »Was ist mit ihr, wenn wir irgendwann mal nicht mehr sind?«.“ Wenn Projekte wie das seines Vereins gelängen, könne das ihm selbst, aber auch den Eltern anderer etwas von dieser Sorge nehmen, glaubt Kaune.