Kein anderer Baum im Rhein-Sieg-Kreis hat diesen mächtigen Umfang, sein wahres Alter ist bis heute unbekannt.
RekordbaumDie Geheimnisse der alten Kastanie in Ruppichteroth
Es ist der Baum mit der größten Umfang im gesamten Rhein-Sieg-Kreis: Eine Esskastanie in Ruppichteroth hält im Juli 2024 mit 7,20 Metern diesen Rekord. Im Jahr 2016 waren das noch 6,92 Meter, wie unser Reporter Klaus Heuschötter seinerzeit persönlich mit dem Maßband ermittelte. Über das genaue Alter des Baumes in Rotscheroth ist nichts Genaues bekannt. „400 Jahre schätzen manche, andere sagen, dass er wohl viel jünger ist, vielleicht nur 180 Jahre. Die Wahrheit liegt wohl, wie immer, in der Mitte“, vermutet Dr. Norbert Möhlenbruch, Vorsitzender des Naturschutzbeirates des Rhein-Sieg-Kreises.
7,20 Meter beträgt der Umfang des Rekordbaumes in Ruppichteroth, sein wahres Alter ist bis heute unbekannt
Seine erste Begegnung mit der Esskastanie hatte der heute 74-Jährige als Forstreferendar in Jahr 1976. „Seitdem hat mich der Baum nicht mehr losgelassen“, berichtet er. Als er später im Rhein-Erft-Kreis arbeitete und in Brühl wohnte, besuchte er die Esskastanie noch regelmäßig. Seitdem er im Ruhestand ist und wieder in Hennef lebt, schaut er dort „mindestens einmal im Jahr“ nach dem Rechten. Deshalb schlug er vor, der Redaktion persönlich diesen Baum zu zeigen: „Ich wollte sowieso mal wieder hin.“
Wir halten an der Stelle, an der sich früher die Försterei in Ruppichteroth befand. Nur noch eine alte Scheune, mittlerweile in Privatbesitz, erinnert daran. Es geht in den Wald hinein. „Links stand früher die Motte der Burg Rotscheroth“, berichtet Möhlenbruch. Ein bewachsener Hügel von elf Metern Breite und 16,5 Metern Länge mit einem sumpfigen Graben drumherum erinnert daran. Das Auge erkennt eine zerfallene Mauer am Ende des leicht nach Norden abfallenden Hanggeländes. „Sie ist neueren Ursprungs und diente vielleicht dazu, den Graben für die Fischzucht aufzustauen“, vermutet Möhlenbruch.
Wenige Meter weiter erblickt man auf der rechten Seite eine kleine Lichtung. Ein knorriger Baum, in etwa vier Metern Höhe in zwei Teile gegabelt, ist der zentrale Punkt. Möhlenbruchs Augen glänzen. „Sehen Sie die Esskastanie dort?“, fragt er mich. Ich sehe sie. Bin jedoch ein wenig enttäuscht. Der mächtigste Baum im Rhein-Sieg-Kreis wirkt auf mich ganz anders. Benachbarte Buchen überragen ihn. Das hatte ich mir anders vorgestellt.
Zum Glück haben wir Gummistiefel an und kämpfen uns durch Brennnesseln und Brombeeren zum Stamm des Baumes durch. Hungrige Mücken begleiten uns. Die Rinde der Marone ist mit Moos bewachsen, Tiere und Pflanzen haben dort eine Heimat gefunden. Ein kleiner Hohlraum am Fuß des Stammes wirkt durch ein Spinnennetz, das den Eingang versperrt, wie eine Gruselhöhle. Spechte haben weiter oben versucht, Höhlen zu hämmern. Ein aufgeschrecktes Eichhörnchen springt auf einen benachbarten Baum. Möhlenbruch, der auch Jäger ist, erkennt die frischen Trittsiegel von Rehen im feuchten Waldboden.
Das genaue Alter der Esskastanie und warum sie auf der Lichtung wächst, ist unbekannt
Man sieht dem einstämmigen Baum mit seinen zwei Achsen sein Alter an. Ein dicker Ast, der bei einem Sturm abgebrochen ist, liegt neben ihm. Junge Triebe im unteren Teil zeigen aber, „dass er noch lange nicht vorhat, zu sterben“, wie es Möhlenbruch formuliert. Er zeige noch immer Vitalität. „100 Jahre schafft die Esskastanie sicher noch“, schätzt der ehemalige Förster mit Blick in die Zukunft. Obwohl der Baum ein wenig wie „eine Ruine“ aussehe, sei er ein echter Überlebenskünstler.
21 Meter hoch, schätzt Möhlenbruch, sei die Esskastanie. Früher seien es 30 Meter gewesen. Aber Wind und Wetter hätten ihr zugesetzt, sodass der obere Teil irgendwann abgebrochen sei. Zur Ermittlung des Rekordes ist aber der untere Stamm wichtig. Möhlenbruch holt ein Maßband hervor. 7,20 Meter haben wir als offiziellen Umfang des Baumes notiert. „Daran sehen Sie, dass er weiter wächst“, bemerkt er im Vergleich zum früheren Umfang von unter sieben Metern. Die Lichtung müsse jedoch mal wieder freigeschnitten werden, damit er mehr Licht bekomme. Dafür sei der Rhein-Sieg-Kreis zuständig.
Esskastanien seien übrigens in Zeiten des Klimawandels Bäume, die zurzeit verstärkt angepflanzt würden. Aus dem Mittelmeerraum kommend, könnten sie mit Hitze gut umgehen. Eines beschäftigt Möhlenbruch schon seit Jahren: Wie ist die alte Esskastanie auf die Lichtung gekommen? Vielleicht hatte der Burgbesitzer sie dorthin gepflanzt, um Maronen zu ernten? Früher sei das Gebiet an der Burg eine Wiese gewesen, der Wald sei erst später gewachsen. Bisher habe noch niemand dieses Geheimnis lösen können.