Der Kölner Raum galt lange als Schaltzentrale der kalabrischen Mafia.
Nach Groß-RazziaWie ein Mafioso Wesseling für Drogenhandel und Geldwäsche nutzte – und dann auspackte
Matteo Giotti (Name geändert) brach mit dem ehernen Gesetz der Mafia als er wegen krummer Geschäfte um sein eigenes Leben fürchten musste. Vom Chefdrogenhändler großer Clans der kalabrischen ’Ndrangheta avancierte der einstige Mafioso zum „Pentito“, dem Aussteiger, der gegenüber italienischen und deutschen Ermittler gegen die Organisierte Kriminalität (OK) aussagte. Giotti erzählte, wie er tonnenweise Kokain aus südamerikanischen Quellen über die Seehäfen in Belgien und den Niederlanden nach Süditalien verschob. Dabei operierte er vor allem über Lokale im Rheinland, insbesondere in Wesseling.
Der Duisburger Sechsfach-Mord geht auf einen Streit zweier Familien zurück
Beredt gewährte er vor fünf Jahren den deutschen Drogenfahndern detaillierte Einblicke in die Methoden der mächtigsten der vier italienischen Mafia-Organisationen. Demnach lenkt die ’Ndrangheta über die Heimatprovinz Reggio Calabria an der Stiefelspitze ihre kriminellen Operationen in ganz Italien, zahlreichen EU-Staaten wie Deutschland und Süd- und Mittelamerika. Die Organisation besteht aus vielen lokalen Einheiten, darüber stehen drei Bezirke, sogenannte Mandamenti, deren Spitze ein kriminelles Gremium namens „Crimine o-Provincia“ bildet. Es geht um Drogen- und Waffenhandel, Entführungen, Raub, Diebstahl, Mord, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Hehlerei und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.
Als Hochburg der ’Ndrangheta firmiert eine Kleinstadt, beschaulich gelegen am Abhang des Aspromonte-Gebirges an der Südspitze Kalabriens: Die Ermittler zählen in San Luca mit seinen knapp 4000 Einwohnern insgesamt 39 Mafia-Familien, die größtenteils miteinander verwandt oder verschwägert sind. Der Ort gilt als das „Mutterhaus“ der ’Ndrangheta.
Die beiden mächtigsten Clans Pelle-Vottari und Nirta-Strangio agieren von hier aus verstärkt auch in NRW. Der Sechsfach-Mord vor einem Duisburger Lokal im Jahr 2007 geht auf einen Drogenkrieg der beiden Familien in der Heimat zurück. Öffentliche Gewaltexzesse stören das Geschäft, so eine alte Maxime in der organisierten Unterwelt. Längst haben beide Seiten Frieden geschlossen, da das brutale Verbrechen den Verfolgungsdruck durch italienische und deutsche Ermittler massiv erhöht hatte.
Gerade der Pelle-Vottari-Clan dehnt seine Drogengeschäfte in NRW seit Jahrzehnten aus. Der Kölner Raum galt als Schaltzentrale der kalabrischen Mafia. 2016 nahmen die Strafverfolger einen hochrangigen Capo der ‘’Ndrangheta fest. Kronzeuge Matteo Giotti operierte teilweise über Lokale von Wesseling aus. Seine Schilderungen führten im Jahr 2018 durch die Operation „Pollino“ zum ersten großen Schlag gegen die Familiensyndikate von San Luca. Der Prozess läuft immer noch.
Matteo Giotti: Eine typische Mafia-Karriere
Seine Aussagen beschrieben denselben Modus Operandi im Drogenhandel der Mafia, der am Mittwoch bei der großen internationalen Razzia gegen die ‘’Ndrangheta im Zuge der Operation Eureka offenbar wurde. Auch in dem neuen Mammutkomplex spielen die Clans Pelle-Vottari und Strangio-Nirta eine maßgebliche Rolle. Die Vertriebswege sind immer dieselben. Die Drogen kommen von Kartellen aus Südamerika, landen per Schiff in den Beneluxhäfen an und werden dort von albanischen Banden und Mafia-Residenten über Kuriere aus dem Rheinland an die süditalienischen Empfänger weitergeleitet.
„Pentito“ Giotti will nach eigenen Angaben vor allem für den Chef der mächtigen Familie Pelle-Vottari gearbeitet haben. Der Pate Antonio Pelle soll auch die Duisburger Morde in Auftrag gegeben haben. Im Oktober 2016 entdeckten die italienischen Ermittler den seit Jahren flüchtigen Mafioso in seinem Versteck. Hinter einem Kleiderschrank verborgen, lebte der Boss in einem Bunker unter seinem Haus in der Kleinstadt Bovalino. Inzwischen muss er 20 Jahre Haft absitzen.
Die Geschichten, die Giotti erzählte, sind typisch für die Karriere eines Mafioso. Bereits als Jugendlicher wurde er kriminell. Mit 19 Jahren musste er eine fünfjährige Haftstrafe absitzen. Nach seiner Entlassung verlegte sich der Kalabrese auf das Drogengeschäft. Stets protegiert durch Mafia-Familien, stieg er zum Cheflogistiker für die Koks-Lieferungen aus Südamerika auf.
Die Gewinne aus den Kokain-Schiebereien flossen nach Angaben Giottos zu 90 Prozent in Pizzerien, Restaurants und Eisdielen in den Niederlanden und Deutschland. Zum einen wurden die Lokale als Stützpunkte für kriminelle Aktivitäten genutzt. Besonders beliebt als Operationsbasis sind seinen Angaben zufolge italienische Eisdielen. Hier organisierte Giotti etwa den Transport von 200 Kilogramm Koks, die mithilfe zuverlässiger Hafenarbeiter in Antwerpen und Rotterdam sicher aus den Seecontainern auf Lkws verfrachtet werden sollten. Auch wurden in den Gastronomie-Betrieben Waffen und Stoff zwischengelagert. So etwa im Restaurant „Leonardo Da Vinci“ in Wesseling.
Zum anderen dienten die Lokale dazu, die illegalen Einnahmen zu waschen. Drogengewinne aus Italien, berichtete der Kronzeuge, würden bevorzugt im Ausland investiert. Das hat nach seiner Aussage einen einfachen Grund: Bereits ab einer Summe von 1000 Euro müssten die Besitzer der Guardia di Finanza nachweisen, dass der Betrag nicht aus illegalen Einkünften stamme. Somit könne man in Italien „mittlerweile mit flüssigem Geld nichts mehr machen“, führte Giotti aus.
Ganz anders sieht es in Deutschland aus. Trotz der neuen Vermögensabschöpfungsparagrafen fehlt es hierzulande immer noch an einer eindeutigen Beweislastumkehr. Das heißt: Verbrecher aller Couleur müssen nicht nachweisen, dass ihre Gewinne aus legalen Geschäften stammen. Ein Umstand, den vermögende Mafiosi längst für sich nutzen. „Derjenige, der viel flüssiges Kapital hat, investiert in Deutschland, weil es dort einfacher ist, sich Restaurants und Autos zu kaufen“, sagte Giotti.
Dieser Text ist erstmals am 4, Mai 2023 auf ksta.de erschienen.