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Terrorangst im WaggonWie Zeugen die Tour mit der führerlosen Linie 66 erlebten

Lesezeit 4 Minuten

Die Stadtbahnlinie 66: Rund 60 000 Fahrgäste nutzen die Verbindung von Siegburg Richtung Bad Honnef über Bonn täglich.

Sankt Augustin/Bonn – Die Fahrt mit der führerlosen Linie 66 – Student Jonas erlebte sie hautnah, wie er dieser Zeitung schildert. Der 20-Jährige war einer der Fahrgäste im ersten Waggon der Linie 66, die in der Nacht zu Sonntag führerlos acht Haltestellen überfuhr, nachdem der 47-jährige Fahrer am Steuer bewusstlos zusammengesackt war.

Rund 60 000 Menschen fahren täglich mit der Stadtbahnlinie 66. Auch er fahre die Strecke von Siegburg nach Bonn oft, wo er im Studentenwohnheim lebt, erzählt Jonas, so auch am Sonntag um 0.34 Uhr, als die Bahn den Siegburger Bahnhof verließ. Acht oder zehn Personen, schätzt er, saßen im Waggon, Jonas und sein Freund Jan-Philipp vorn. Sie waren an dem Abend in Siegburg aus, „wir waren müde und haben erst nach ein paar Stationen gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, berichtet Jonas.

Gebete wurden gesprochen

Zunächst dachte er, die Bahn habe nicht an den Haltestellen angehalten, weil niemand den Stopp-Knopf gedrückt hatte. Aber dann hätten sie gemerkt, dass auch Haltestellen wie Sankt Augustin-Ort überfahren worden seien, für die Stopp gedrückt worden sei.

„Als wir bemerkten, dass die Bahn nirgendwo anhält und die aufgebrachten Fahrgäste gesehen haben, bin ich zur Notbremse gelaufen und habe sie betätigt. Als sie dann nicht funktioniert hat, ist Panik im Zug ausgebrochen“, erzählt Jan-Philipp.

Fahrgäste hätten gerufen, gegen die Scheibe der Fahrerkabine geklopft, „es wurde sehr unruhig, die Leute sind rumgelaufen“. Ein Mann habe laut in einer fremden Sprache gesprochen, „es klang wie Gebete“, sagt Jonas. Mehrere Fahrgäste zogen wieder die Notbremsen und betätigten den SOS-Knopf, ohne dass der Zug langsamer wurde. Jonas griff zum Handy, wählte die 110 und berichtete der Polizei, er sitze in der Linie 66 von Siegburg nach Bonn, die bereits mehrere Haltestellen übersprungen habe. Viele Fahrgäste telefonierten mit ihren Liebsten, schildert er, auch Jan-Philipp rief seine Mutter an. „Ich dachte, das ist das Ende, wir werden irgendwo gegenfahren, und das war’s“, bestätigt der 18-Jährige. Die Bahn, so Jonas, sei schnell gewesen und an den Haltepunkten „mit hoher Geschwindigkeit durchgefahren, normalerweise drosselt der Zug ja ab“.

Polizeibeamte versuchte zu beruhigen

Der Polizeibeamte am Telefon versuchte zu beruhigen, erklärte, man werde mit der Leitstelle der Bonner Stadtwerke (SWB) sprechen und den Zug stoppen. Schließlich schlugen zwei Passagiere die Scheiben zur Fahrerkabine ein und konnten den Zug bremsen. Kurz vor der Adelheidisstraße in Bonn hielt die Bahn. Als sie stand, habe er die Türverriegelung gelöst. Die Leute seien rausgerannt, hätten gerufen: „Nur weg von der Bahn!“ Man habe zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, dass der Fahrer aufgrund eines medizinischen Vorfalls bewusstlos war. Es habe Furcht vor einem Selbstmordanschlag geherrscht. Auch an einen Terroranschlag hätten sie gedacht, weil die Notbremsen nicht funktionierten, so Jonas. „Wir sind erstmal weggelaufen“, schildert auch Jan-Philipp. Als die Polizei kam, seien sie zurück zur Bahn und hätten ihre Aussage gemacht.

Dauerhaft erschrocken sind die beiden nicht. Mit der Linie 66 ist Jonas wenige Stunden später gleich wieder gefahren: „Ich war mit meinen Eltern auf dem Weihnachtsmarkt in Siegburg.“

„Mit welchen Gefühlen fahren Sie jetzt Bahn?“

Daniel Dreilich (42), Koch aus Siegburg

Daniel Dreilich

„Mir bleibt nichts anderes übrig, als mit der Bahn zu fahren. Ich habe aber auch kein Problem damit. Schließlich haben wir immer mit Menschen zu tun, da kann sowas passieren.“

Nina Engbrecht (27), Bürokraft aus Hennef

Nina Engbrecht

„Ich denke, das war ein absoluter Ausnahmefall, und davon lasse ich mich nicht beeinflussen. Ich fahre weiterhin mit der Stadtbahn und auch mit der Linie 66.“

Simon Schmidt (23), Servicekraft aus Troisdorf

Simon Schmidt

„Es hat ja gerade auf der 66 schon früher immer wieder Störungen gegeben. Aber Bus und Bahn bleiben die beste Option, von A nach B zu kommen.“

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Isabell Becker (18), Schülerin aus Hangelar

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„Ein bisschen belastet mich das schon. Ich habe mir auch jetzt erst mal den Fahrer angeguckt, bevor ich eingestiegen bin. Zum Glück ist ja am Sonntag nichts passiert.“

Thomas Zimmermann (37), Installateur aus Lohmar

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„Sowas kann uns überall passieren. Komisch finde ich nur, dass der Zug nicht stoppt, wenn man die Notbremse zieht. Das sollte nicht so sein.“

Mona Salomon (32), Lehrerin aus Lohmar

Mona Salomon

„Ich bin auch nach dem Vorfall vom vergangenen Wochenende nicht ängstlich und scheue erst recht nicht davor zurück, mit der Stadtbahn nach Bonn zu fahren.“ (sp)