Niklas-ProzessWurde der Falsche angeklagt? Zeugin entlastet Walid S.
Bonn – Es ist Tag 14 im Prozess, und alle rechneten mit einem zeitnahen Ende des Verfahrens um den Tod des 17-jährigen Schülers Niklas P., der in der Nacht zum 7. Mai 2016 durch einen Faustschlag ins Koma gefallen war und fünf Tage später an den Folgen starb. Sämtliche Zeugen waren bereits gehört, der Fall nicht wirklich geklärt und die Beweislage gegen den Hauptangeklagten Walid S. mehr als schütter.
Eine unbefriedigende Gemengelage, in die Verteidiger Martin Kretschmer gestern überraschend eine Zeugin präsentierte, die wahrhaft für eine Sensation sorgte – und den Niklas-Prozess kippen könnte. Die 19-jährige Sara S. (Name geändert) hatte sich Kretschmer drei Tage zuvor in der Kanzlei anvertraut und war furchtlos bereit, als Zeugin im Prozess auftreten.
Demnach könnte der Falsche auf der Anklagebank sitzen. Nicht Walid S. soll der Schläger am Bad Godesberger Rondell gewesen sein, sondern der 22-jährige Ali P. (Name geändert), dem auch die Jacke mit Niklas Blutspur gehört. Ihr Wissen, so berichtete Sara S. weiter, habe sie von einem 26-jährigen Freund, der am Tatabend auf dem Weg zum Bahnhof Bad Godesberg war und die Schlägerei genau gesehen habe. Bei der Prügelattacke soll auch der mitangeklagte Roman W. (21), dessen Prozess abgetrennt wurde, dabei gewesen sein sowie ein Dritter, der bislang noch nicht im Fokus der Ermittlungen gewesen war.
Falschaussage wegen Drohung
Der 26-Jährige sei nicht der einzige Augenzeuge gewesen, berichtete Sara S. weiter, es gebe noch mindestens drei weitere, sei ihr versichert worden. Alle hätten aus Angst vor Ali P. geschwiegen oder hätten im Prozess gelogen, so wie der 26-Jährige auch. Ihm soll gedroht worden sein, dass er „eine Kugel zwischen die Augen bekomme“, wenn er nicht den Mund halte.
„Es ist doch nicht richtig, dass ein Unschuldiger verurteilt wird, nur weil sich keiner von Euch traut, die Wahrheit zu sagen“, will Sara S. dem Augenzeugen bei einem Treffen vorgehalten haben. Da der 26-Jährige sich weigerte, selber den Schritt zu gehen, um nicht als „Zinker“ (Verräter) dazustehen, hat sich die junge Frau mutig aufgemacht, dem Gericht die „Wahrheit“ zu erzählen. Da sie weder Walid S. noch Ali P. persönlich kennt, sei sie auch nicht parteiisch. Sara S., die keine Drohung fürchtet: „Ich habe mir vorgestellt, mein kleiner Bruder sitzt unschuldig auf der Anklagebank – und keiner macht den Mund auf. Das ist doch schlimm.“
Ali P., der nach dem Vorfall ebenfalls festgenommen worden war, sitzt derzeit wegen einer anderen Sache in Strafhaft. Der Intensivtäter sollte bereits im Juni vergangenen Jahres nach Tunesien abgeschoben werden. Wegen des noch ungeklärten Niklas-Verfahrens jedoch hatte der Bonner Staatsanwalt Florian Geßler kein grünes Licht gegeben. Ausreichend Beweise, ihn anzuklagen, hatten die Ermittler offenbar noch nicht.
Nach der brisanten Aussage von Sara S. haben die Richter ihr Programm gestoppt und sofort versucht, den 26-Jährigen als Zeugen zu hören. Er blieb gestern unauffindbar. Am nächsten Verhandlungstag jedoch muss er erneut erscheinen, wie auch weitere Augenzeugen.