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Kunst live in EitorfWenn schief das neue gerade ist

Lesezeit 3 Minuten
Der Künstler Kai Niederhausen trägt mit einer Rolle Farbe auf eine große Leinwand auf.

Künstler „Semor“ referierte er im Kreativ-Shop über unterschiedliche Lacke und, demonstrierte gewollte und ungewollte Nebeneffekte ihrer Anwendung und verriet Tricks und Kniffe, die mit geringem Aufwand beachtliche Wirkung erzielen.

In einem Künstlerfachmarkt zeigte der international ausgestellte Künstler Kai Niederhausen alias „Semor the mad one“, wie seine Arbeiten entstehen.

Manchmal hilft auch eine ruhige Hand nicht weiter. „Tja, das ist schief“, konstatierte Kai „Semor“ Niederhausen nüchtern. Der Künstler, der auch unter dem Namen „Semor the mad one“ bekannt ist, hatte einen Teil des Gerstaecker Künstlerfachmarkts im Eitorfer Gewerbegebiet in sein Atelier verwandelt.

Dort konnten Kunden des Fachgeschäfts live erleben, wie sich eine eigens hergestellte weiße Leinwand von zwei mal drei Metern Größe schrittweise in ein Kunstwerk verwandelte. Dabei war eine nicht ganz gerade gezogene Linie für Niederhausen mehr Herausforderung denn Ärgernis. „Schief ist das neue Gerade“, hielt er unter dem zustimmenden Murmeln der Zuhörer fest. „Wenn ich eine Vase male, dann ist die auch immer schief“, bekannte eine Betrachterin.

Der 1982 in Waldbröl geborene Künstler ist ein ausgesprochen aufgeschlossener Vertreter seiner Zunft. Ausgiebig referierte er im Kreativ-Shop über unterschiedliche Lacke und Farben, demonstrierte gewollte und ungewollte Nebeneffekte ihrer Anwendung und verriet Tricks und Kniffe, die mit geringem Aufwand beachtliche Wirkung erzielen. Dabei war es keineswegs absehbar gewesen, dass Niederhausens Kunst inzwischen international ausgestellt wird und er sein Wissen in Workshops weitergibt.

Einen Namen macht sich Semor zuerst mit „Writings“

Er kommt aus der Graffiti-Szene und machte sich vor allem mit „Writings“, also der Gestaltung mit Buchstaben, einen Namen: „Das begann Ende 1993. Damals habe ich noch mit Kreide meine Zimmerwände bemalt und damit begonnen, Buchstaben zu verändern, ohne überhaupt zu wissen, dass mich das mein Leben lang begleiten wird.“ Gleichzeitig experimentierte er im Keller seines Vaters mit verschiedenen Lacken. Das technische Wissen erwarb der Autodidakt in der Sprayer-Szene, den künstlerischen Blick brachte er selbst mit.

Der Künstler Kai Niederhausen und einige Besucher stehen um eine Leinwand herum, die auf dem Boden des Gerstaecker Künstlerfachmarkts in Eitorf liegt

Im Gerstaecker Künstlerfachmarkt erläuterte Kai „Semor“ Niederhausen seine Arbeitsweise.

Heute konzentriert sich „Semor the mad one“ auf abstrakte Malerei, ohne seine Wurzeln in der Graffiti-Welt zu verleugnen: „Man sieht schon im Entstehen eines Werkes, wo man noch etwas machen muss.“ Das abstrakte Format eröffne Freiheiten, die er sehr zu schätzen wisse: „Es gibt einen Anfang, aber kein definiertes Ende. Man muss als Künstler immer selbst entscheiden, ob und wo man weitermachen will.“ Bei ihm führt das zu abstrakten Formen und verspielten Flächen, wobei er gern fluoreszierendes Rot, Graustufen, Schwarz und Weiß kombiniert: „Man kann natürlich darüber streiten, ob das jetzt Kunst ist oder Geschmiere, aber das macht mir nichts aus.“

Die Begeisterung sprang über, wie sich auch an den gut gefüllten Einkaufswagen der Kunden des Gerstäcker Künstlerfachmarkts zeigte. Der 1953 gegründete Johannes Gerstäcker Verlag ist einer der „hidden Champions“ der Eitorfer Wirtschaft. Mit einem Sortiment von über 70.000 Artikeln rund um die Kunst ist er nach eigenen Angaben Europas größter Versandhandel für Künstlermaterial. Mehr als 550 Mitarbeitende aus 25 Nationen arbeiten am Stammsitz in Eitorf, dazu betreibt das Unternehmen 31 Künstlerfachmärkte sowie Niederlassungen in Frankreich, England, Italien, Spanien, Niederlande, Belgien, Österreich und der Schweiz.