Unter Mafia-VerdachtPferdeanhänger brachte Polizei auf Spur von Pulheimer Wirt
Den Haag/Pulheim – Bei der großangelegten Razzia gegen die italienische Mafiaorganisation 'Ndrangheta in Deutschland und drei weiteren Ländern hat die Polizei einen der mutmaßlichen Haupttäter in Nordrhein-Westfalen verhaftet. Der 45 Jahre alte Gastwirt sei am frühen Morgen in Pulheim bei Köln von den Ermittlern aus dem Schlaf gerissen worden, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch. Der Besitzer einer Osteria werde der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation beschuldigt, außerdem soll er beteiligt gewesen sein an „Kokainhandel in sehr, sehr umfangreichen Maße“.
Seit März 2016 ermittelt die Ermittlungskommission „Falabella“ gegen den Pulheimer und eine Gruppe weiterer Beschuldigter. Damals fanden die Beamten 80 Kilo Kokain in einem speziell präparierten Pferdetransporter. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, mindestens 23 solcher Transporte von den Niederlanden nach England durchgeführt zu haben.
Sie sollen zudem ein bundesweites Firmengeflecht mit Auslandsbezügen aufgebaut haben. Die Polizei stellte Ende vergangenen Jahres 166 Betrugsfälle und einen Schaden von 1,3 Millionen Euro fest.
4000 Kilo Kokain beschlagnahmt
Am Mittwoch folgte dann die internationale Razzia, bei der rund 90 Tatverdächtige festgenommen und bis zu 4000 Kilogramm Kokain sowie 140 Kilogramm Ecstasy-Pillen beschlagnahmt wurden. Das teilte die Europäische Justizbehörde Eurojust am Mittwoch bei einer internationalen Pressekonferenz in Den Haag mit. Allein in Deutschland seien bisher 14 Verdächtige festgenommen worden, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt von Duisburg, Horst Bien.
Im Rahmen der Operation mit dem Codenamen „Pollino“ werde in Deutschland insgesamt in einem laufenden Verfahren gegen 47 Beschuldigte ermittelt. Seit Mittwochmorgen seien in der Bundesrepublik 65 verdächtige Objekte durchsucht worden, 23 davon im Rheinland. Bien zufolge wurden vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Bundesländern insgesamt Vermögenswerte in Höhe von rund fünf Millionen Euro vorläufig beschlagnahmt.
An den Operationen seien rund 440 Beamte beteiligt, sagte Christian Hoppe, Leitender Kriminaldirektor des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Ermittlungen gingen noch weiter.
Eurojust-Vizepräsident Filippo Spiezia bezeichnete die Operation von Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien als „außerordentlichen Erfolg“. Möglich sei dies durch die Bildung eines gemeinsamen grenzüberschreitenden Ermittlerteams gewesen, das seine Arbeit bereits Anfang 2016 aufgenommen habe. Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho wies allerdings darauf hin, dass die 'Ndrangheta weiterhin stark und gefährlich sei: „Wenn wir glauben, wir haben die 'Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“
Ndrangheta dominiert Drogenschmuggel
Die kalabrische 'Ndrangheta gilt inzwischen als die mächtigste italienische Mafia-Organisation. Sie dominiert den Drogenschmuggel nach Europa und ist auch in Deutschland aktiv. So gehen die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007 auf ihr Konto. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser für die Bluttat.
In Italien richteten sich die Augen am Mittwoch vor allem auf die Region um Reggio Calabria. Der Operation habe sich gegen verschiedene Mitglieder bekannter Clans gerichtet, die im Herzen der Region um Locri bei Reggio Calabria operierten. Aus dieser Gegend stammten auch die Täter der Mafia-Morde von Duisburg. Die jetzige Aktion sei Ergebnis jahrelanger Ermittlungen der Behörden in Italien, Deutschland und den Niederlanden, betonte die Polizei.
Hamburger Hafen ist für 'Nrangheta interessant
Seit langem warnen Ermittler in Italien davor, dass die 'Ndrangheta ein außerordentlich wichtiges Standbein in Deutschland hat. Im Sommer erklärte die nationale Anti-Mafia-Behörde, dass die kalabrische Mafia in Deutschland ähnliche Strukturen aufgebaut habe wie in ihrer Heimat. Deutschland, darunter der Hamburger Hafen, seien für den Drogenhandel von „besonderem Interesse“ für die Clans.
Zwar gelingen italienischen Ermittlern immer wieder Schläge gegen die Clans, jedoch streckt die 'Ndrangheta ihre Tentakeln immer weiter aus. Anders als es in Filmen dargestellt wird, führt die Mafia weniger blutige Straßenkämpfe aus: Stattdessen agiert sie meist im Verborgenen und infiltriert staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen.
Anders als in Italien gibt es in Deutschland keine strengen Anti-Mafia-Gesetze. Dort ist schon die Mitgliedschaft in einer mafiösen Organisation eine Straftat - in Deutschland nicht.
Mafia ist in NRW stark vertreten
Traditionell ist die Mafia in Deutschland unter anderem in Nordrhein-Westfalen stark vertreten, wenngleich sie keine herausragende Rolle unter den organisierten Kriminellen spielt. In 214 Verfahren aus diesem Spektrum, die zwischen 2012 und 2016 in den Polizeibehörden des Landes bearbeitet wurden, gab es nur in zehn Fällen überwiegend italienische Tatverdächtige, wie aus früheren Angaben des NRW-Innenministeriums hervorgeht.
Insgesamt zählt die Polizei in NRW etwa 120 Personen zum Spektrum „Italienische Organisierte Kriminalität“ (IOK). Sie werden vor allem den mafiösen Organisationen der 'Ndrangheta, Cosa Nostra sowie in geringerem Umfang der Camorra und der apulischen organisierten Kriminalität zugerechnet. Aufgefallen sind sie vor allem wegen Umsatzsteuerhinterziehung, Drogenhandel und -schmuggel sowie das „Verschieben“ von Autos ins Ausland.(dpa, red)