Der Staatsschutz ermittelt aktuell in zwei Neunkirchen-Seelscheider Fällen. Im Ort herrscht Entsetzen, aber auch Zusammenhalt.
Neunkirchen-Seelscheid„Erschreckend“ – Entsetzen und Zusammenhalt nach möglichem Brandanschlag
Wie lebt es sich in einem Dorf, in dem in den letzten Wochen Gewalt im öffentlichen Raum stattfand? Diese Frage umtrieb viele der 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die am Donnerstagabend dem Aufruf der Initiative „Neunkirchen-Seelscheid ist bunt: Gemeinsam für Vielfalt und Demokratie“ folgten und eine Menschenkette von der Bushaltestelle „Seelscheid Post“ bis zur Zeithstraße bildeten.
Dort befindet sich das im Dorf beliebte Restaurant „Haus am Park“, das vor wenigen Tagen in Flammen aufging. Betreiber Ayari Riathi und sein Bruder Imed konnten mit einem lebensgefährlichen Sprung aus dem ersten Stock schwerverletzt ihr Leben retten. Beide haben einen tunesischen Pass. Staatsanwaltschaft und Polizei gehen nach Auswertung der Spuren von einem versuchten Tötungsdelikt aus. Dabei ergaben sich Hinweise auf eine vorsätzliche Brandlegung. Auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist der Staatsschutz der Bonner Polizei ebenfalls eingebunden.
Erstarken der AfD bereitet vielen Aktionsteilnehmern große Sorge
Anfang Juli hatte es bereits einen Vorfall an einer Bushaltestelle im Dorf gegeben, bei dem Schüsse aus einer CO²-Pistole abgegeben wurden. Mehrere Menschen erlitten Verletzungen. Es kam zu Beschimpfungen, möglicherweise mit ausländerfeindlichem Inhalt. Der Verbindungsbeamte zum Staatsschutz in Bonn wurde später eingeschaltet.
Karl-Heinz Heyer beteiligte sich mit seiner Frau Heike an der Menschenkette. „Es ist erschreckend, dass die Gewalt auch hier in Seelscheid angekommen ist“, fassen beide den Grund für ihre Teilnahme zusammen. Offen hätten sie Fremdenfeindlichkeit im Dorf allerdings noch nie erlebt. Das bestätigt auch Doris Litsch. „Trotzdem ist es wichtig, dass wir hier ein deutliches Zeichen gegen Rechts setzen“, ergänzt sie. Sie bestätigt damit die Meinung vieler anderer Menschen. „Wir sind hier, weil wir gegen Gewalt und rechtsextreme Politik sind.“
Polin erinnert sich an ihre Auswanderung nach Deutschland
Das Erstarken der AfD, die bei der Europawahl 12,2 Prozent der Stimmen in Neunkirchen-Seelscheid bekam, bereitet vielen Teilnehmenden an der Aktion „große Sorgen.“ Sie fürchten eine Spaltung der Gesellschaft.
Renate Schöneshöfer ist 76 Jahre alt. Sie kam 1968 aus Polen nach Seelscheid. Sie ist entsetzt, dass Menschen jetzt nach ihrer Nationalität beurteilt werden. „Als ich vor 54 Jahren hier im Dorf ankam, wurde ich freundlich aufgenommen“, erinnert sie sich. Keinen hätte interessiert, dass sie aus Polen nach Deutschland kam. Nicht die Nationalität, sondern der einzelne Mensch sei wichtig.
Pfadfinder setzen bei Menschenkette in Seelscheid Zeichen
Ben Trawinski ist Musiker. Er lebt in Seelscheid und griff spontan zum Ende der Veranstaltung auf dem Parkplatz am Haus am Park zur Gitarre und sang dort gemeinsam mit den Menschen. „Ich bin für Vielfalt in der Gesellschaft“, betonte er im Gespräch mit der Redaktion. Monokulturen, das würde man in der Natur sehen, könnten nur durch den Einsatz von Chemikalien überleben. „Vielfalt ist das, was gesund ist.“ Alle müssten deshalb klar und deutlich dafür einstehen.
Auch die Pfadfinder waren gekommen. Der Stamm Edelweiss hat seine Heimat in Seelscheid. Deutlich war die Fahne der Pfadfinder in der Menschenkette zu erkennen. „Wir zeigen Flagge gegen die Gewalt“, berichtet Gruppenleiter Tilman Frisch. Es sei wichtig, Präsenz zu zeigen, wenn es darum ginge, „die Demokratie und das friedliche Miteinader in unserer Gesellschaft zu schützen.“
Die vier Veranstalterinnen zeigten sich zufrieden mit der Resonanz auf die Menschenkette. Dieses Zeichen gegen Gewalt in Seelscheid sei wichtig gewesen. Die Unterstützung durch zahlreiche Menschen hätte gezeigt, dass dies ein wichtiges Thema sei.