Einzelhandel in Rhein-Erft„Nie waren die Leute so freundlich und verständnisvoll“
Rhein-Erft-Kreis – Zeitungen, Zigaretten und Süßigkeiten werden seit Langem durchs Ladenfenster nach draußen verkauft. Doch in Corona-Zeiten haben diese Kiosk-Klassiker Konkurrenz bekommen: In der Lockdown-Not entdecken immer mehr nicht auf Lebensmittel spezialisierte Einzelhändlerinnen und Einzelhändler den Außerhaus-Verkauf als Chance, ihre geschlossenen Geschäfte zumindest auf kleiner Flamme am Laufen zu halten. Gleichzeitig geht selbst manche „Tante Emma“ mit ihrem Laden online.
Tante Emma ist in diesem Falle Onkel Hermann. „Ich bin ja eigentlich kein großer Internet-Fan. Aber in diesen harten Zeiten muss man flexibel sein“, erklärt Hermann-Josef Falterbaum augenzwinkernd. Seit 55 Jahren betreibt der nicht an den Ruhestand denkende 76-Jährige mit Ehefrau Cäcilia (72) einen urigen kleinen Bastelladen in der Kölner Straße in Bergheim – und macht seit Kurzem vor allem auf Facebook rührig Werbung fürs Geschäft, in dem Modellbausätze, Puzzles, Miniaturfiguren, Schreibwaren, Spezialkleber und Bastlerbedarf aller Art angeboten werden.
„Noch nie waren die Leute so freundlich und verständnisvoll“
Einen richtigen Online-Shop hat Falterbaum nicht. „Aber wir weisen in den sozialen Medien nun gezielt darauf hin, dass wir weiter für unsere Stammkunden da sind und dass sie per Mail oder Telefon Sachen bestellen und vor dem Laden abholen können. Das funktioniert besser als ich gedacht hatte.“
Im Übrigen geht der umtriebige Senior, der parallel auch noch einen Malerbetrieb leitet, trotz allem weiter positiv durchs Leben. „Wir werden auch Corona überstehen. Als in den frühen 1980er-Jahren die Baumärkte wie Pilze aus dem Boden schossen, hat es uns schlimmer getroffen als jetzt. Damals waren wir noch auf Anstreicher- und Malerbedarf spezialisiert und haben in dieser Sparte ziemlich plötzlich fast unseren gesamten Umsatz verloren.“
Derweil freut sich Cäcilia Falterbaum über den Zuspruch der treuen Kundschaft: „Noch nie waren die Leute so freundlich und verständnisvoll. Viele machen uns Mut und sagen, dass sie gerade jetzt lieber bei uns bestellen und abholen, als sich die Sachen vom Online-Handel per Post nach Hause liefern zu lassen.“
Shoppen in Bergheim: Die Kotaktpflege ist weiterhin wichtig
Auch Miriam Effertz, die die Bergheimer Filiale der Mayerschen Buchhandlung leitet, darf keine Kunden mehr ins Geschäft lassen. Nur vorbestellte Bücher werden nun zu eingeschränkten Öffnungszeiten an der Abholstation durch einen Schlitz in der Plexiglasscheibe nach draußen gereicht. „Wir haben derzeit wieder Kurzarbeit, aber ganz zu schließen, ist kein Thema. Zwar lassen sich mehr Leute als vor Corona ihre bei unserem Online-Dienst bestellten Bücher nun per Post liefern, aber es gibt immer noch genug Kunden, die Wert auf die Abholung vor Ort legen. Diese Kontaktpflege ist uns einfach wichtig, auch wenn die Möglichkeiten eingeschränkt sind. Wir dürfen ja nicht lange beraten, sondern nur bestellte Sachen zügig aushändigen.“
Horst-Daniel Ravenstein betreibt in der Kerpener Stiftsstraße eines der letzten großen Spielwarengeschäfte in der Region – und ist heilfroh, dass er sich schon vor einigen Jahren professionellen Onlineversand-Plattformen anschließen konnte. Ravenstein verkauft übers Netz deutschlandweit und verbringt seit dem Lockdown die meiste Zeit mit dem Packen von Paketen.
Dennoch hat auch er eine lokale Abholstation für telefonisch oder übers Netz bestellte Ware eingerichtet. „Das wird durchaus angenommen, aber der gesamte stationäre Non-Food-Einzelhandel hat es richtig schwer. Dass der neue Lockdown ausgerechnet in den für uns so wichtigen Tagen kurz vor Weihnachten kam, war wirklich hart. Ich kann die Kunden nur bitten, die verbliebenen Angebote des stationären Handels zu nutzen, wenn sie nicht wollen, dass bald ein Geschäft nach dem anderen für immer zumacht.“
Händler im Rhein-Erft-Kreis setzen auf „click & collect“
Angebote gibt es auch in Brühl. Dort freute sich Rudolf Geer einfach, als er die Ersatzbirnen für die kaputte Lampe zu Hause in den Händen hielt. Dafür führte ihn sein Weg zum Hofeingang des Haus- und Elektrogerätegeschäftes Kastenholz Euronics in Brühl. „Ich hatte gehört, dass man hier per Telefon Waren bestellen und an der Tür abholen kann. Und es hat bestens geklappt“, berichtete er. „Wir wollen für unsere Kunden weiterhin da sein“, sagte Anja Nauber, stellvertretende Geschäftsleiterin. Das sei in harten Lockdown-Zeiten natürlich schwierig. „Zumal wir derzeit Inventurverkauf haben und dieser eigentlich davon lebt, dass die Menschen zu uns in den Laden kommen.“ Beraten wird nun per Telefon oder E-Mail. Der Lieferservice läuft weiter.
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Vielerorts setzen Händler auf „click & collect“. Das heißt, sie händigen dem Kunden bestellte Ware kontaktfrei vor Ort aus. Volker Grimm hat einen Tisch vor dem Eingang seines Brühler Schreibwarengeschäft „Papierinsel“ gestellt, um dort die Ware zur Übergabe abzustellen und für Abstand zu sorgen, wenn Kunden zum Einkauf an die Tür kommen. Bargeld nimmt er auf einem Teller entgegen. „Ich merke, dass die Kunden diesen Service schätzen“, so der 47-Jährige.
Brühler beklagt fehlte Hilfe vom Bund
Auf eine besondere Idee ist auch Andreas Neuhaus im Schuhgeschäft Winterscheid gekommen. „Ich habe ungefähr 20 Meter Schaufensterlänge, die kann ich doch gut nutzen“, so der Geschäftsführer. Jedem Paar Schuhe hat er eine Nummer zugeordnet. Die Kunden können an die Tür klopfen und mit der Nummer das gewünschte Paar Schuhe bestellen. Auf einem Stehtisch vor dem Eingang wird die Ware kontaktlos übergeben und bezahlt.
„Wenn etwas nicht passt, tauschen wir die Schuhe um“, so Neuhaus. Man müsse initiativ werden, um zu überleben. Denn von Berlin komme wenig Hilfreiches für den Mittelstand, von der Stadt fühle er sich hingegen partnerschaftlich unterstützt. Winterscheid sei in der Brühl App zu finden, die Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt klappe gut.
Bücherstube Brauweiler bringt Bücher bis nach Köln
Das Team der Bücherstube Brauweiler bringt den Lesestoff auf Wunsch zum Kunden. Den Kölner Westen mit den Stadtteilen Weiden, Lövenich und Junkersdorf „beliefert“ Renate Hintze, im Rhein-Erft-Kreis ist Claudia Berger im Einsatz, ebenfalls mit dem Auto. Im Abteiort selbst fahren freiwillige Helfer den Lesestoff per Drahtesel aus. „Kunden sind auf uns zugekommen und haben gefragt, ob sie uns helfen können. Das hat uns sehr gefreut“, verrät Claudia Berger.
Aber auch ihr Schwager, ihre Schwester Gabriela Berger mit Sohn Alessio und dessen Cousin Vincent Meyer unterstützten den Lieferservice per Zweirad. „Das Angebot wird sehr gut angenommen.“ Mehr noch als im ersten Lockdown. Bislang seien sie gut durch die Pandemie gekommen. „Wir hatten keinen Umsatzeinbruch. Wir danken unseren Kunden für ihre Treue.“