Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Ausbruch aus der JVA RheinbachFlucht des Hahnwald-Mörders hinterlässt viele Fragen

Lesezeit 5 Minuten

Gefängnisse, in denen Häftlinge lange Haftzeiten verbüßen, müssen besonders sicher sein. (Symbolbild)

Rheinbach – Das Gefängnis in Rheinbach ist ein altes Gemäuer, doch die JVA im Rhein-Sieg-Kreis, in der vor allem zu langen Haftstrafen Verurteilte einsitzen, gilt seit Jahrzehnten als besonders ausbruchsicher. Deswegen ist die Verwunderung auch am Tag nach der spektakulären Flucht des sogenannten Hahnwald-Mörders Detlef W. groß. Zumal Frank Piontek, Sprecher der Polizei in Bonn, bis zum frühen Mittwochabend von nur wenigen Hinweisen auf den Flüchtigen berichten kann. Wo aber ist Detlef W.? Was trägt er? Die Anstaltsklamotten aus der Schreinerwerkstatt hat er zurückgelassen. Die Fahnder behaupten, sie hätten keine Anhaltspunkte über seinen Aufenthaltsort. Versteckt er sich im Wald? Ist er im Ausland? Hält er sich in Köln auf? Wer immer ihn sieht, so rät die Polizei, möge vorsichtig sein: Er gilt als gefährlich. Hinweise gehen an die Rufnummer 110.

Die meisten Häftlinge, denen die Flucht gelingt, nutzen den gewährten Freigang, um sich aus dem Staub zu machen. Ausbrüche sind schlagzeilenträchtig, aber selten. Seit mehr als zehn Jahren geht die Zahl der Ausbrüche bundesweit zurück. 2000 waren es laut Bundesjustizministerium 73, 2010 und 2011 jeweils acht und im Jahr 2012 sechs.

Die Flucht aus dem Gefängnis ist in Deutschland straffrei. Weil aber meist zum Ausbruch Straftaten wie Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung oder Bestechung begangen werden, bleibt der Ausbruch selten straffrei. Außerdem wird eine Flucht von der Anstalt disziplinarisch geahndet. (bce)

Der 43 Jahre alte Häftling war am Dienstag in einem Transport mit Holzabfällen aus dem Gefängnis geflohen. Er verbüßte seit 2007 eine lebenslange Haft wegen Mordes an einer Kölner Millionärin. Der genaue Ablauf der Flucht des Schwerverbrechers, der wohl beim Beladen des Anhängers an einer Rampe in eine Gitterbox kletterte, ist weiter rätselhaft. „Es spricht immer mehr dafür, dass der Mann in der Gitterbox entflohen ist. Aber wie kam er in die Gitterbox? Konnte er das allein schaffen? Hat jemand die Holzscheite auf ihn draufgelegt?“, fragt sich Heinz-Jürgen Binnenbruck, seit 2004 Leiter der JVA Rheinbach. Wie er dem „Express“ mitteilte, sei das Traktor-Gespann, mit dem das Holz abgeholt wurde, nicht mit einem Herzschlag-Detektor kontrolliert worden. Weil die Gitterboxen nach oben offen und einsehbar waren, habe sich der Bedienstete wohl dagegen entschieden, so Binnenbruck.

Ob es Mitwisser unter den Insassen gab, ist ebenfalls unklar. „Nach allem, was wir wissen, gehen wir von einem gewissen Organisationsgrad aus“, sagte ein Polizeisprecher. Für den Anstaltsleiter ist es der erste Ausbruch überhaupt: „Der letzte hier in Rheinbach muss im Jahr 2000 gewesen sein“, so Binnenbruck. Die Haftanstalt habe „an sich gute technische und bauliche Voraussetzungen“ für die ausbruchsichere Unterbringung der Häftlinge. „So etwas dürfte eigentlich nicht passieren. Das macht nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter betroffen.“

Detlef W. gab sich offenbar als ein verträglicher Haftinsasse aus. Er habe in den Jahren seiner Haft ein angepasstes Verhalten an den Tag gelegt, berichtet der Anstaltsleiter. „Er hatte guten Kontakt zu Mithäftlingen und Angestellten. Er ist kein einziges Mal durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen.“

„Offenbar bestehen in den Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen weiterhin Sicherheitsdefizite. Diese Mängel müssen schleunigst behoben werden. Hier steht Justizminister Kutschaty in der Pflicht. Die bisherige Praxis, dass pro Jahr lediglich eine JVA einem besonderen Sicherheitscheck unterzogen wird, ist völlig unzureichend. Es hat sich eine Vielzahl von Anstalten gemeldet, die bereit sind, sich einem Sicherheitscheck zu unterziehen. Allein aus Kapazitätsgründen sieht sich das Justizministerium nur in der Lage, einmal pro Jahr eine Anstalt zu untersuchen. Nach der geltenden Praxis wird bei 37 Anstalten also eine Generation benötigt, um alle Anstalten zu erfassen. Die Bürger in Nordrhein-Westfalen haben aber einen Anspruch darauf, dass die Justizvollzugsanstalten des Landes sicher sind. Deshalb muss der Justizminister die Prüfungen massiv ausweiten.“

Dirk Wedel, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im NRW-Landtag

„Die JVA Rheinbach gilt seit ihrer Modernisierung als eine der sichersten Haftanstalten in Nordrhein-Westfalen. Dass es einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder dennoch gelungen ist, mit einem simplen Trick aus der Anstaltsschreinerei zu flüchten, wirft erhebliche Fragen auf. Eine Gitterbox für Holzabfälle dürfte jedenfalls kein Versteck sein, das von außen nicht einsehbar gewesen wäre. Wir erwarten, dass Justizminister Kutschaty zu den Umständen dieses unglaublichen Ausbruchs in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses einen umfassenden schriftlichen Bericht vorlegt.“

Jens Kamieth, Rechtsexperte der CDU im Düsseldorfer Landtag

„Wir arbeiten jetzt sehr eng mit der Polizei zusammen und haben natürlich die Pflicht, genauestens aufzuklären, wie das passieren konnte. Grundsätzlich sind die Haftanstalten Nordrhein-Westfalens in den vergangenen 25 Jahren aber viel sicherer geworden. Die Zahl der Ausbrüche ist seitdem um rund 90 Prozent zurückgegangen. Absolute Sicherheit wird es aber nie geben.“

Peter Marchlewski, Sprecher des nordrhein-westfälischen Justizministers Thomas Kutschaty (SPD)

Den Fall aus Rheinbach möchte Angela Wotzlaw, Leiterin der JVA Köln, nicht kommentieren. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Insasse ihrer Anstalt flieht, hält sie für eher gering. Es sind meist kürzere Haftstrafen, die hier verbüßt werden, lebenslänglich Verurteilte werden in Köln normalerweise nicht untergebracht. „Die Folgen eines Ausbruchs sind viel gravierender, als die Haftstrafe abzusitzen“, sagt Wotzlaw. Sie arbeite seit 15 Jahren in Ossendorf, für diese Zeit sei ihr kein Ausbruch bekannt.

Strafgefangene, die sich bei einer Prüfung charakterlich als geeignet erweisen, dürfen sich in einem der drei Werkbetriebe innerhalb der JVA etwas dazuverdienen. In ihnen lassen externe Unternehmen die unterschiedlichsten Dinge herstellen, Spielzeug etwa oder Werbetafeln. Maximal 15 Häftlinge arbeiten in einem Betrieb, Männer und Frauen in Untersuchungshaft werden nicht zur Arbeit zugelassen. Sei ein Gefangener beim Beladen eines Transportfahrzeugs anwesend, werde er von ein bis zwei Beamten begleitet, so Wotzlaw. Bevor ein Transporter das JVA-Gelände verlasse, würden die Arbeitskräfte durchgezählt.