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SiedlungHäuser der früheren UK-Werksmitarbeiter werden fast vollständig abgebrochen

Lesezeit 6 Minuten

Mit schwerem Gerät werden die Häuser der Shellsiedlung abgetragen.

Wesseling – Es staubt, es dröhnt, die Erde vibriert. Fest hat sich das gewaltige Maul des Abrissbaggers in das Mauerwerk gebissen. Seine monströsen Klauen haben die Kraft von 5,5 Tonnen. Wie ein Monster aus der Urzeit kann er bei einem Arbeitsgewicht von 55 Tonnen seinen Hals bis auf eine Länge von 23 Metern ausstrecken. Ihm genügt nur ein kurzes Rütteln an der Fassade, und die Hauswand fällt auseinander. Übrig bleiben nur Schutt und Staub.

Die Abrissarbeiten in der Dieselstraße, der Bunsenstraße und der Röntgenstraße, in der ehemaligen Werkssiedlung der Shell im Wesselinger Süden sind in vollem Gange. Große Bagger tragen die Mauerwerke der ehemaligen Wohnhäuser ab, die zuvor völlig entkernt und restlos ausgeschlachtet wurden.

Abfälle sind sortiert

Bereits im Herbst vergangenen Jahres wurden in allen leeren Häusern zunächst die Heizungsanlagen inklusive der Öltanks entsorgt, ebenso die bauvorbereitende Maßnahmen umgesetzt und die Bauzäune aufgestellt. Die Dieselstraße ist zurzeit komplett gesperrt. Hohe Bauzäune stehen zu beiden Seiten der Bunsenstraße. Regelmäßig verlassen von dort Lkw mit voll beladenen Containern die Siedlung. Die nächsten Container stehen dann schon bereit.

Die Abfälle sind sortiert: Holz, Bauschutt, Glas, Kunststoffe, Metalle, aber auch Schadstoffe wie Dämmmaterialien, Asbest und Bleirohre, die separat in gewaltige weiße Säcke verpackt werden. Auch sie lagern jetzt teils noch vor den Häusern. In den Gärten, wo es bis vor wenigen Monaten noch grünte und blüte, wachsen in diesem Winter die Schuttberge teils so hoch, dass es kaum mehr möglich ist, über sie hinweg zu schauen.

Für Magnus Konrad, Bauleiter der Abriss-Firma Moß, ist der Abbruch der insgesamt 55 Wohnhäuser Alltagsgeschäft. Er betont sogar: „Es ist eine kleine Abbruchmaßnahme.“ Da habe er schon ganz anderes abgebrochen, Zechen etwa im Ruhrgebiet, Brücken und zuletzt im vergangenen Jahr die Citypassage in Bielefeld.

Mit einem Team von insgesamt rund 50 Mitarbeitern arbeitet er jetzt in Wesseling, in der Shellsiedlung. „Wir liegen gut im Zeitplan“, sagt Konrad. Das bestätigt Shell-Sprecher Dr. Jan Zeese. So seien von den insgesamt 55 Häusern, die abgerissen werden sollen, schon 20 Wohnhäuser dem Erdboden gleich. „In weiteren 35 Häusern laufen jetzt Entrümpelungen und die Arbeiten an den Fassaden“, erklärt er. Bis April sollen die Abbrüche in der Diesel-, Bunsen- und Röntgenstraße abgeschlossen sein. Im Laufe des Jahres folgen dann die Arbeiten in der Liebigstraße und in einem Teil der Helmholtzstraße.

Fast 80 Jahre, nachdem die Siedlung der ehemaligen Union Kraftstoff (UK) 1939 gebaut wurde, ist sie dann endgültig Geschichte, an die vielleicht noch in den Fotoalben ehemaliger Bewohner erinnert wird. Menschen etwa wie der ehemalige Werksleiter Ulrich Kessler. „Ich habe von 1989 bis 2010 in der Dieselstraße gewohnt“, berichtet er. Inzwischen habe er sich damit abgefunden, dass der neue Eigentümer der Raffinerie eine andere Philosophie hat.

„Ich habe für den Erhalt dieser Werkssiedlung gekämpft“, sagt er. So habe er sie in den 90er-Jahren sogar noch für einige Millionen Mark sanieren lassen. Doch nur insgesamt 25 Wohneinheiten bleiben erhalten, drei Mehrfamilienhäuser zum Beispiel in der Bunsenstraße. „Hier wohnen ausschließlich Shell-Mitarbeiter“, sagt ein Mieter. Jeder bedauere zwar den Abriss, doch seien die Bewohner der drei Häuser, die stehen bleiben, alle froh darüber, weiter dort wohnen zu können.

Spannend ist die Frage, was mit dem Areal nach den Abrissarbeiten geschehen soll. Zurzeit ist die Rheinland Raffinerie dabei, zusammen mit der Stadt ein Konzept zur künftigen Nutzung des Geländes zu entwickeln. „Die gemeinsam entwickelten Ideen wollen wir im zweiten Quartal 2017 vorstellen und dann gemeinsam mit Interessierten diskutieren“, berichtet Zeese.

Sicherheitsabstand ist zu gering

Die Shell-Gruppe nimmt regelmäßig Sicherheitsanalysen vor. Unter anderem werden dabei auf Grundlage von Risiko- und Wahrscheinlichkeitsberechnungen die notwendigen Abstände etwa von Bürogebäuden und Wohneinheiten zu den Produktionsanlagen betrachtet. Nach heutigem Standard liegt die 1939 errichtete Werkssiedlung zu nahe an der Raffinerie.

Deshalb erhielt die Rheinland Raffinerie im Jahr 2006 die Anweisung, innerhalb von zehn Jahren und in mehreren Schritten Teile der Werkssiedlung zu räumen. Die Maßnahmen stehen in direktem Zusammenhang mit einem schweren Unfall in einer BP-Raffinerie im US-Bundesstaat Texas im März 2005, wo durch die Folgen einer Explosion 15 Personen starben und mehr als 180 Menschen verletzt wurden.

Durch die Wucht der Explosion zerbrachen damals im Umkreis von mehreren Kilometern Fensterscheiben. Aus diesem Unglück hat auch Shell Konsequenzen gezogen und die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände ausgeweitet.

„Der Anblick ist schwer zu ertragen“

Reinhard Hake (57) ist Vorruheständler und freischaffender Schriftsteller. 41 Jahre hat er in der Raffinerie gearbeitet. Seit 26 Jahren lebt er in der Dieselstraße, seit vier Jahren ohne Nachbarn. Mit ihm sprach Margret Klose.

Reinhard Hake

Wie kommt es, dass Sie immer noch hier wohnen?

Es ist einfach sehr schwierig, eine passende Wohnung für mich als Alleinstehenden und meine drei Katzen zu finden. Ich bin aber auch ein bisschen blauäugig an die Sache herangegangen. Zudem hat sich in den vergangen zwei Jahren der Wohnungsmarkt sehr verändert.

Fällt es Ihnen schwer, wegzuziehen?

Oh ja. Das ganze Areal steckt voller Erinnerungen. Meine beiden Kinder sind hier groß geworden. Die Nachbarschaft war super, und wir haben uns oft spontan gegenseitig zum Grillen eingeladen.

Wie fühlt es sich an, hier jetzt den Abbruch der Häuser miterleben zu müssen?

Es ist einfach sehr schwer zu ertragen. Der Anblick macht mich atemlos. Meine drei Katzen kannten ja bisher nur diese grüne ruhige Oase. Die sind völlig verschreckt und trauen sich inzwischen gar nicht mehr vor die Tür.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie aus dem Fenster schauen?

Das kann ich kaum beschreiben. Früher schaute ich auf die Nachbarhäuser, umgeben von einer grünen Idylle. Jetzt blicke ich auf gewaltige Schutthaufen. Hier standen herrliche alte Bäume. Die meisten sind aber schon aus dem Boden gerissen und in Stücke geschnitten.

Haben Sie überhaupt noch Strom, Wasser und Telefon?

Ich habe sogar noch Internet. Allerdings hat man mir schon einmal versehentlich den Strom abgestellt. Da bin ich aber direkt raus und habe den Arbeitern Bescheid gesagt, dass ich ja noch hier wohne. Die wussten das gar nicht und haben daraufhin natürlich direkt wieder den Strom angeschlossen.

Wie schläft es sich mit dem Wissen, dass weit und breit kein Mensch ist?

Ich bin kein ängstlicher Mensch. Trotzdem habe ich eine Sicherheitsanlage mit Kameras installiert.

Wann ziehen Sie aus?

Ich bin am Packen und Sortieren. Wenn alles gut geht, dann könnte ich zum 1. März eine Wohnung in Bad Münstereifel bekommen. Aber die Entscheidung steht noch aus.