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LVR-Klinik am Kaiser-Karl-RingVon Zwangsjacke bis Gummizelle – Psychiatriemuseum in Bonn eröffnet

Lesezeit 4 Minuten

Ende des 19.Jahrhunderts war die Bettbehandlung ein wesentliches Therapieinstrument vor allem bei unruhigen Patienten.

Bonn – Irrenarzt, Zwangsjacke, Gummizelle, Lederriemen zum Festbinden: Alles Dinge, die man landläufig mit der Psychiatrie verbindet. Wie sich diese medizinische Fachrichtung in den vergangenen 130 Jahren entwickelt hat, erfahren Besucher im neu gestalteten Museum „Ver-rückte Zeiten“ im Haus 15 der Klinik des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) am Kaiser-Karl-Ring. Jetzt wurden die neuen Ausstellungsräume feierlich eröffnet.

Ein themenbezogener Rundgang durch neun Räume gibt einen Überblick über die Psychiatrie in vergangenen Zeiten. Dabei wird auch, wie es verschiedene Redner formulierten, „das dunkelste Kapitel in der Zeit des Nationalsozialismus“ beleuchtet. Drei Räume beherbergen zudem das historische Archiv, ein Konferenzraum dient als Kommunikationszentrum für Besucher.

Dass die Ausstellungstücke gezeigt werden können, ist dem Engagement einiger Mitarbeiter zu verdanken. „Als 1979 der Neubau bezogen wurde, standen Container vor den Altbauten, in die das alte Mobiliar und Dokumente entsorgt werden sollten“, erinnert sich die Leiterin des Museums, Linda Orth. Viele Dinge seien wieder aus den Containern herausgeholt und in Kellerräumen der ehemaligen Nervenklinik untergebracht worden.

„Arbeitskreis Psychiatriegeschichte Bonn“

1984 wurde dann der „Arbeitskreis Psychiatriegeschichte Bonn“ gegründet, in dem sich neben Orth auch Dr. Wolfgang Klenk und die Diplom-Psychologin Jo da Venza-Tillmanns um die Erforschung der Klinikgeschichte kümmern. Lange Zeit konnten die Ausstellungsstücke nicht komplett präsentiert werden, weil die Räume schlichtweg zu klein waren. „Das Museum war in einer Schmuddelecke untergebracht“, brachte es Professor Dr. Markus Banger, Ärztlicher Direktor und Mitglied des Vorstands der LVR-Klinik Bonn, auf den Punkt.

2012 erfolgte dann der Umzug ins Haus 15, danach wurde die Ausstellung von einem Fachbüro neu konzipiert. Dank finanzieller Hilfe der Klinik konnten zudem ein Filmprojekt und ein Hörbeitrag mit Dr. Axel Schmidt und Dr. Manuel Gogos zur Geschichte der Bonner Klinik realisiert werden. Im ersten Raum ist unter anderem ein Holzverschlag zu sehen, der an die unmenschliche Unterbringung der Patienten vor rund 200 Jahren erinnert. In Bonn vegetierten die „Irren“ damals in sogenannten Bogenwohnungen der Stadtmauer in der Nähe der heutigen Beethovenhalle. Dort wurden sie oft angekettet, von einem Aufseher bewacht und von der Umgebung verspottet.

Nach einem Blick in ein Verwaltungszimmer mit alten Schreib- und Rechenmaschinen sowie der Telefonanlage des ehemaligen Pförtners geht es im dritten Raum um die traumatisierten Rückkehrer aus dem Ersten Weltkrieg. Holzkrücken, Spazierstöcke und ein alter Rollstuhl sowie Test- und Wärmeapparate wurden seinerzeit zur Heilung der Soldaten eingesetzt. Das älteste Ausstellungsstück ist die Apotheke, in der unter anderem verschiedene Glasflaschen und andere Transportbehälter für Medikamente zu sehen sind.

Im nächsten Raum erinnern unter anderem eine alte Nähmaschine, eine Druckerpresse, Teile einer alten Schusterwerkstatt sowie Skulpturen und Bilder daran, dass Patienten mit Arbeiten und kreativen Tätigkeiten beschäftigt wurden.

Fast 10 000 Patienten ermordet

Das war allerdings auch ein Mittel zur Kostendämpfung, denn die Patienten bekamen für ihre Arbeit kein Geld. Ein Bett mit einem Schlafsaal im Hintergrund verdeutlichen im sechsten Raum, dass die Bettbehandlung Ende des 19. Jahrhunderts ein wesentliches Therapieinstrument vor allem bei unruhigen Patienten war.

Gerätschaften aus den frühen Tagen der Kinder- und Jugendpsychologie schließen sich an, ehe an die Zwangssterilisationen und die Ermordung von Kranken in der NS-Zeit erinnert wird. Eine Krankenakte mit einer Sippentafel liegen auf einem Schreibtisch, neben einem Karteischrank sind ein alter Lautsprecher und ein Luftschutzhelm ausgestellt. „Fast 10 000 Patienten aus dem Rheinland wurden ermordet“, sagte Professor Dr. Banger, und Milena Karabaic, Landesrätin im Dezernat Kultur und Landschaftliche Kulturpflege beim LVR, sprach von 4000 Zwangssterilisationen allein im Bonner Stadtgebiet. Ein Rollstuhl, ein Radio sowie Holzstühle und Bänken aus den 1920er Jahren, die bis in die 70er Jahre hinein zur Ausstattung gehörten, verdeutlichen, dass nach 1945 von einem Neuanfang noch keine Rede sein konnte. Vieles wurde verdrängt, Reformen erst in den 70er Jahren auf den Weg gebracht. „Das Museum lebt von den Bildern“, betonte Orth. Auf Schautafeln habe man bewusst verzichtet, die nötigen Informationen liefere eine Broschüre, die zwei Euro kostet.

„Es ist eine Geschichte mit Fortschritten und Katastrophen“, lautete das Fazit von Professor Dr. Banger. Sein Dank und der der anderen Redner galt den Mitgliedern des Arbeitskreises, die die Ausstellung zusammengetragen haben. Führungen sind nach Absprache möglich. Kontakt per Mail:

I.orth@lvr.de