Oleg und Elke Retzer haben das rund 80.000 Quadratmeter große Areal von Schoeller-Wolle gekauft. Sie entwickeln Immobilien in ganz Deutschland.
Schoeller-GeländeDie neuen Eigentümer haben in Eitorf viele Pläne und wollen die Mieter mitnehmen
Auf die Frage, was ihn denn geritten habe, das Schoeller-Areal zu kaufen, antwortet Professor Dr. Oleg Retzer zunächst ganz lapidar: „Meine Frau hat es geritten.“ Dann holt er aber weiter aus: „Wir waren geschäftlich unterwegs, und Elke (Retzer) hat gegoogelt.“ Sie ergänzt: „Ich habe da etwas gefunden. Das ist doch was für uns.“ Sie war auf eine Anzeige in einem Immobilienportal gestoßen, in dem das Objekt an der Sieg zum Verkauf angeboten wurde.
Das war am 1. Juli vergangenen Jahres. Jetzt ist der Verkauf in trockenen Tüchern. Es habe mehrere Bewerber gegeben, verrät Oleg Retzer, der Gewerbeparks und Einkaufszentren entwickelt. Gerade baut er nach eigenen Angaben in Eschwege das Landesarchiv für die Finanzverwaltung Hessen. Nach Informationen dieser Zeitung gab es auch einen Interessenten aus den Reihen der Mieter in den alten Hallen.
Die Suche nach einer Versicherung für den Kauf erwies sich als schwierig
Gar nicht so einfach war es, eine Versicherung für den Kauf zu finden. Es gebe mit Weco Feuerwerk produzierendes Gewerbe, es lägen Altlasten auf dem Grundstück und es sei Überschwemmungsgebiet, zählt Retzer einige kritische Punkte auf. Schließlich wurde er doch noch fündig, die Verhandlungen über den Kaufpreis konnten abgeschlossen werden. Nach genau einem Jahr sind sie Besitzer einer spannenden Immobilie, wie das Ehepaar bekräftigt.
Retzer Industry Eitorf GmbH & Co. KG übernimmt am 1. September das historische Gelände. Es ist ein Familienunternehmen aus Bad Hersfeld in Hessen, Geschäftsführer sind Oleg und Elke Retzer, die Söhne Christian und Martin die Komplementäre. „Dadurch sind wir relativ schnell in der Umsetzung“, verspricht der 64 Jahre alte Professor, der auch als öffentlich bestellter Sachverständiger gearbeitet hat.
„Alle Mieter bleiben“, betont er, „einige, die gekündigt haben, haben zurückgezogen.“ Auch die großen Firmen wie Gerstäcker, Broil King und Weco verlängerten ihre Verträge. Retzer spricht von Fünf- bis Zehnjahresverträgen. Mit den Mietern zusammen will er den Flächenbedarf ermitteln. Noch in diesem Jahr will er die ersten Module einer Photovoltaik-Anlage auf die Dächer setzen.
Mehr als 15.000 Quadratmeter Flächen können noch vermietet werden
„Wir wollen vom Gas weg und die Nebenkosten reduzieren“, erklärt Retzer, „wir haben tolle Mieter, die kennen die Probleme, und wir wollen gemeinsam Lösungen finden.“ Fast 50.000 Quadratmeter Flächen sind vergeben, gut 15.000 stehen noch leer. „Mit Lothar Schmidt haben wir einen sehr guten Mann vor Ort“, ist Retzer sicher. Der ist Prokurist der Schoeller AG, kennt die heterogene Mieterstruktur und die handelnden Personen in Eitorf. Ihn will die Familie halten.
„Der Standort liegt uns wirklich am Herzen. Wenn das fertig ist, wird das ganz toll“, erklärt die 70 Jahre alte Elke Retzer. „Wir kaufen Immobilien, um eine Wertschöpfungskette auf lange Sicht in Gang zu setzen“, beschreibt ihr Mann das Konzept. Neue Firmen hereinholen, günstige Räume für Start-ups bieten, Zusammenarbeit mit Hochschulen, Batterien in Reihe in die mehr als 10.000 Quadratmeter Keller setzen, um Energie zu speichern - die Ideen sprudeln nur so.
Auch ein Kulturzentrum Sieg mit einem Industriemuseum könnten sie sich gut vorstellen. Sie wollten entsprechende Ideen unterstützen, wo sie könnten, sagen sie.
Jetzt stehen als nächstes Gespräche mit Bürgermeister und Wirtschaftsförderung statt, um Potenziale auszuheben. „Es gilt, dieses Gelände weiterzuentwickeln und zu optimieren“, versprüht Viehof, der mit Retzer einen guten Draht gefunden hat, Optimismus. „Es macht Hoffnung auf eine sehr gute Entwicklung.“
Noch ein bisschen zurückhaltender sind die Mieter. „Wir haben noch nichts vom neuen Eigentümer gehört“, sagt Franka Di Giuseppe vom Kunststoff verarbeitenden Betrieb SDG, die sich auf eine Zusammenarbeit freut. Offen geht auch Markus Gansauer von MDW Wassertechnik an den Wechsel heran, auch wenn er sich eine gewisse Grundskepsis vorbehält. „Ich freue mich, dass es weitergeht“, ist dagegen Künstler und Skulpteur Jan Ptassek viel optimistischer. „Ich mag die Stimmung hier aus kleinteiligem Gewerbe und Produktionsfirmen.“
Die Geschichte der Schoeller'schen Kammgarnspinnerei geht bis ins Jahr 1849 zurück, als die Dürener Unternehmerfamilie Schoeller ein 1843 gegründetes Werk in Breslau übernahm. 1888 gründete Karl Schäfer auf dem Fabrikgelände eine Kammgarnspinnerei, in die die Schoeller-Gruppe 1901 einstieg.
In der wechselvollen Geschichte brannte es mehrfach, Bomben zerstörten im Zweiten Weltkrieg das Werk. Doch stets wurde wieder aufgebaut. 1949 arbeiteten bis zu 800 Menschen in Doppelschicht, später in drei Schichten. Anfang der 1990er Jahre wurde die Produktion von Handstrickgarn eingestellt, es wurde nur noch Industriegarn gefertigt. 2005 war Schluss mit der Produktion, auf dem Gelände läuft nur noch Versand und Logistik.