Herbe Verluste für die Grünen, Gewinne für die AfD. Am Tag nach der Europawahl ziehen die Parteien im Rhein-Sieg-Kreis eine erste Bilanz.
Nach der EuropawahlParteien in Rhein-Sieg sind besorgt über den Erfolg der Rechtsextremen
Wer am Sonntagabend auf das vorläufige amtliche Endergebnis der Europawahl im Rhein-Sieg-Kreis warten wollte, brauchte viel Geduld. Erst kurz vor Mitternacht hatten es die Wahlhelfer im letzten Königswinterer Briefwahlbezirk endlich geschafft, alle Stimmen auszuzählen. Der allgemeine politische Trend für die Region stand da aber längst fest: Auch im Rhein-Sieg-Kreis sind die Grünen die großen Verlierer der Europawahl. Die Partei büßte gegenüber 2019 etwas mehr als zehn Prozentpunkte ein und landete mit 14 Prozent wieder hinter der SPD (14,7 Prozent).
Zugewinne verzeichneten die CDU, die mit 33,6 Prozent ihre führende politische Rolle leicht ausbaute, minimal die FDP, die bei 7,7 Prozent landete, und die AfD, die auf 11,7 Prozent kam, ein Plus von 3,6 Prozentpunkten. Zwar blieben die Rechtsextremisten damit hinter dem Ergebnis im Bund zurück. Aber dennoch konnten sie in einigen Kommunen bemerkenswerte Erfolge verbuchen.
In Much etwa sind sie hinter der CDU (37,1 Prozent) mit 13,5 Prozent der Stimmen zweitstärkste politische Kraft, auch in Ruppichteroth landete die AfD hinter den Christdemokraten und noch vor SPD und Grünen. Und auch in Windeck schnitten die Rechtsextremen mit 15,9 Prozent deutlich besser ab als im gesamten Kreis. Noch deutlicher fiel der Wahlerfolg der AfD in Wahlkreisen im linksrheinischen Swisttal aus: 20,2 Prozent in Dünstekoven, 21,4 in Heimerzheim und sogar 22,9 in Essig/Ludendorf.
CDU-Chef Oliver Krauß geht zuversichtlich ins Wahljahr 2025
Besorgnis über das Erstarken der AfD herrscht am Tag nach der Wahl bei Vertretern aller demokratischen Parteien in der Region. „Wenn in Windeck die AfD auf 16 Prozent kommt, macht mir das Sorgen. Da müssen auch Leute aus gutbürgerlichen Kreisen diese Partei gewählt haben“, sagt Oliver Krauß, Vorsitzender der CDU Rhein-Sieg. Über das Abschneiden seiner Partei zeigt sich Krauß nur leidlich zufrieden: „Wir haben vom Ärger über die Ampelkoalition nicht so stark profitiert, wie wir gehofft hatten.“
Der Stimmenzuwachs für die CDU Rhein-Sieg mache aber zuversichtlich für die Kommunal- und die Bundestagswahl im kommenden Jahr. „Wir können uns aber nicht zurücklehnen. Dafür haben alle etablierten demokratischen Parteien offenbar Fehler gemacht“, sagt der CDU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete.
Nicole Westig, Bundestagsabgeordnete aus Bad Honnef und Vorsitzende der Kreis-FDP, blickt am Montag mit Sorge auf das Wahlverhalten junger Menschen. „Dass mit AfD und BSW die Populisten von Rechts und Links gerade bei den jungen Wählerinnen und Wählern erfolgreich waren, bewegt mich sehr. Das muss uns eine Warnung sein.“
Nicole Westig will mehr politische Diskussion mit jungen Leuten
Sie habe sich dafür engagiert, das Wahlalter für die Europawahl auf 16 herabzusetzen. Aber das allein reiche nicht, um junge Menschen für die Demokratie zu gewinnen. „Wir müssen im Bildungsbereich noch aktiver werden, etwa wenn es um den Umgang mit sozialen Medien geht. Und wir brauchen auch noch viel mehr Diskussionen über politische Themen an den Schulen.“
Nicht unzufrieden ist Westig mit dem Abschneiden der Liberalen. „Die FDP ist in Umfragen mal bei drei Prozent gestartet, jetzt haben wir hier sogar leicht gewonnen und liegen über dem NRW-Trend.“ Was das Wahlergebnis auf Bundesebene für die Zukunft der Ampelkoalition bedeutet, dazu wollte sich Westig vor den Beratungen des Landesvorstands und der Gremien in Berlin noch nicht äußern.
„Glückwunsch an die Union“, sagt der Bundestagsabgeordnete und SPD-Kreisvorsitzende Sebastian Hartmann. „Sie hat ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren können, der SPD ist das nicht gelungen.“ Dass die Sozialdemokraten mit hauchdünnem Vorsprung wieder zweitstärkste politische Kraft sind, sei für ihn nur bedingt ein Grund zur Zufriedenheit. „Das ist nicht unserer eigenen Stärke geschuldet, sondern den Verlusten der Grünen.“
Grünen-Vorsitzender Wächter sorgt sich um das politische Klima
Besorgt stimme ihn das Abschneiden der AfD, sagt Hartmann. Gerade angesichts dieser Entwicklung sei es wichtig, dass der Staat weiter in Mobilität, Klimaschutz und andere Felder investiere, auch um bestimmte Regionen und ihre Bewohnerinnen und Bewohner nicht abzuhängen.
Wie der Zuspruch für die demokratischen Kräfte des Parteienspektrums und die SPD wieder gestärkt werden kann, dafür hat Hartmann noch keine Lösung. Kurz nach der Wahl vermeintliche Erfolgsrezepte zu verkünden, sei nicht seriös. Für seine Partei wolle er diese Frage bei der Vorbereitung der Kommunalwahlen 2025 klären. Den letzten kommunalpolitischen Erfolg habe die SPD bei der Niederkasseler Bürgermeisterwahl im Dezember 2023 errungen. „Da stimmt die Kombination aus Programm, Kandidat und Partei“, lobt Hartmann. Daran müsse die SPD anknüpfen.
Gemischte Gefühle zeigt man am Tag nach der Wahl bei den Grünen in der Region. „Natürlich sind wir angesichts der Verluste enttäuscht“, sagt Moritz Wächter, einer der zwei Vorsitzenden des Kreisverbandes. Immerhin hätten die Grünen in der Region deutlich besser abgeschnitten als auf Bundesebene. „Die Zahlen zeigen, dass wir insbesondere junge Leute nicht erreichen konnten.“ An Spekulationen über die Ursachen für die starken Verluste wolle er sich nicht beteiligen: „Das müssen wir jetzt als Partei erstmal gemeinsam analysieren.“ Befürchtungen äußert Wächter angesichts des Erstarkens der AfD bezüglich des politischen Klimas. „Das werden wir spätestens 2025 spüren, wenn die Kommunalwahlen stattfinden.“
Zufrieden über den Wahlausgang zeigt sich die AfD. „Das Wahlergebnis deckt sich mit der Stimmung, die wir während des Wahlkampfes bei der Bevölkerung vor Ort in den verschiedenen Kommunen wahrnehmen konnten“, sagt Tobias Ebenberger, einer der beiden Kreissprecher. „Als AfD Rhein-Sieg freuen wir uns, mit Irmhild Boßdorf eines unserer Mitglieder ins künftige EU-Parlament zu entsenden.“