Nach dem Weltkrieg hoben die Riegel-Brüder Haribo auf Weltmarktebene. Doch im Hintergrund brodelte ein Familien-Streit.
„Ohne Fabrik würde ich krank“Als ein Familien-Streit für Haribo zur Zerreißprobe wurde
Einen Sack voll Zucker, eine Marmorplatte, einen Kupferkessel und eine Walze, mehr soll Hans Riegel nicht gehabt haben, als er 1920 seine Süßigkeitenproduktion begann. In einer Hinterhof-Waschküche entstanden die ersten Goldbären. So zumindest die Legende des Unternehmens Haribo.
Was Riegel damals in Bonn auf die Beine stellte, war in vieler Hinsicht visionär, doch auf Kurs in die Sphäre der Weltmarktführer haben Hans Riegels Sohne, die Brüder Paul und Dr. Hans Riegel, das Unternehmen Haribo gebracht.
Wie die Riegel-Brüder die Haribo-Goldbären auf Weltmarkt-Ebene katapultierten
Ein Beispiel, welches den florierenden Einfluss der Riegel-Brüder auf die Unternehmensleitung veranschaulicht, sind die Goldbären. Heute ist der Goldbär das Aushängeschild des Konzerns und natürlich auch ein absoluter Erfolgsschlager. Doch erst 1967, als Paul und Hans schon längst auf ihren Chefsesseln Platz genommen hatten, wurden die Goldbären vom deutschen Patentamt offiziell als Warenzeichen anerkannt.
Nicht ohne Grund wurde das Patent erst so spät eingetragen. Schließlich hießen die Goldbären vorher auch noch „Tanzbären“. So hatte Haribo-Gründer Hans Riegel seine Fruchtgummi-Spezialität nämlich ursprünglich getauft.
Und nicht nur der Name war anders, auch die Rezeptur und das Erscheinungsbild wurden unter den Riegel-Brüdern an der Spitze des Unternehmens entscheidend verändert. Vorher wurden vor allem mit Lakritzprodukten die Haupteinnahmen erworben. Erst durch Paul und Hans wurde aus den Goldbären-Fruchtgummis ein echter Erfolgsschlager, mit dem Haribo Milliarden Umsatz macht.
Haribo-Erbe unter schlechten Bedingungen
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die Brüder die Firma des Vaters. Der Werbeslogan „Haribo macht Kinder froh“ machte gerade seine Runden. Doch die Ausgangsbedingungen hätten für Paul und Hans Riegel kaum schlechter sein können.
Der Krieg hinterließ auch bei Haribo seine Spuren. Natürlich war auch der aufstrebende Süßigkeitenkonzern von der Rohstoffknappheit betroffen. Zudem war Unternehmensgründer Hans Riegel 1945 gestorben. Er wurde nur 52 Jahre alt.
Mutter Getrud übernahm zwischenzeitlich die Geschäfte, bis die Brüder Hans und Paul aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurden. Gerade einmal 30 Mitarbeiter hatte das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt. Doch Haribo erholte sich im Vergleich zu vielen anderen Firmen schnell von der wirtschaftlichen Depression. Das lag vor allem auch am unternehmerischen Geschick der Riegel-Brüder.
Junge Riegel-Brüder geben Haribo ihren eigenen Anstrich
Hans Riegel Junior ist gerade erst 24 Jahre alt, sein Bruder Paul Riegel sogar nur 21, als sie die Unternehmensführung übernehmen. Doch sie wachsen schnell in ihre neuen Rollen hinein und geben Haribo ihren ganz eigenen Anstrich. „Sie denken zukunftsorientiert, fördern Neugierde und Entwicklung im Unternehmen“, charakterisiert ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Wirken der Brüder.
Neue Leute, neue Maschinen, neue Ideen: 1950, also nur rund fünf Jahre später, war die Haribo-Belegschaft bereits auf 1000 Mitarbeiter angewachsen. Während der stillere Paul den Produktionsbereich verantwortete, leitete Dr. Hans Riegel den kaufmännischen Bereich, sowie Marketing und Vertrieb.
Die Haribo-Brüder – „Dr. Hans und Paul Riegel waren Vollblutunternehmer“
Nach seiner Promotion wurde der Junior stets Dr. Hans Riegel genannt. „Seine Kreativität und Entschlossenheit prägen jahrzehntelang das Unternehmen“, so ein Haribo-Unternehmenssprecher. Vor allem in Sachen Werbung setzte er mit bunten und aufsehenden Marketingaktionen sowie augenzwinkernden TV-Spots neue Maßstäbe.
Im Hintergrund tüftelte sein Bruder Paul Riegel an neuen Maschinen und Produktionsstandards. Viele innovative Maschinen wurden von ihm selbst entwickelt und in der eigenen Betriebswerkstatt realisiert. Zu seinen bekanntesten Erfindungen zählt die Lakritzschnecken-Wickelmaschine.
„Dr. Hans und Paul Riegel waren Vollblutunternehmer. Jeder von ihnen wollte nur das Beste für das Unternehmen“, fasst ein Haribo-Unternehmenssprecher auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zusammen. Sie waren es, die Haribo zum Weltmarktführer in der Süßwarenproduktion emporhoben.
Haribo an die Weltspitze – im Hintergrund brodelt ein Familien-Streit
Dabei bewies sich auch die von den Brüdern bereits früh unter sich eingeführte Arbeitsteilung als äußerst erfolgreich. Ob es für die Aufteilung jedoch lediglich unternehmerische Gründe gab, bleibt offen. Was im Hintergrund zwischen den beiden Haribo-Erben vorging, kann man nur erahnen. Manches deutet jedoch auf einen nachhaltigen Zwist.
Jahrelang sollen die Riegels nicht miteinander geredet haben. Und als Paul Riegel 2009 starb, erschien Bruder Hans nicht zur Trauerfeier.
Von Unternehmensseite heißt es gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ heute im Rückblick eloquent: „Wie in jeder Familie gab es auch bei den beiden Brüdern unterschiedliche Meinungen darüber, wie das Unternehmen bestmöglich geführt werden soll. Im Ergebnis haben sie sich mit ihren unterschiedlichen Stärken und Interessen jedoch sehr gut ergänzt, das Unternehmen vorangebracht und Haribo erfolgreich zu dem entwickelt, was es heute ist.“
Thomas Gottschalk über „Mr. Haribo“ Hans Riegel
Wer das Ruder in der Hand hielt, zeigen Worte von Entertainer Thomas Gottschalk, der durch seine Haribo-Werbung dauerhaft mit dem Unternehmen verbunden ist. „Hans Riegel war einer der letzten großen Unternehmer, der seine Firma mit Bauchgefühl und nicht mit Marktforschung zum Erfolg führte“, sagte Gottschalk zum Tod von Hans Riegel.
Gottschalk damals weiter: „Wir waren in einer 23-jährigen Erfolgsgeschichte miteinander verbunden. Mal war er lustig, mal war er streng, aber es war eher eine familiäre als eine geschäftliche Beziehung.“
Streit um die Haribo-Nachfolge wird zur Zerreißprobe
Nach dem Tod des Bruders entbrannte ein Streit um die Nachfolge, der das Unternehmen vor eine Zerreißprobe stellte. Paul Riegel hinterließ vier Nachkommen aus zwei Ehen und vierzehn Enkel, während Onkel Hans Riegel kinderlos blieb. Doch Dr. Hans Riegel dachte offenbar nicht daran, seine Neffen ans Unternehmen zu lassen.
Einer dieser potenziellen Nachfolger, Hans-Jürgen Riegel, das einzige Kind aus Paul Riegels erster Ehe, verließ sogar das Unternehmen, nachdem er sich mit „Dr. Haribo“ überworfen hatte. 2005 hatte Hans-Jürgen als Nachfolger seines Vaters gegolten. Doch Hans Riegel ließ sich nicht von der Spitze vertreiben.
„Als ich aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, war mein Vater tot, und ich habe mit 23 Jahren hier angefangen“, erzählte Riegel in einem Interview mit dem Tagesspiegel. „Jetzt habe ich die ganze Zeit immer nur dieses Unternehmen im Kopf gehabt und kann einfach nicht aufhören.“
„Ohne Fabrik würde ich krank“, soll Dr. Hans Riegel auch oft gesagt haben.
Familien-Streit bei Haribo landet vorm Schiedsgericht
2006 warf Hans-Jürgen schließlich frustriert das Handtuch und wendete dem Unternehmen Haribo den Rücken zu. Stattdessen engagierte er sich für eine Stiftung zur Forschung an der seltenen Immunkrankheit PNH, hielt Beteiligungen an der österreichischen Mineralwassermarke Peterquelle und dem auf Kosmetikprodukte spezialisierten Handelsmarkenhersteller Beromin.
Nach dem Zerwürfnis ließ Hans Riegel die Nachfolge komplett offen. Eine Entscheidung, die zu einem scharfen Konflikt mit den Haribo-Nachkommen gipfelte. Schon Paul Riegel hatte eine Beschwerde zur Klärung der rechtlichen Frage der Nachfolge eingeleitet. Seine Söhne führten diese 2008 eingereichte Beschwerde nun in ihrem Namen weiter.
Erst 2010 gelang es, die Unternehmensführung neu zu ordnen – allerdings erst, als ein Urteil des Schiedsgerichts drohte. Seitdem soll eine neue Holdingsstruktur die Wogen glätten und auch dafür sorgen, dass die Familie Riegel an der Haribo-Spitze bleibt.
Haribo wird neu geordnet – in einer Holding
„Der Fokus der dritten Unternehmergeneration liegt darin, das Unternehmen konzentriert in die Zukunft zu führen und die internationale Basis weiter zu festigen“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
An der neuen Haribo-Holding GmbH & Co. KG sind je zur Hälfte die Familienstämme Paul Riegel und Hans Riegel beteiligt. Zur Bündelung des deutschen und des internationalen Geschäfts wurden zudem zwei Zwischenholdings eingesetzt.
Hans Riegel starb im Oktober 2013 an den Folgen eines Hirntumors. Das Unternehmen Haribo vertreibt heute Süßigkeiten in mehr als hundertzwanzig Ländern. Über 7000 Mitarbeitende produzieren an 16 Standorten weltweit.
Und Haribo will weiter wachsen. „Ein wichtiger Meilenstein war zuletzt im Sommer 2023 die Inbetriebnahme der ersten Produktionsstätte in den USA, die in Pleasant Prairie im Bundesstaat Wisconsin liegt“, so ein Unternehmenssprecher.