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KomponistStabsfeldwebel mit Klarinette – Seelscheider Musikkorps der Bundeswehr

Lesezeit 5 Minuten

„Ich kann der Bundeswehr zu einem solchen Komponisten gratulieren“, sagte der 2016 verstorbene ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Gescher 2015 über Stabsfeldwebel Guido Rennert.

Neunkirchen-Seelscheid – Der Seelscheider Guido Rennert hat sich als Komponist symphonischer Blasmusik einen Namen gemacht.

Doch bleibt der 43-Jährige auf dem Boden, als Klarinettist beim Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg sitzt der Stabsfeldwebel im Orchester, macht seinen Job wie die Kameradinnen und Kameraden.

Das Bild des Bescheidenen bestätigt ein Besuch bei ihm daheim und öffnet zugleich den Blick auf einen Mann, der sich selbstbewusst in die Gilde der zeitgenössischen Komponisten einzuordnen weiß.

Rennerts Arbeitszimmer lässt nicht darauf schließen, dass es die Geburtsstätte großer Musik ist. Kein Flügel, keine großen Konterfeis und Zeitungsartikel an der Wand. Dagegen lassen ein Keyboard, Notenständer und zahlreiche auf einen Schreibtisch verteilte Notenblätter – leer und von einer schnellen Hand beschrieben – auf musikalische Aktivität schließen.

Kein Flügel, keine großen Konterfeis und Zeitungsartikel an der Wand. Das Arbeitszimmer des Seelscheider Komponisten Guido Rennert lässt nicht auf die Geburtsstätte großer Werke schließen.

Der gebürtige Blumberger (Sachsen) ist seit der Jugend als Musiker und Komponist unterwegs, trennt bewusst beides. Denn „Musiker und Arrangeur sind zwei Paar Schuhe“. Als Zehnjähriger – er lernte gerade an der Musikschule Torgau Klarinette und Musiktheorie, komponierte er Stücke für kleine Besetzungen. „Eher notgedrungen“ arrangierte er für sich und Freunde westliche Popsongs, etwa von Depeche Mode, Cure, Die Ärzte. Denn in der damaligen DDR habe es Noten hierfür nicht zu kaufen gegeben.

Sein musikalisches Talent wurde frühzeitig erkannt, auch seitens der DDR-Militärmusik. Dennoch wollte man ihn nicht studieren lassen. Sein Vater stand wegen Tätigkeiten im Prager Frühling unter ständiger Beobachtung, der „nicht linientreue“ Opa verbrachte 15 Jahre in Gefängnissen der DDR. „Keine karrierefördernden Referenzen“, wie Rennert zurückblickt.

Großes Lob von Hans Dietrich Genscher

„Ich widme mein Werk all den mutigen Menschen, die 1989 in der ehemaligen DDR auf die Straße gingen und mit einer der außergewöhnlichsten Revolutionen der Geschichte schrieben“, sagt Komponist Guido Rennert über seine Freiheitssymphonie.

Als Synästhesie wird die Reizempfindung eines Sinnesorgans bei Reizung eines andern bezeichnet. Bei der Ton-Farb-Synästhesie (wie bei Komponist Guido Rennert) stellen sich beim Hören bestimmter Töne Farbempfindungen, etwa bei geschlossenen Augen, ein.

„Diese Musik“, sagte Hans-Dietrich Genscher über die Freiheitssymphonie „hat mich in einer Weise ergriffen, wie das bisher selten der Fall war. Hier ist es jemandem gelungen, eine historische Periode. . . einzufangen, in die Sprache der Musik zu übersetzen und den Menschen nahezubringen – mit dem Verstand und mit dem Herzen. . . Ich kann nur sagen: Ich kann die Bundeswehr zu einem solchen Komponisten gratulieren.“ (loi)

Als die Mutter mit der Ausreise drohte, wendete sich das Blatt. Der 16-Jähriger durfte schließlich in die Musikschule der Militärtechnischen Schule „Erich Habersaath“ in Prora auf Rügen eintreten. Allerdings unterschied sich seine Ausbildung von der seiner Kameraden. Während diese in kleinen Gruppen unterrichtet wurden, erhielt Rennert Einzelunterricht.

Als „Ironie der Geschichte“ bezeichnet der Familienvater heute das Ergebnis an der Freiwilligenannahmestelle der Bundeswehr, wo er nach dem Mauerfall mit den anderen Klarinettisten aus Prora vorspielte. Denn er, der einst in den Einzelunterricht verbannt worden war, war der Einzige, der die Prüfung bestand und übernommen wurde.

Seit seinem Eintritt in den Militärmusikdienst der Bundeswehr 1991, an dessen Anfang das Studium an der Düsseldorfer Robert Schumann Musikhochschule stand, befasst sich Rennert mit dem Komponieren und Arrangieren von größeren Werken, darunter Auftragsarbeiten für international renommierte Solisten, Solokonzerte sowie komplexe symphonische Orchestermusiken. Dabei arbeitete er etwa mit dem Filmkomponisten Martin Böttcher (Musik zu „Winnetou“) oder dem Echo-Klassik-Gewinner German Brass zusammen. Bundesweite Anerkennung erntete Rennert für seine Freiheitssymphonie „Wir sind das Volk“, die er für das Musikkorps schrieb und die beim Festakt der Bundesregierung anlässlich 25 Jahre Deutscher Einheit am 3. Oktober 2015 in der alten Oper Frankfurt aufgeführt wurde. Das Projekt begleitete mit Hans-Dietrich Genscher einer der Wegbereiter der Wiedervereinigung. Gerührt und begeistert äußerte sich der ehemalige Außenminister damals vor den Kameras (Großes Lob von Hans Dietrich Genscher).

Dass er komponiert und zugleich im Orchester spielt sei für ihn „ein Glücksfall“. „Das Orchester ist für mich das Größte. In der Symbiose kann ich mich voll ausleben. Das sind Profis, die alles verstehen“, so Rennert, der Popmusik gerne und oft hört und die heutige als „klasse gemacht“ einstuft. Sein Komponier-Talent führt Guido Rennert „ein Stück weit“ auf seine Ton-Farb-Synästhesie zurück. „Vor meinem geistigen Auge entstehen bei der Musik große farbige Bilder“, sagt er. Da sehe er quasi auch die Fehler. Deshalb brauche er für das Komponieren kein Klavier: „Ich schreibe im Kopf. Wenn es dort erst mal steht, ist der Rest Abschreibarbeit.“

Rennert ist in vielen Stilrichtungen unterwegs, in großen sinfonischen Werken liege die „besondere Herausforderung“. Die Werke von Mahler, Wagner und Strauss nennt er „vorbildhaft“, Hector Berlioz’ „Instrumentationslehre“, die von Richard Strauss überarbeitet wurde, bezeichnet er als „Bibel“, Strauss´ „Alpensinfonie“ sei für ihn „das Meisterwerk schlechthin“. Immer folge Rennert seiner Prämisse „Klang steht über alles“. („Die schönste Melodie nützt nichts, wenn sie nicht klingt“).

Von diesen Grundsätzen profitieren die Zuhörer, verschmilzt Rennert doch stets Melodie und Klangpracht zu von Fachwelt und Publikum hochgelobten Musikerlebnissen. Das dürften auch die Fans der NRW-Bundesligisten so gesehen haben, deren Vereinshymnen er für den WDR zu „Kurvenklänge – das Stadionkonzert“ in ein Werk goss und in mehreren Stadien präsentierte. Bisweilen baut er bekannte Melodielinien ein, wie in seine jüngste Tondichtung „Hamburg – Tor zur Welt“.

In diesem gewaltigen Werk voller Kraft, feierlicher Schönheit und mondäner Weltmusik tummeln sich Adaptionen des „Hamborger Veermaster“, des Tagesschau-Themas oder des Beatles-Hits „She Loves You“. Und das „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ glüht mit seinem Kontrast aus dem monströsen Dreivierteltakt-Tutti und der volksliedhaft verspielten Kopie des Akkordeons. Geschrieben hat er das Werk in acht Tagen.

www.guidorennert.de