Wer und was steckt hinter der AfD Rhein-Sieg? So ganz genau scheint der Kreisverband das selbst nicht so zu wissen.
Zwei StrömungenDie Ortsverbände der AfD im Rhein-Sieg-Kreis bleiben gesichtslos
„Remigration“ heißt der Kampfbegriff, mit dem Teile der AfD derzeit fremdenfeindliche Stimmung machen wollen, auch in Eitorf, wo am Dienstagabend der Bundestagsabgeordnete und Kreissprecher Roger Beckamp und andere „aus dem Bundestag“ berichten wollen. Zuvor will die AfD um 17.30 Uhr vor dem Bürgerzentrum in Eitorf demonstrieren.
Ganz reibungslos dürfte das nicht vonstattengehen: Grüne, SPD, CDU und Linkspartei haben für 17.30 Uhr zur Gegendemo geladen. Auch in Troisdorf, Königswinter und Hennef sind in den kommenden Tagen Aktionen geplant.
Fehlende Informationen zu AfD-Stadtverbänden im Rhein-Sieg-Kreis
Mit wem man es aber bei der AfD Rhein-Sieg eigentlich zu tun hat, ist schwer zu sagen. So listet die Homepage der Kreistagsfraktion zwar Stadtverbände in Niederkassel, Rheinbach, Lohmar, Neunkirchen-Seelscheid, Sankt Augustin, Troisdorf und Siegburg. Hinter den Funktionen für Sprecher, deren Stellvertreter sowie Beisitzer und Kassenwarte findet sich aber lediglich ein „N.N.“.
Klickt man die Internetadressen der Stadtverbände an, kommt man nicht weiter: Entweder sind die Seiten angeblich im Wartungsmodus, verweisen auf die Seite des Kreisverbands oder führen, wie im Falle von Troisdorf, zu einer etwas verwirrt wirkenden To-Do-Liste für die Stadt.
Die Forderung, Fluglärm zu reduzieren, findet sich neben dem Aufruf, Gendern in offizieller Kommunikation abzuschaffen und mehr Kontrollen am Bahnhof. Zur Begründung heißt es: „Atzen rotzen in die Gegend, benehmen sich daneben“. Darunter findet sich der Hinweis, die Seite stehe nicht in Verbindung mit der AfD und die Domain stehe zum Verkauf.
Der Kreisverband liefert andere Angaben: Dort sind lediglich Stadtverbände in Lohmar, Troisdorf und Königswinter gelistet sowie der Gemeindeverband östlicher Rhein-Sieg-Kreis für die Gemeinden Eitorf, Ruppichteroth und Windeck. Sprecher ist Wladimir Krain, Roger Beckamp ist Mitglied des Vorstands. Angaben zu Beisitzer und Kassenwart fehlen auch dort.
Zwei Strömungen hat die AfD im Rhein-Sieg-Kreis: radikal und bürgerlich rechts
Raymund Schoen, Stadtverordneter in Siegburg und Kreistagsabgeordneter für Die Linke, verfolgt die rechte Szene und die AfD im Rhein-Sieg-Kreis seit Jahren. Kennzeichnend sind nach seiner Beobachtung zwei Strömungen, eine radikale und eine bürgerlich-rechte. Viele Mehrheitswechsel habe es in den vergangenen Jahren gegeben, dabei sei der Personenkreis überschaubar: Mehrfach habe er Parteiveranstaltungen der AfD besucht, zwischen 15 und 50 Personen seien vor Ort gewesen.
Derzeit sei die AfD Rhein-Sieg „klar identitär gesteuert“. Dabei seien die Identitären kaum noch auffällig gewesen, suchten jetzt aber wohl den Anschluss an eine Institution. Gefährlich ist nach Ansicht von Schoen die Themensetzung durch die AfDler. Das Thema Flüchtlinge werde von der AfD zum Kampfmittel gemacht, in einer Kampagne, die den Machtwechsel zum Ziel habe. Beckamp macht aus der Nähe zu Identitären keinen Hehl: Den „mutigen Aktivisten der Revolte Rheinland“, auf die der Verfassungsschutz NRW besonderes Augenmerk richtet, wünschte er Heiligabend auf Facebook frohe Weihnachten.
Eine Anfrage an die AfD-Rhein-Sieg zu Mitgliederzahlen und dem Verhältnis zu den Identitären blieb bis gestern Abend unbeantwortet. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung – einige Mitglieder werden auch bei der AfD-Veranstaltung im Eitorfer Bürgerhaus erwartet – war bereits 2016 in Eitorf bei einer Kundgebung aufgetreten. Dagegen hatten rund 300 Menschen demonstriert.
Im Rat ist die AfD zwar nicht aktiv, Bestrebungen, in der Sieggemeinde Fuß zu fassen, aber gibt es: So hatte der mittlerweile in Windeck wohnhafte Roger Beckamp ein Kaufangebot für die Kirche St. Josef in Mühleip abgegeben, um dort ein AfD-Büro einzurichten.
„Die AfD hat den falschen Weg eingeschlagen“, sagt das ehemalige Mitglied Ralph Wesse aus Siegburg
Keine Fraktion hat die AfD derzeit im Rat der Kreisstadt. Ralph Wesse, Vorsitzender der Siegburger Union war für die Partei in den Stadtrat eingezogen, als dort noch „Intellektuelle wie Hans-Olaf Henkel und Parteigründer Bernd Lucke“ das Sagen gehabt hätten. „Das waren Konservative, das war interessant“, erinnert sich Wesse. Doch vor etwa zehn Jahren habe die AfD einen falschen Weg eingeschlagen und sich in eine rechtsextreme Richtung entwickelt. „Und damit habe ich nichts zu tun.“ Wesse begründete die Liberal-konservativen Reformer im Stadtrat, später die Siegburger Bürger-Union. An der Demo in Eitorf werde er teilnehmen – er hoffe, dass sich jetzt „Millionen von Menschen wieder demokratischen Parteien zuwenden“.
Im Juni 2014 erhielt die AfD in Troisdorf ausreichend Zustimmung, um zwei Mandate im Stadtrat zu besetzen. Ralf-Udo Rothe, der damals in den Stadtrat einzog, ist noch heute Stadtverordneter. Allerdings gehört er inzwischen der Fraktion „Volksabstimmung“ an, die Rothe im Sommer 2021 gemeinsam mit Stefan Reh gründete. Der gehört seit der Kommunalwahl im Jahr 2020 dem Stadtrat an.
Mit dem damit verbundenen Ansinnen, in den Fachausschüssen mit stimmberechtigten Mitgliedern vertreten zu sein, scheiterten die Antragsteller: Das „schöne Signal des demokratischen Miteinander“, das sich damals Stefan Reh erhoffte, blieb aus. Lediglich mit beratenden Mitgliedern sind die Rechtspopulisten in den Ausschüssen des Stadtrats vertreten. Mehrfach stellten sie sich hinter Anträge des „Bürgerforums“, womit sie jedoch in der Regel allein blieben.
„Rassistische Ausfälle und radikale Rhetorik“ beklagt der ehemalige AfD-Vorsitzende Michael Köppinger aus Königswinter
2014 wurde auch Bernhard Schindler von der AfD Mitglied des Stadtrates und gehörte in Fraktion mit Ralf-Udo Rothe auch mehreren Ausschüssen an. Seit der Kommunalwahl 2020 gehörte Schindler als fraktionsloses Einzelmitglied der AfD dem Stadtrat an. Im Spätjahr 2023 trat Schindler aus der AfD aus.
In Königswinter verlor die AfD 2021 den Fraktionsstatus, als der Vorsitzende Michael Köppinger die Partei verließ und nur Ewald Lenzen übrig blieb. In der AfD seien „rassistische Ausfälle, radikale Rhetorik, die Verbreitung von absurden Verschwörungstheorien sowie offene Kooperationen mit rechtsextremen Strukturen“ an der Tagesordnung, so Köppinger damals in einer Pressemitteilung. Sein Eintritt in die AfD sei „ein schwerer Fehler gewesen“.