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Kita-Leiterin„Eltern sind wegen des schwammigen Appells der Regierung verunsichert“

Lesezeit 4 Minuten

Gertrud Schmidt-Olzem leitet die Kindertagesstätte Villa Sonnenschein in Wesseling.

  1. Gertrud Schmidt-Olzem leitet die Kita „Villa Sonnenschein“ in Wesseling.
  2. Im Interview spricht sie darüber, wie Kinder auf die Corona-Krise reagieren und welche Folgen die aktuelle Situation für sie hat.
  3. Und sie berichtet von Eltern, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Und die durch die Landesregierung zusätzlich verunsichert wurden.

Wesseling – Schulen und Kindergärten bieten nur eine Notbetreuung an. Wenn möglich, sollen Eltern ihre Kinder zu Hause betreuen. Über die Situation in der Kindergärten, wie Kinder und Erzieher mit den Maßnahmen umgehen und was Eltern derzeit beschäftigt hat Jennifer Seidel mit der Kindergartenleiterin Gertrud Schmidt-Olzem von der Kita Villa Sonnenschein in Wesseling gesprochen.

Frau Schmidt-Olzem, wie ist die Situation bei Ihnen in der Einrichtung?

Im Moment kommen wir, so wie es ist, ganz gut klar. Alle Kolleginnen und Kollegen sind vor Ort, und wir haben zum Glück keine krankheitsbedingten Ausfälle. Wir haben normalerweise 96 Kinder bei uns, derzeit sind es 39, Tendenz steigend. Die Kinder sind in Gruppen aufgeteilt und werden in diesen betreut. Normalerweise haben wir ein teiloffenes Konzept, die Kinder dürfen sich zwischen den Gruppen frei bewegen. Das geht aktuell leider nicht.

Welche Auswirkungen hat der erneute Lockdown auf Sie und Ihre Kolleginnen?

Wir haben mehr bürokratischen Aufwand. Wir dokumentieren ganz genau, welches Kind bei uns an welchem Tag in der Woche ist. Wir versuchen, auch zu den Kindern, die zu Hause sind, Kontakt zu halten durch Briefe. Außerdem dokumentieren wir genau, wie und wo Personal eingesetzt wird. Wir merken auch eine große Unsicherheit bei den Eltern und führen viel mehr Telefonate als vorher.

Wie äußert sich die Unsicherheit bei den Eltern?

Die Entscheidung, ob das Kind in die Kita gebracht wird oder zu Hause bleibt, liegt bei den Eltern. Das können wir nicht für sie entscheiden. Den Eltern fällt es schwer, das zu akzeptieren. Das war im ersten Lockdown anders, als nur die Kinder von Eltern aus systemrelevanten Berufen kommen durften. Damit konnten viele besser umgehen, weil es eine klare Aussage vom Ministerium war. Jetzt gibt es nur einen schwammigen Appell, und viele Eltern verunsichert die Lage, was sich dadurch bemerkbar macht, dass die Eltern vermehrt zwischen Tür und Angel Gespräche führen möchten. Wir versuchen dann, das telefonisch zu regeln oder hier in der Turnhalle auf Abstand, wenn wir merken, dass es doch ganz gut wäre, persönlich in den Kontakt zu gehen. Was wir aber auch merken ist, dass viele Eltern durch das Maskentragen verunsichert sind, weil ihnen unsere Gestik und Mimik fehlt. Dies gilt auch umgekehrt, was schon hin und wieder zu Missverständnissen führt.

Wie gehen die Kinder denn mit der Maske um?

Sie akzeptieren, dass wir Masken tragen. Für Kinder ist die Gestik und Mimik aber ein wichtiger zusätzlicher Kanal, um Sprache zu erlernen oder zu verstehen, besonders zum Beispiel bei heilpädagogischen Kindern. Die fehlende Gestik und Mimik führt bei allen zu Verunsicherung.

Und wie geht es den Kindern mit der Gesamtsituation?

Wir sind erstaunt, was für ein Wissen die Kinder von zu Hause mitbringen. Sie stellen viele Fragen zu Corona, und wir merken, dass jetzt dieser Punkt kommt, an denen sie fragen, wann „dieses Corona endlich vorbei ist“. Sie arrangieren sich ganz gut damit, vermissen zwar ihre Freunde, aber bekommen gleichzeitig mehr ungeteilte Aufmerksamkeit von den Erzieherinnen in den Gruppen, weil weniger Kinder da sind. Wir merken auch, dass sie im Moment sehr viel mehr emotionale Zuwendung einfordern. Ich glaube, weil außerhalb alles sehr unsicher ist und ihre Eltern auch unsicher sind. Das transportieren die Kinder mit in die Kita.

Vermissen die Kinder ihren alten Alltag?

Ja, definitiv. Sie vermissen dieses freie Entscheiden, wo sie wann spielen und das gemeinsame Essen in unserem kleinen Restaurant. Normalerweise haben wir zwei Essenszeiten, aber seit dem ersten Lockdown essen wir jetzt innerhalb der Gruppen. Für die Kinder war das auch eine Umstellung, weil sie das so gar nicht kannten. Sie fragen nach ihren Strukturen und ihre Ritualen, die sie vom Kindergarten normalerweise kennen, und fordern die auch ein.

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Wie läuft bei Ihnen denn der Tagesbetrieb ab? Können Sie weiterhin „normal“ mit den Kindern umgehen?

Grundsätzlich versuchen wir, unseren Alltag in den bekannten Strukturen zu leben. Unter den Kollegen können wir den Abstand natürlich einhalten, aber mit den Kindern ist das nicht machbar. Wir können keinem weinenden zweijährigen Kind auf 1,50 Meter sagen, dass es sich selber trösten soll. Das ist einfach nicht möglich, und das wissen wir. Wir leben ja trotz Abstands- und Hygieneregeln unseren Alltag, so wie es die gesamte Situation zulässt, und versuchen, den Kindern so viel Raum wie es geht zu geben und den Alltag so vertraut wie möglich zu gestalten.

Wie ist die Stimmung im Kollegium?

Natürlich herrscht eine Grundsorge im gesamten Team, sich mit Corona anzustecken, da wir so eng mit den Kindern zusammenarbeiten. Meine Stellvertreterin und ich versuchen dann in Gesprächen, Ängste zu nehmen und Mut zu machen. Das ist mir ganz wichtig. Wir sind aber während der Zeit auch noch mal ein Stück näher zusammengewachsen. Die Unterstützung und das Auffangen untereinander sind größer geworden.