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Videoaufnahmen im InternetPolizei und Datenschützer in Sorge – Privatleute jagen Einbrecher

Lesezeit 5 Minuten
Auf dem Foto ist eine Überwachungskamera zu sehen.

Auf Privatgrundstücken werden immer häufiger Videokameras angebracht.

Bürger wollen ihr Eigentum schützen und überschreiten dabei selbst eine Grenze, indem sie Aufnahmen von mutmaßlichen Straftätern veröffentlichen.

In sozialen Netzwerken häufen sich die Fälle: Privatleute, aber auch Firmeninhaber veröffentlichen Fotos aus Überwachungskameras, die sie an ihren Häusern oder Geschäftsgebäuden angebracht haben. Mitunter sind auch Aufnahmen aus Wohnungen zu sehen. In allen Fällen werden Personen gezeigt, die mutmaßlich eine Straftat begangen haben oder eine solche geplant haben.

Beispiel 1 – Pulheim: Der Betreiber eines Lebensmittelmarkts fragt: „Wer kennt diese beiden Männer? Sie haben gestern Abend gegen 18.20 Uhr einen gefüllten Einkaufswagen geklaut.“ Auf den Farbfotos aus einer Überwachungskamera sind zwei Bartträger zu sehen, einer in Grau gekleidet, der andere in Schwarz. Einer schiebt völlig unbehelligt den Einkaufswagen durch die geöffnete Schranke am Eingang, der andere hinter ihm schaut auf sein Handy.

Wer kennt dieses Kind, das bei mir in der Einfahrt etwas gestohlen hat?
Eine Facebook-Userin

Beispiel 2 – Kerpen: In einer Facebook-Gruppe ist ein dunkelhaariges Mädchen zu sehen, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Es hockt in einer Einfahrt neben einem Jägerzaun und hält offenbar einen Garten-Dekoartikel in seinen Händen. Die Frau, die den Beitrag gepostet hat, fragt: „Wer kennt dieses Kind, das bei mir in der Einfahrt etwas gestohlen hat?“

Beispiel 3 – Frechen: In der Facebook-Gruppe „Netzwerk Frechen“ sind Aufnahmen aus der Kamera einer Privatwohnung zu sehen: Sie zeigen einen Mann, der abends mit einer Taschenlampe den Flur durchleuchtet – offenbar, um sich bei der Suche nach Wertsachen zu orientieren.

Polizei veröffentlicht Informationen zu einem versuchten Raub ohne das Foto

Beispiel 4 – Hürth: Der Besitzer eines Autopflege-Betriebs postet ebenfalls auf Facebook ein Foto von einem jungen Mann in einer schwarzen Hose und einem karierten Hemd, der sich auf den Eingang der Werkstatt zubewegt. Sekunden später stand er demnach im Büro und forderte „Cash“.

Der Geschäftsmann bittet die User darum, sich bei der Polizei zu melden, wenn jemand den Täter kennt und warnt andere Firmeninhaber und Privatleute vor dem Unbekannten. Er geht zur Polizei und erstattet Anzeige. Die Ermittler veröffentlichen wenige Tage später eine Pressemitteilung mit einem Fahndungsaufruf – ohne das Foto zu zeigen.

Und das vermeidet die Polizei aus einem guten Grund: Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist es – auch den Ermittlungsbehörden – verboten, diese Aufnahmen zu verwenden. Es sei denn, ein Gericht gibt sie für die öffentliche Fahndung frei. Bevor das geschieht, muss die Polizei belegen, dass alle anderen Bemühungen zur Aufklärung eines Verbrechens keinen Erfolg gehabt haben. Da können – je nach Schwere eines Delikts – mehrere Wochen oder auch Monate vergehen.

Bekannt ist die Verwendung solcher Fotos aus Videokameras beispielsweise bei bewaffneten Überfällen auf Tankstellen oder Geschäfte, bei schwerem Diebstahl oder bei Körperverletzung. Bei einem „gewöhnlichen“ Einbruch mit Beute im vierstelligen Bereich – jede Woche gibt es davon im Schnitt eine zweistellige Zahl – greifen die Ermittler im Regelfall auch zeitverzögert nicht auf Aufnahmen aus privaten Überwachungskameras zurück.

Polizei beobachtet mit Sorge, dass Bürger ihre Arbeit übernehmen

Selbst wenn sie das wollten, könnten sie es mitunter auch gar nicht. Nach Angaben eines Polizeisprechers des Rhein-Erft-Kreises erhalten die Beamten längst nicht in allen Fällen Kenntnis von den eingangs geschilderten Einbrüchen und Diebstählen.

Er beobachtet mit Sorge, dass Bürger glauben, sie könnten die Sache selbst in die Hand nehmen und die Arbeit der Polizei übernehmen. „Was macht denn jemand, der einen Hinweis auf die Identität eines mutmaßlichen Täters erhält? Schreitet er dann zur Selbstjustiz?“, fragt der Behördensprecher. Er appelliert an die Bürger, seinen Kolleginnen und Kollegen die polizeiliche Arbeit zu überlassen.

Verantwortliche von Facebook-Gruppen bewegen sich auf dünnem Eis

Zudem verweist er darauf, dass die Veröffentlichung von Fotos aus privaten Überwachungsanlagen strafbar ist – wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Allerdings handele es sich um ein sogenanntes Antragsdelikt. Heißt: Die Polizei kann gegen den Urheber nur dann ermitteln, wenn eine Anzeige vorliegt. „Und der Verbrecher wird sich kaum selbst anzeigen“, sagt der Sprecher. Sobald die Polizei jedoch Kenntnis von Dritten über die Veröffentlichung solcher „Fahndungsfotos“ erhält, muss sie dem nachgehen.

Auf dünnem Eis bewegen sich zudem die Verantwortlichen der jeweiligen Gruppen, in denen in der Regel diese Aufnahmen gepostet werden. Sie sind presserechtlich dafür verantwortlich, was auf ihren Seiten gepostet wird – auch für die Kommentare, die sich nicht selten unter solchen Fahndungsaufrufen folgen. Da lebt so mancher seine Gewaltfantasien aus, was der denn mit dem Gezeigten machen würde, wenn er ihn denn „zu packen“ bekäme.

Auf einem Schild wird darauf hingewiesen, dass ein Bereich mit Kameras überwacht wird.

Auf einem Schild wird darauf hingewiesen, dass ein Bereich mit Kameras überwacht wird.

Vor der Veröffentlichung von Bildern zu privaten Fahndungsaufrufen warnen auch Datenschützer. Denn sie sei datenschutzrechtlich unzulässig. Wer personenbezogene Daten verarbeite, benötige dazu grundsätzlich eine Rechtsgrundlage. Die gebe es in diesen Fällen aber nicht, unterstreicht die Sprecherin der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in NRW, Bettina Gayk. Vielmehr sei die „Öffentlichkeitsfahndung“ Aufgabe des Staates und nicht privater Personen.

Sobald auf den Fotos Personen potenziell erkennbar sind, handelt es sich um personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung. Danach ist eine Datenverarbeitung nur dann zulässig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen überwiegen.


Private Überwachungskameras gehören nur auf das eigene Grundstück. Darauf weist die Verbraucherzentrale hin. Sie dürfen damit in der Regel weder Nachbarn noch Passanten auf öffentlichen Wegen filmen. Dies verstieße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das grundgesetzlich geschützt ist. Auch das Recht am eigenen Bild muss beachtet werden.

In wenigen Ausnahmefällen ist auch eine Videoüberwachung von Nachbargrundstücken oder öffentlichen Wegen möglich. Dazu muss es jedoch einen konkreten, schwerwiegenden Anlass geben, bei dem Ihre Interessen die Interessen der Beobachteten überwiegen. Wurden Sie beispielsweise schon mehrfach Opfer eines Einbruchs, kann eine Videoüberwachung gerechtfertigt sein.

Eine weitere Ausnahme: Besitz wird auf öffentlichem Grund immer wieder beschädigt. Wer zum Beispiel herausfinden möchte, wer sein Auto wieder und wieder zerkratzt, könnte damit ausnahmsweise begründen, einen schmalen Streifen des Bürgersteigs zu filmen.