Beschimpft und angepöbeltMitarbeiter des Rettungsdienstes berichten aus ihrem Alltag
Rhein-Sieg-Kreis – Gewalt gegen Einsatzkräfte, egal ob von Ordnungsamt und Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, wird mehr und mehr zum Thema. Eine Befragung des Ministeriums des Inneren sowie des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales gemeinsam mit komba Gewerkschaft NRW ergab, dass gut ein Viertel der Mitarbeiter im Rettungsdienst Opfer körperlicher Gewalt geworden waren. 92 Prozent erlebten verbale Gewalt. Sehr deutlich war der Unterschied zwischen Metropolstädten (mehr als 500.000 Einwohner) und Großstädten (100.000 bis 500.000 Einwohner). Deutlich geringer ist die Zahl der Übergriffe im ländlichen Raum.
Wie sieht das in der Region aus? Das wollte auch der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Rhein-Sieg-Kreis, Dr. Christian Diepenseifen, wissen und hat für das vergangene Jahr die 550 haupt-und nebenamtlichen Mitarbeitern des Rettungsdienstes im Kreis befragt. Danach hat es keinen dokumentierten Fall gegeben, der strafrechtlich verfolgt wurde. Doch Diepenseifen sieht nicht nur die körperliche Gewalt. Zu den Übergriffen gehören auch Pöbeleien, Beschimpfungen und Bedrohungen. Unserer Zeitung haben Mitarbeiter des Rettungsdienstes von ihren Erfahrungen berichtet.
Tobias Diepenseifen
„Die Toleranz des Rettungsdienstes ist sehr hoch, wir haben uns an Beschimpfungen gewöhnt. An den Wochenenden ist das inzwischen eine normale Sache“, berichtet er. Er schätzt, dass 98 Prozent der Einsatzkräfte Opfer verbaler Gewalt sind. Meist sind es männliche, alkoholisierte Patienten im Alter von 20 bis 30 Jahren. Handgreiflichkeiten dagegen seien die Ausnahme. 2016 hat Diepenseifen einen Fall erlebt, bei dem eine betrunkene Patientin einen Rettungsdienstmitarbeiter angegriffen und geschlagen hat.
Christoph Mücher
Seit 31 Jahren arbeitet Christoph Mücher im Rettungsdienst bei der Stadt Hennef. Der 52-Jährige erzählt aus seinem Alltag: „So bald Alkohol und Drogen im Spiel sind, ist verbale Gewalt an der Tagesordnung.“ Er erinnert sich an einen Einsatz zu Halloween, bei dem stark alkoholisierte Jugendliche vor einer Schule in eine Schlägerei gerieten. „Die haben sich stark gemacht gegen uns und uns beschimpft, das war sprachlich unterste Kategorie.“ Tritte gegen den Rettungswagen hat er ebenso erlebt wie unkontrolliertes Um-Sich-Schlagen im Inneren des Fahrzeugs. „Da wird rumgespuckt und nach Gegenständen geschlagen“, beschreibt er ein solches Szenario.
Sabrina Walther
„Wir wollen den Leuten helfen und sie sprechen uns die Kompetenz ab“, so Sabrina Walther vom Malteser Hilfsdienst Sankt Augustin. „Besoffene Jugendliche, die werden sehr ausfallend.“ Als junge Frau hat sie es auch oft mit sexistischen Äußerungen zu tun, etwa mit dem Tenor: „Zwei Frauen auf dem Rettungswagen, das ist ja schon kritisch“ oder „Können Sie mich überhaupt tragen“. Seit vier Jahren ist 23 Jahre alte Notfallsanitäterin im Rettungsdienst tätig. Bei einem ihrer frühen Einsätze hat ihr ein Patient mal einen Baseballschläger entgegen geworfen. Sie zog sich zurück, die Polizei übernahm. Beim Transport ins Krankenhaus überschüttete sie der Mann mit sexistischen Beleidigungen. Schlimm empfand sie die Drohungen eines Angehörigen, der ihr vorwarf, dass sie ihren Job falsch mache, was objektiv nicht stimmte. „Hoffentlich passiert Ihnen das auch mal“, habe er ihr zugerufen – eine echte Bedrohung.
Zwar seien es hauptsächlich Männer, die aggressiv werden, sagt sie. Aber auch Frauen schlagen schon mal die Hände der behandelnden Rettungsdienstler weg, besonders, wenn medizinsche Maßnahmen gegen ihren Willen geschehen. Eine betrunkene Patientin hatte Probleme mit weiblichem Personal, das sie wegschubste.
„Y“ Ilkme
Seit 25 Jahren fährt„Y“ Ilkme, der seinen Vornamen nicht nennen will, auf dem Rettungswagen. „Mir persönlich ist keine körperliche Gewalt zugestoßen“, sagt der 47-Jährige, der für die Johanniter Unfallhilfe im Einsatz ist. Zwar ist er schon mal angerempelt worden, hat das aber nicht als Angriff auf seine Person erlebt, sondern als der Situation geschuldet. Was aber erlebt hat: „Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Rettungsdienst hat schon nachgelassen, der Ton ist rauer geworden“. Er setzt auf Deeskalation und Kommunikation, das werde zur Konfliktvermeidung schon in der Ausbildung vermittelt.
Christian Grashoff
Persönlich angegriffen wurde Christian Grashoff vom Deutschen Roten Kreuz in Windeck noch nicht. Doch bei einem Einsatz hat ein Betrunkener den Außenspiegel seines Rettungswagens weggetreten und Beulen in das Fahrzeug gemacht. Er bestätigt, was auch in anderen Regionen üblich ist: An den Wochenenden und mit zunehmendem Alkoholkonsum werden Patienten ausfällig. Beleidigungen und Beschimpfungen erlebt er dann regelmäßig.
Der Rhein-Sieg-Kreis hat das Problem erkannt und ergreift Maßnahmen, bevor der Respektverlust vor Helfern weiter fortschreitet. In der Fortbildung des nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals gibt es einen viertägigen Pflichtblock. In diesem Jahr wird ein ganzer Tag von einem früheren Polizisten als Deeskalationstraining gestaltet. Bei der Früherkennung und der Eigensicherung nämlich, das weiß der Ärztliche Leiter Diepenseifen, gebe es noch Defizite. Dabei gehe es nicht darum, ein paar Handgriffe zur Selbstverteidigung zu erlernen, sondern darum, Situationen zu erkennen, die Sinne zu schärfen und verbale Ansprache zu trainieren, um Konflikte zu entschärfen – damit es auch 2018 keine körperliche Gewalt zu beklagen gibt