Bedrohte TierartWie Pulheim das Aussterben des Feldhamsters verhindern soll
- In NRW galten die Feldhamster fast als ausgestorben, bis Ende Mai 128 von ihnen am Rand des Pulheimer Stadtteils Geyen ausgewildert wurden.
- Ziel der Rettungsaktion war es, die restlichen Bestände der Population in der Köln-Aachener Bucht zu stärken.
- Bevor die niedlichen Nager sich in den Winterschlaf zurückziehen, wurde noch einmal gezählt, gewogen und gescannt.
Pulheim-Geyen – Es zappelt heftig im Netz. Der Feldhamster wirkt eher verärgert als verängstigt. „Ein Männchen“, erkennt Christian Chmela sofort. Die Größe macht den Unterschied, weiß der Leiter der Biologischen Station Bonn/Rhein-Erft. Seine Mitarbeiterinnen haben das Tier bereits gewogen: Gut 1100 Gramm zeigte die Waage an. So schwer wird allerdings auch das stattlichste Feldhamstermännchen nicht – die Falle schlägt da mit rund 600 Gramm zu Buche.
Seit den frühen Morgenstunden sind Karina Jungmann, Josephin Brückner, Jana Flügge und Wiebke Börner bei Geyen unterwegs, um Fallen zu kontrollieren. Am Rand des Pulheimer Stadtteils sind Ende Mai 128 Junghamster ausgewildert worden. Jetzt wird gezählt und gewogen. Jedes Tier, das in der Nacht in die Falle gegangen ist, wird gescannt: Die ausgewilderten Hamster tragen einen Mikrochip unterm Fell, wer keinen hat, ist schon in Freiheit geboren.
Dicke Lederhandschuhe
Bevor es dorthin auch wieder entlassen wird, muss das Tier Haare lassen. Vorsichtig zupft eine der Frauen ein kleines Büschel aus dem Pelz für eine DNA-Analyse. All das geht ruhig und zügig vonstatten, um dem Tier nicht mehr Stress als nötig zu machen. Einer der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände dabei sind dicke Lederhandschuhe. Denn die niedlichen Nager haben lange Zähne und scharfe Krallen. Bisher sei noch niemand gebissen worden, sagt Wiebke Börner: „Aber das passiert bestimmt noch.“
Das Land Nordrhein-Westfalen und der Rhein-Erft-Kreis finanzieren der Biostation vier Fangnächte in diesem Herbst. Abends werden die Fallen an die Eingänge der Baue gestellt. Vor anderthalb Wochen sind dafür die Röhren kartiert worden. 108 bewohnte – der Fachmann sagt belaufene – Baue wurden gefunden, 120 leere und 49, bei denen man sich nicht sicher war.
Erdnussbutter als Köder
Am späten Abend und am frühen Morgen kontrollieren Mitarbeiter der Biostation, Ehrenamtler, Praktikanten oder auch Absolventen eines freiwilligen ökologischen Jahres, was ihnen in die Falle gegangen ist. Sie verwenden Wippbrettfallen: Das Tier läuft, angelockt von einem Stück Apfel oder auch einem Klecks Erdnussbutter, über ein Brettchen, das mit seinem Wippen den Schließmechanismus des kleinen Käfigs auslöst.
Nach drei Nächten ist Chmela hochzufrieden. 60 Hamster sind registriert, bei jedem steht auf dem Formblatt der Zusatz „gesund und vital“. Für den Biologen ist das der Beleg, dass sich die Population stabilisiert. Und dass es gelungen ist, optimalen Lebensraum für die Tiere zu schaffen. „Das wichtigste für den Feldhamster ist Deckung“, sagt Chmela. Die findet der Nager zwischen Sonnenblumen, im Gewirr des Waldstaudenroggens, zwischen Hafer, Gerste, Weizen und allerhand Wildkräutern. Ganz nebenbei sieht der blühende Acker auch noch hübsch aus. „Da freut sich nicht nur der Hamster, sondern auch der Spaziergänger.“ Chmela weiß, dass das Projekt auf Dauer nur funktioniert, wenn die Bevölkerung es akzeptiert. Ende des Monats wird der Elektrozaun, der das Hamstergebiet vor Füchsen, aber auch vor neugierigen Hunden schützt, abgebaut. Dann sind die Hundehalter gefragt, dafür zu sorgen, dass ihre Vierbeiner dort nicht stöbern.
Vom hüfthohen Dschungel profitiert nicht nur der Hamster. Wie bestellt flattert eine Fasanenhenne auf, ganz in der Nähe ruft der Stieglitz. Aufnahmen von Wildkameras zeigen, dass auch Feldhasen gern dort Futter suchen, geschützt vor den Blicken der hungrigen Beutegreifer. Einen Film dazu kann man auf der Homepage der biologischen Station anschauen.
Tödliche Strasse
Der Feldhamster hat, wenn er ausgewachsen ist, nicht viele natürliche Feinde. Der Fuchs zählt dazu, auch der Marder. Hamster legen ihre Baue meist mit einem Fallrohr an, durch das sie blitzschnell unter die Erde verschwinden können. Die größte Gefahr für die Tiere geht vom Straßenverkehr aus. Eine viel befahrene Straße bildet eine nahezu unüberwindliche, tödliche Barriere.
Ende des Paradieses rückt näher
Und doch ist in ein paar Wochen Schluss mit dem paradiesischen Zustand. Dann rückt der Traktor an, das Feld wird bearbeitet. Wintergetreide muss ausgesät werden, damit es vor dem ersten harten Frost groß genug ist. Für den Hamster ist das kein Problem, was da über seinem Bau passiert. Er hat seine Wintervorräte längst gesichert. Mindestens zwei Kilo braucht er, um durch die kalte Jahreszeit zu kommen, gelagert in Futterkammern bis zu 80 Zentimetern unter der Erde.
Wenn er dann im nächsten Frühjahr wieder auf Nahrungs- und Partnersuche geht, sieht die Welt bei Geyen anders aus. Die fünf unterschiedlichen Saatmischungen werden im kommenden Jahr in schmaleren Streifen als bisher ausgebracht. Statt des Zauns schützt ein mit Luzerne bewachsener Streifen das Hamstergebiet. Die Biologische Station hat neue Verträge mit Landwirten abgeschlossen, sodass im Umfeld weitere Ackerflächen so bepflanzt werden, dass der Hamster sich dort wohlfühlt. Einige der ausgesetzten Tiere haben jetzt schon die Nachbarfelder besiedelt.
Richtung Rommerskirchen sollen Trittsteinbiotope entstehen, kleine Flächen, die nicht allzuweit voneinander entfernt sind und ermöglichen, dass sich die Tiere weiter ausbreiten. In Richtung neuer Artgenossen: Die Biologische Station Knechtsteden will nächstes Jahr ebenfalls Hamster auswildern.