InterviewSchulpsychologe rät zu entspannterem Umgang mit den Kindern im Lockdown
Rhein-Sieg-Kreis – Corona-Pandemie und Lockdown belasten Schulkinder, Familien und Lehrer besonders. Andreas Helfer sprach mit Alexander Elwert, Leiter der schulpsychologischen Beratungsstelle des Rhein-Sieg-Kreises, über Probleme und Chancen in der Krise.
Unterricht wird kaum noch in den Schulen angeboten, gelernt wird zu Hause. Wie wirkt sich das auf Ihre Beratungsarbeit aus?
Alexander Elwert: Die Themen haben sich geändert. Der Lockdown bedeutet eine massive Veränderung für alle Beteiligten, viele Familien müssen mit einer Dreifachbelastung zurechtkommen, Homeoffice, Homeschooling und Haushalt unter einen Hut bringen. Manche Familien haben einfach kein Geld, um einen Laptop zur Verfügung zu stellen oder zu wenig Platz in der Wohnung für mehrere lernende Kinder. Ich habe große Sorge, dass die Schere noch weiter auseinandergeht und sozial benachteiligte Schüler noch stärker abgehängt werden. Corona ist eine Herausforderung für Schüler, Eltern und Lehrer.
Was ist wichtig für ein gutes häusliches Lernumfeld?
Die Schüler sollten feste Zeiten und einen festen Arbeitsplatz haben, einen aufgeräumten Schreibtisch. Manche Kinder machen ihr Homeschooling im Bett. Aber da muss eine Trennung her. Auch Rituale sind gut, zum Beispiel eine gemeinsame Mittagspause mit den Eltern. Die ganze Tagesstruktur hat sich geändert, Selbstorganisation ist gefragt, aber für viele ein Hemmnis.
Viele Eltern befürchten, dass jetzt die Schulleistungen ihrer Kinder schlechter werden.
Kommt das Kind überhaupt mit, wird es versetzt – das sind verständliche Fragen. Aber wir alle leisten im Moment unheimlich viel, die Schüler erst recht. Es ist jetzt ratsam, nicht zusätzlichen Druck auszuüben. Die Kinder sollen psychisch gesund durch die Krise kommen. In der Schule sind Rückmeldungen der Lehrer von großer Bedeutung, sonst werden die Schüler demotiviert.
Viele Schülerinnen und Schüler sitzen nonstop vor dem Smartphone oder Computer-Bildschirm.
Das ist tatsächlich ein Problem, aber auch eine große Chance, wir alle lernen da momentan sehr viel. Kinder eignen sich das spielerisch an und können wunderbar mit den Geräten umgehen. Eltern sind eher auf verlorenem Posten, wenn sie das alles kontrollieren wollen. Es ist wichtig, im Gespräch mit den Kindern zu bleiben, Absprachen zu treffen und feste Zeiten einzurichten. Problematisch ist teilweise die digitale Absenz im Unterricht, wenn Kinder das Mikrofon stumm- und die Kamera ausschalten oder den Laptop erst gar nicht hochfahren. Dann bekommen Lehrer natürlich überhaupt keine Rückmeldungen mehr, und die Kinder machen irgendetwas ganz anderes. Das sollten Lehrer und Eltern im Blick haben.
In der Familie bergen Absprachen zu festen Smartphone- oder Tabletzeiten ein erhebliches Konfliktpotenzial.
Daher sollte man den Kindern keinen zusätzlichen Stress machen, sondern eher einen Vertrauensvorschuss geben. Was sollen sie denn auch sonst machen? Vereine und Musikschulen sind geschlossen, die Medien brauchen sie auch zur Kommunikation mit den Freunden, die sie jetzt nicht treffen können. Das heißt nicht, dass Eltern jetzt komplett das Feld räumen. Aber sie sollten, wenn möglich, ein Stück entspannter mit den eigenen Kindern umgehen.
Wie kommen Schüler mit dem Thema Corona zurecht?
Sicherlich unterschiedlich, bei vielen führt es zu Ängsten, etwa wenn sich Grundschüler um das Leben der Großeltern sorgen. Ein Ansatzpunkt für Lehrer ist dann, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, aber auch mit der ganzen Klasse. Es ist wichtig, das kindgerecht anzusprechen, aber auch eine Herausforderung. Wir sind alle Teil dieser Krise und haben einen unterschiedlichen Umgang damit; der eine ist ängstlicher, der ander gelassener. Weil das Thema dauerpräsent und belastend ist, sollten Eltern drauf achten, welche Fernsehsendungen zuhause laufen. Man kann eine Sondersendung zu Corona auch erst einschalten, wenn die Kinder im Bett sind.