Vor einem JahrHennefer Ärztin half afghanischer Familie bei Flucht vor den Taliban
Hennef – Vor einem Jahr bangte Latifa Shamrez um ihr Leben und das ihrer Familie. Heute sagt sie: „Ich bin froh, dass wir in Deutschland sind, ich fühle mich jetzt wie zu Hause. Das war immer mein Wunschland.“ Damals saß sie in der afghanischen Hauptstadt Kabul fest. Als Deutschlehrerin in einer deutschen Schule wurde sie von den Taliban verfolgt. Sie saß zu Hause fest und hoffte auf eine mögliche Ausreise. In einer Nacht- und-Nebel-Aktion gelangte sie nach Pakistan, schließlich konnten sie und ihr Mann Habib sowie die fünf Kinder nach Deutschland fliegen.
Ihre größte Unterstützerin war Dr. Dagmar Smarsly, Hausärztin in Hennef. Sie organisierte weitere Hilfe, nahm die Familie auf, setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Seit dem 7. Oktober 2021 lebt die Familie in Deutschland, nach vielen Reisestationen und der Hilfe vieler unterstützender Menschen. Das Netzwerk war auch danach stabil.
Familie floh aus Afghanistan: Kontakt zu Hennefer Ärztin ist noch heute eng
Der Kontakt ist nach wie vor eng, die Medizinerin geht auch schon mal zu Elternabenden in der Schule, wenn sich die Termine knubbeln. Denn die Ausbildung ihrer vier Töchter und ihres Sohnes sind der 43-Jährigen wichtig.
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„Mein Wunsch war immer, dass meine Kinder hier studieren können. Dass sie selbst wählen können, was sie beruflich machen wollen“, sagt Shamrez. Das wäre in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban wohl nicht möglich gewesen, da bleiben die Frauen zu Hause. Sie erinnert sich, wie sie im August und September 2021 nur im Haus gelebt hätten, in ständiger Angst vor den Machthabern. Gerade hat sie ihren B 1-Sprachkurs mit „sehr gut“ absolviert, jetzt steht die nächste Stufe an.
„Ich möchte hier gerne als Lehrerin arbeiten“, ist ihr großer Berufswunsch. Sie kann sich aber auch Arbeit in der Offenen Ganztagsschule, bei Sprachkursen oder als Erzieherin vorstellen. „Ich habe viele Möglichkeiten“, zeigt die Frau sich selbstbewusst. Und sie will den Führerschein machen, um das Familienleben noch flexibler gestalten zu können.
Töchter sprechen nach weniger als einem Jahr fließend Deutsch
Gemeinsam hat die Familie schon Ausflüge zum Schloss Brühl, nach Remagen und Köln unternommen. „Es ist interessant, in ein anderes Land zu kommen, Leute und Kultur kennen zu lernen“, sagt Latifa Shamrez, und ihre Kinder stimmen ihr eifrig nickend zu. Weil Smarsly als Ärztin während der Pandemie stark eingebunden war, sprangen Freundinnen und Freunde ein. „Das war eine tolle Erfahrung, manche waren nur eine kurze Zeit dabei“, erinnert sie sich.
Eine Frau hängte sich in die Wohnungssuche, tatsächlich gelang es ihr, der siebenköpfigen Familie eine Bleibe in Bonn zu verschaffen. Zufällig traf Smarsly die Deutschlehrerin ihres Sohnes, die sich spontan bereit erklärte, die vier Töchter beim Erlernen der Sprache zu unterstützen.
Während andere bis zu zwei Jahre in internationale Klassen gehen, sind die beiden Ältesten, Sarah (15) und Somaya (12), nach zwei respektive drei Monaten in die Regelklassen einer Realschule gewechselt. Am ersten Schultag hätten sie gedacht, alle könnten perfekt Deutsch sprechen, tatsächlich aber hätten sie alle nur in ihrer Muttersprache geredet, erinnern sie sich. Inzwischen sprechen sie nahezu fließend Deutsch, nach nicht einmal einem Jahr. Ihre Noten sind schon jetzt richtig gut.
Vor einem Jahr geflohen: Familie hat Angst um Verwandte in Afghanistan
Sarah möchte Medizin studieren, behält sie ihr Lerntempo bei, dürfte sie das auch schaffen. Gleiches gilt für Somaya, die noch schwankt zwischen Ärztin und Pilotin. Sotayesh, zehn Jahre alt, steht vor dem Wechsel auf die weiterführende Schule 2023. Ihre Noten werden ihr ziemlich sicher eine Empfehlung fürs Gymnasium einbringen.
Die sieben Jahre alte Hasanat scheint schon jetzt in die Fußstapfen ihrer Schwestern treten zu wollen. Ein freundlicher, sehr lebendiger Junge ist Masihullah, drei Jahre alt, der eine Kindertageseinrichtung im Haus besucht. Der Tag ist durchgetaktet, Schule, Hausaufgaben, Sprachkurse, alle nehmen die Integration sehr ernst. Vater Habib Shamrez lernt gerade für den B 1-Abschluss, auch er war Lehrer und möchte in dieser Richtung arbeiten.
Die Kinder haben schon Freunde gefunden. Latifa Shamrez war gerührt, als eine der Mütter sie eingeladen hat. Doch bei allen positiven Entwicklungen hat sie auch Sorgen: Ihre Eltern sind in Afghanistan geblieben, zwei ihrer Brüder mussten zu Befragungen zu den Taliban. Die Sicherheit und die Wirtschaft im Land sind unsicher, Hochwasser bedroht die Wohngebiete. Ihre kleine Schwester ist eine Zeit lang nach Pakistan ausgewichen, musste aber zurück, weil das Geld zu Ende ging. Das Netz arbeitet daran, auch ihr eine Perspektive zu schaffen.