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FamilientreffAuf der Eitorfer Kirmes kommt es zum großen Wiedersehen

Lesezeit 4 Minuten

Wilhelm Liebe war schon als Kind auf der Eitorfer Kirmes. „Das ist wie ein Magnet, dieser Drang zur Freiheit, obwohl das Leben als Schausteller nicht leicht ist.“

Eitorf – Der Mann mit dem weißen Schnäuzer flaniert zwischen Imbissständen und Karussells, bleibt hier stehen, um zu reden, winkt dort: „Mit dem bin ich hier in Eitorf zur Schule gegangen. Und die Fischbude da, da weiß ich noch, wie der Großvater vom jetzigen Betreiber sie übernommen hat.“ Wenn Wilhelm Liebe mit seinem Imbissstand zur Eitorfer Kirmes kommt, dann ist das ein großes Wiedersehen unter Freunden. Und ein Familientreffen noch dazu. „Mein Bruder Rene ist der »Mandelkönig« und hat seinen Süßwarenstand ein bisschen weiter die Straße runter. Meine älteste Tochter Tanja ist mit ihrem Eiswagen hier. Meine zweitälteste, Natascha, arbeitet unten in der Bückenstraße beim Riesenrad, sie hat in die Familie Gormanns eingeheiratet. Als ich Kind war, gab es das Riesenrad in Eitorf schon, zwölf Meter hoch und aus Holz.“

Wilhelm Liebe, 62 Jahre alt, kennt die Eitorfer Kirmes wie kaum ein Zweiter: Schon sein Vater, Großvater und Urgroßvater waren mit ihren Attraktionen – einem Kasperletheater und einem Kinderkarussell – auf dem Jahrmarkt an der Sieg. „Ich bin hier in die erste Klasse gegangen, Gertrud Diwo war Rektorin. Später, als sie Bürgermeisterin war, hat sie mir jedes Jahr ein Kirmes-Kölschglas beiseite gestellt.“

Josef und Amalie Liebe ließen sich 1962 auf der Eitorfer Kirmes mit der Puppe eines Eisbären fotografieren – damals eine gefragte Attraktion.

Überhaupt: „Wir sind in Eitorf immer gut aufgenommen worden.“ Gerade für die Kinder, die von Festplatz zu Festplatz zogen und rund 30 verschiedene Schulen im Jahr besuchten, sei das ein schönes Gefühl gewesen. Wenn im Eitorfer Kino ein Film lief und die Schaustellerkinder vor der Kasse standen, die zusammengerafften Groschen in der Faust, dann wurden sie schmunzelnd durchgewunken. „Dabei hatten wir natürlich viel zu wenig Geld.“

Für seine sechs Enkelkinder im Alter zwischen vier und 18 Jahren ist das Kirmesgelände genauso Kinderzimmer, wie es früher für ihn war. Mit dem Unterschied, dass die Schaustellerkinder eine feste Schule besuchen. Die beiden jüngsten Kinder seiner Tochter Sarah, die mit ihrem Mann ebenfalls an Liebes Imbissstand arbeitet, gehen in Euskirchen zur Schule. Deswegen steht die Familie am Montag nur zu dritt hinter dem Tresen ihres urigen Wagens gegenüber des Rathauses, um Currywürste, Käsekrainer, Steaks, Spare Ribs und Steakhouse-Fritten zu verkaufen: „Meine Frau bleibt dann zu Hause in Euskirchen und kümmert sich um die Enkel.“

1975 übernahm Wilhelm Liebe die Schlittenfahrt, bei der Ponys vor kleine Schlitten gespannt wurden.

Dabei hat seine Frau Rosa selbst Kirmesblut in den Adern: Ihre Großmutter hatte eine Losbude, der Großvater zog sogar mit echten Affen über die Jahrmärkte. „Wenn er ankam, machte er die Tür auf, die Affen sprangen raus und sausten über das Gelände. Wenn er wieder fuhr, bekam er von den Kaufleuten dann die Rechnung über alles, was die Affen gefressen hatten.“

Tiere auf der Kirmes waren damals gang und gäbe. Eine lebende Katze beim Kasperletheater, ein Karussell, in das kleine Ponys eingespannt waren. Das hieß „Schlittenfahrt“, gehörte der Familie Liebe und hatte seinen Stammplatz an der Stelle, wo heute das Café Goethe ist. 1975 übernahm Liebe die „Schlittenfahrt“, ließ sie zunächst zur Pony-Manege und danach in Italien zum Kinderriesenrad umbauen. Auch eine Märchenschau, ein Laufgeschäft mit elektronischen Figuren, betrieb er ein paar Jahre lang. Ein anderes Leben zu führen als das eines Schaustellers, nein, das konnte er sich nie vorstellen.

Auch Süßwaren werden angeboten. Seit Generationen ziehen manche Familien als Schausteller umher.

Auch die ältesten Enkel, die schon auf der Kirmes mitarbeiten, fühlen so. „Das ist wie ein Magnet, dieser Drang zur Freiheit.“ Obwohl das Leben als Schausteller nicht leicht ist: „Die Arbeit ist hart, das Aufbauen, Abbauen, die Arbeitszeiten.“ Allein für den Aufbau seines Imbisswagens, den er vor vielen Jahren in Eitorf von einem anderem Schausteller kaufte, braucht die Familie zwei Stunden. „Aber am längsten dauert immer das Saubermachen!“ Und dann sind da noch die Kosten, das Standgeld, die Stromversorgung, Diesel. Manche Fahrgeschäfte haben Anschaffungspreise von mehreren Hunderttausend Euro, die Kräne zum Aufbau kosten kaum weniger. „Deswegen sind die Fahrpreise ja so hoch, weil sich das sonst nicht mehr trägt.“

Seit vielen Jahren beobachtet der Zweite Vorsitzende des Schaustellervereins Bonn – Euskirchen – Rhein-Sieg, wie sich die Kirmes verändert. Immer schneller, höher, waghalsiger, teurer werden die Fahrgeschäfte. „Die jungen Leute wollen das so. Schiffschaukel, Irrgarten, Holzpferdchen-Karussell, Nagelschlag, das ist alles nicht mehr der Renner.“

Der Kirmesplatz seiner Kindheit, wo die Leute an Attraktionen wie der „Schwebenden Jungfrau“ stehenblieben oder sich mit einem Mann im Eisbärpelz fotografieren ließen, so wie seine Eltern Josef und Amalie auf dem Rummelplatz in Eitorf 1962, der ist verschwunden. „Das ist traurig“, findet Liebe. Immerhin: „In Eitorf gibt es noch einen Hau-den-Lukas.“