Kinder- und Jugendmediziner in Rhein-Sieg berichten von dramatischen Entwicklungen. Aufgrund einer Welle von Infekten haben sie mit überfüllten Praxen zu kämpfen. Für die vollen Praxen gibt es aber noch weitere Gründe.
Rhein-SiegKinderärzte wegen Infektwelle überlastet – Klinik stellt ambulante OPs ein
Die Situation ist dramatisch: Mediziner in der Region vermelden einen immensen Anstieg an Atemwegsinfekten bei Kindern. So hat die Kinderklinik Sankt Augustin ambulante Operationen bereits aus diesem Grund eingestellt. Das bestätigt Professor Gerd Horneff, Ärztlicher Direktor, auf Nachfrage der Redaktion. Zeitweise seien Kinder „in Betten auf den Gängen der Klinik untergebracht worden“, schildert der Chefarzt.
Die Corona-Problematik sei inzwischen gut überstanden, nun folge eine Infektionswelle aufgrund der längeren Isolation. Üblich sei es, dass Kinder jahrgangsweise mit Influenza oder dem RS-Virus, der die Atemwege befällt, infiziert würden. Durch die Pandemie sei diese Automatik jedoch ausgesetzt gewesen. Nun würden „mehrere Jahrgänge auf einmal infiziert“, was zu einer Überlastung der Mediziner führe, sagt Horneff.
Attestpflicht schafft Probleme
„Wir laufen voll“, bestätigt auch der Siegburger Kinderarzt Dr. Hans Jörg Niewerth. Im Grunde schon seit dem Sommer gebe es eine Infektwelle, die zum Winter hin zunehme. Zu 90 Prozent handele es sich um Atemwegsinfekte: „Es ist schon erstaunlich, wenn jemand nicht Husten, Schnupfen oder Heiserkeit hat.“ Wenige echte Grippefälle sieht der Kinder- und Jugendmediziner in seiner Praxis am Siegburger Kleiberg „Corona ist auch dabei, aber seltener.“
Sogenannte Nachholeffekte nach zwei Jahren Pandemie macht Niewerth zumindest mit verantwortlich für die aktuelle Situation. „Das Immunsystem wird ja durch Infekte geschult.“ Durch Quarantäne und Masken aber hätten sich die Infektionen weniger stark durchsetzen können. „Und jetzt treffen Viren auf ein weniger erfahrenes Immunsystem.“ Auch vor 2020 habe es schon immer Infektzeiten gegeben, zur normalen saisonalen Entwicklung komme in diesem Jahr aber „eine Schippe drauf“.
Nicht jedes Kind müsse in der Praxis vorgestellt werden, betont der Mediziner. „Eltern müssen wieder lernen, mit solchen Infekten zurechtzukommen“; die meisten Erkrankungen ließen sich zuhause abwartend behandeln. „Das Leben schwer“ macht Niewerth und seinen Kollegen zudem die Vielzahl der Schülerinnen und Schüler, die nach drei Tagen Krankheit ein Attest für die Schule brauchen. „Das ist wirklich ein Problem“, ohne diese Patienten „hätten wir mehr Zeit für die, die es wirklich brauchen“. Dabei gebe es für diese Forderung vieler Schulen keine gesetzliche Grundlage, wie auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein und Westfalen-Lippe in einem Informationsblatt für Eltern und Schulen sowie Kindertagesstätten klarstellt.
An die Eigenverantwortung der Eltern appelliert der Siegburger Kinderarzt auch, was den Umgang mit schlecht verfügbaren Medikamenten angeht: „Das sind vor allem die Fiebermittel und meistens die Säfte.“ In der Regel könne man ausweichen, zum Beispiel auf Zäpfchen. Viel gewonnen wäre seiner Einschätzung nach, wenn nicht bei jedem Infekt eine neue Flasche gekauft und viel weggeworfen würde.
Ausfälle an den Schulen im Rhein-Sieg-Kreis
Auch in der Praxis von Dr. Michael Weis herrscht derzeit viel Betrieb. „Die Arbeitslast ist aktuell hoch, wir schlängeln an der Grenze des Leistbaren“, sagt der Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte im rechtsrheinischen Kreis.
Das sei im Herbst nicht ungewöhnlich, nach den vergangenen zwei Jahren mit strikten Corona-Regeln und einer deutlich minimierten Anzahl an Infekten aber zumindest in diesem Ausmaß vermeidbar. „Es gibt viele Möglichkeiten. Maske tragen und Abstand halten hilft nicht nur gegen Corona“, betont der Kinderarzt. Frage man die jungen Patienten, wie sich die Situation in Schulen und Kitas derzeit darstelle, höre er oft, fast die Hälfte an Kindern sei krank.
„Davon sind wir noch entfernt“, entgegnet Schulleiter Reinhard Schulte vom Troisdorfer Gymnasium Zum Altenforst. Aber: „Der Krankenstand im Kollegium sowie bei den Schülerinnen und Schülern ist hoch.“ Eine vollständige Vertretung sei im Augenblick nicht zu organisieren, bisweilen müssten in einzelnen Klassen vier von fünf Stunden vertreten werden. „Wir versuchen, die Betreuungen in den Randstunden sicherzustellen“, sagt der Rektor, der einen erhöhten Krankenstand schon das ganze Jahr über beobachtet. Eine normale Infektionszeit also? „Gefühlt ist die Situation jetzt schon sehr angespannt.“