Ivar Buterfas-Frankenthal sprach zu Schülern an der Gesamtschule Windeck. Zur Lage in Israel und Palästina bezog er deutlich Stellung.
„Juden sind wieder gefährdet“Holocaust-Überlebender richtet mahnende Worte an Schüler in Windeck
Für Ivar Buterfas-Frankenthal war sein Vortrag als einer der letzten lebenden Holocaust-Zeitzeuge in der Gesamtschule Windeck sein 1621ster. „Liebe Freunde, es ist die erste und die letzte Veranstaltung bei Euch“, begrüßte der 91-Jährige die 400 Menschen in der Aula in Rosbach. „Vor drei Monaten ist mein Sohn gestorben, und ich hatte danach einen Schlaganfall. Ihr habt es der Hartnäckigkeit Eures Geschichtslehrers Farhat Qarizada zu verdanken, dass ich die Reise von Hamburg hierher gemacht habe.“ Begleitet wurde er von seiner Frau Dagmar, einem Vertrauten und seinem Buchverleger Klaus Maresch.
Der hatte als Einstieg ins Thema eine ganz auf junge Menschen zugeschnittene Präsentation vorbereitet. Als Verlagsleiter zeigte er Beispiele, wie sein Verlag junge Migranten unterstützt und wie sie der Gesellschaft etwas zurückgeben. Der stellvertretende Schulleiter Keno Schulz beschrieb die innere Verfassung vieler Jugendlicher.
Persönliche Geschichtsstunde eines Holocaust-Überlebenden in Windeck
„In einer von Polykrisen geprägten Zeit sind sie verängstigt. Angst ist nie ein guter Ratgeber, sie macht empfänglich für einfache Lösungen. Die Konsequenz kann bis zum Verlust der Demokratie reichen.“ Er dankte Buterfas für den Mut, sich als Zeitzeuge dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte zu stellen und „uns mitzunehmen“.
In den folgenden 90 Minuten war kein Mucks aus dem Publikum zu hören. Vier ausgewählte höhere Stufen der Schule, sowie Bürgermeisterin Alexandra Gauß, Vertreter der Lokalpolitik und Schulleitungen umliegender weiterführender Schulen, waren geladen worden.
„Nach zwei Weltkriegen in 30 Jahren, die Deutschland zu Beginn des vorigen Jahrhunderts angezettelt hat, hätte keiner gedacht, dass wir, die Deutschen, einmal 75 Jahre Grundgesetz feiern werden.“ Mit kräftiger Stimme, die an Bestimmtheit keinen Zweifel lässt und die auf jede Beschönigung verzichtet, begann der Hanseat seine persönliche Geschichtsstunde mit der Beschreibung der Verhältnisse in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg, der Weimarer Republik und dem Aufkeimen des Nationalsozialismus bis zur Machtübernahme.
Kurz nach seiner Einschulung kam der Vater ins Konzentrationslager
„Hitler hat den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen. 60 Millionen Menschen sind Opfer der Nazi-Verbrechen geworden, sie sind in jedem Land eingefallen und haben hässliche Spuren hinterlassen. Ihre Gaskammern waren so riesig, das Zyklon B hat ihnen die Lungen zerrissen.“
Buterfas machte deutlich: „Ich bin auf keinen Fall hier, um Schuldzuweisungen an Euch zu machen, ich habe längst verziehen, sonst könnte ich nicht hier sitzen. Ich habe die Nazis bis auf den Körper zu spüren bekommen.“ Beweis fürs Verzeihen ist das bewusste „wir“, wenn er über die Deutschen spricht. Er ist bekennender Deutscher.
Sein jüdischer Vater entstammt einer vermögenden Dresdener Unternehmerfamilie, seine Mutter war Christin. Die Eltern waren Artisten und schon 1934, kurz nach Ivars Einschulung, kam der Vater in Konzentrationslager. „Ich war in meinem Leben nur vier Wochen in der Schule, mein großer Bruder hat mich später unterrichtet“, begann für den sechsjährigen Ivar sein Leidensweg. „Heute nennt man es Mobbing. Unter den Nazis war das anders. Da rief der Schulleiter: 'Kleiner Judenlümmel, verschwinde so schnell du kannst, du darfst nie wiederkommen'.“
Zur aktuellen Lage in Deutschland und in Israel bezog er deutlich Stellung
Die Mutter brachte ihre acht Kinder durch die Naziherrschaft, floh in einem fünfmonatigen Fußmarsch mit ihnen nach Polen. „Als Vater zurückkam, hofften wir, dass er etwas für seine Familie tun kann, er war ja unbeschadet zurückgekommen“, erinnert sich der 91-Jährige. Doch die Hoffnungen wurden nicht erfüllt. „Aufgrund der zwölf Jahre, die ich im KZ erlebt habe, ist es mir nicht möglich, mit so großer Familie zu leben“, sagte der Vater. Das sei „ein Schlag“ für alle gewesen.
Zur aktuellen Lage in Deutschland und in Israel bezog er vor der Signierstunde seines Buches bei der Schülerfragerunde Stellung. Juden seien wieder sehr gefährdet, es sei unruhig auf deutschen Straßen. Mit Blick auf den Nahen Osten positionierte sich Ivar Buterfas-Frankenthal deutlich: „Ich bin ein großer Kritiker der Gewaltspirale, die sich immer schneller im Gazastreifen dreht. Es geht nicht an, dass es bis heute keine Zweistaatenlösung und keine humanitäre Hilfe gibt.“
Den Jugendlichen im Publikum riet er, darauf aufzupassen, dass sich kein rechtes Gedankengut verbreitet. „Das erwarte ich von Euch“, sagte der Holocaust-Überlebende. „Ihr habt die Chance am 5. Mai 2045 mit der ganzen Welt hundert Jahre Frieden zu feiern, ich werde das nicht mehr erleben.“
400 Besucher kamen zur Veranstaltung an der Gesamtschule Windeck
400 Menschen erhoben sich von ihren Plätzen und spendeten langanhaltenden Applaus. Ein 18 Jahre alter Schüler befand: „Das war sehr prägend und interessant, zeigt wie offen und dankbar wir für das Grundgesetz sein müssen. Ich habe sehr viel Ehrfurcht, dass er den Mut gefasst hat, nach allem, was er als Kind erlebt hat, hier zu sitzen.“
Zur Person: Ivar Buterfas-Frankenthal gründete mit Ehefrau Dagmar ein Bausanierungsunternehmen mit 300 Mitarbeitern. Als Alpträume der Vergangenheit ihn einholten, konnte er nicht mehr arbeiten und übergab die Firma an seine Kinder. Er begann zu schreiben und Vorträge an Gymnasien, Universitäten und neuerdings an Polizeiakademien zu halten. Buterfas hat unzählige Auszeichnungen erhalten wie den Weltfriedenspreis und das Nagelkreuz von Coventry. Als einziger Deutscher hat er zweimal ein Bundesverdienstkreuz (zuletzt das 1. Klasse) bekommen.